@AnnaKomnene Ich bin in jenen Jahren sehr oft mit dem Zug über den Brenner gefahren, es ist ungefähr so gewesen, wie Du hier beschrieben hast. Am Grenzbahnhof Brenner (Brennero), der schon in Italien liegt, wurde damals die Lok gewechselt, von ÖBB zu FS und umgekehrt. Je nach Tageszeit geschah das mal schneller, mal weniger schnell.
Der Grenzbahnhof liegt in einem engen Tal, auf der einen Seite, wenn man zum Fenster herausschaut, sieht man nur eine Bergwand, auf der anderen Seite nur das Bahnhofsgebäude. Man sieht eigentlich nichts, was darauf hinweist, dass man nun irgendwo falsch ist, wenn man sich dort nicht auskennt. Ulrikes Mutter sagte ja aus, dass Ulrike geographisch nicht sehr bewandert war. Am Bahnhof standen auf den Gleisen meist wartende ÖBB Loks und wartende FS Loks. Ein schneller Blick aus dem Fenster kann also immer noch den Eindruck erwecken, dass man noch in Österreich ist.
Vor Abschaffung der Grenzkontrollen stiegen in der Regel am Brenner zwei Beamte des italienischen Zolls zu (Guardia di Finanze) in grauen Uniformen, die recht oberflächlich die Reisenden auf der Fahrt nach Bozen (Bolzano) kontrollierten. Oft gingen sie aber auch gar nicht durch den Zug. Die Uniform hatte im Prinzip die gleiche Farbe wie die der österreichischen Gendarmerie (ebenfalls grau damals). Österreichische Beamte habe ich im Zug nie gesehen. Italienische Carabinieri, die z.T. auch grau-blaue Uniformen anhatten, kontrollierten zwar am Strassengrenzübergang, aber seltenst im Zug.
Soweit ich mich erinnere, fuhr Ulrike aber bereits nach der Abschaffung der Kontrollen, so dass vermutlich gar keine Grenzbeamte den Zug bestiegen.
Es fielen also am Ende allein die italienischen Schaffner auf, die aber erst in Brenner begannen, durch den Zug zu gehen.
Daher kann ich mir gut vorstellen, dass Ulrike erst relativ spät bemerkte, dass sie falsch war. Vielleicht erst, als der Zug bereits wieder fuhr.
Der nächste Halt wäre dann Franzensfeste (Fortezza) gewesen. So macht es Sinn, dass sie hier dann den Zug verlassen hat, um nicht weiter in Richtung Verona zu fahren.
Es gibt eine Aussage eines italienischen Bahnbeamten, der meint, sie eventuell in Franzensfeste gesehen zu haben.
Dort hätte sie dann festgestellt, dass in den nächsten Stunden kein Zug zurück nach Innsbruck fuhr. Das gleiche hätte sie auch im Bahnhof Brenner, oder weiter südlich festgestellt.
Daher macht es Sinn, dass man annimmt, sie hat in Franzensfeste das Angebot eines Fremden angenommen, sie mit dem Auto in Richtung Österreich mitzunehmen. Dabei kommt in Frage, dass man ihr angeboten hat, wieder Richtung Innsbruck zu fahren, oder aber durch das Pustertal in Richtung Lienz. Dort ist sie jedenfalls gefunden worden.
Zur Frage der Autobahn: Ich bin damals auch ab und zu mal mit dem Auto gefahren und wie viele andere auch habe ich versucht die Maut, die recht erheblich war, zu sparen: Man musste damals auf österreichischer Seite und auf italienischer Seite Autobahngebühr bezahlen, konnte das aber umgehen, wenn man auf der Bundesstrasse (Ö) bzw. Staatsstrasse (I) fuhr. Gerade die Einheimischen auf italienischer Seite taten das regelmässig. Es gab dort also durchaus regen Verkehr. Besonders nach Einbruch der Dunkelheit war es sogar relativ angenehm, denn der LKW Verkehr war kaum noch vorhanden, so dass man relativ zügig vorankam. Die Polizia Stradale stand meistens nur auf der Autobahn, so dass man auch nicht unbedingt immer das Tempolimit beachtete.