Zwar ist dies kein offizieller 'Mordfall', ich stelle ihn hier jedoch trotzdem ein, da ich ihn so noch nicht gefunden habe.
1949, also vor 66 Jahren, verschwand im Ammerland eine 16-Jährige spurlos. Es gab zwar einige Verdächtige, jedoch waren die Beweise und Spuren so gering, dass es nie zu einem Prozess o.ä. gekommen ist. Bis heute fragt sich der Bruder der Verschwundenen, was mit seiner Schwester passierte.
Ich finde diesen Fall recht interessant, denn obwohl es doch einige Spuren gab, konnte bis heute rein gar nichts weiteres herausgefunden werden. Vieles deutet auf einen Mord hin, aber gewiss war das nie. Wahrscheinlich wäre ein möglicher Täter heute längst nicht mehr am Leben, aber vielleicht gibt es ja Mitwisser, die zur Lösung des Falls beitragen können. Es wundert mich jedenfalls etwas, dass nach so vielen Jahren ein Artikel erscheint. Ob das nur an der Schnapszahl liegt? Vielleicht erhofft man sich auch neue Hinweise. Wobei das nach 66 Jahren natürlich sehr unwahrscheinlich ist.
Ein kalter, stürmischer Tag im Januar 1949: Die 16-jährige Marga Hillmer verschwindet auf dem Weg zu ihrem Elternhaus in Ihorst – nahezu spurlos. Können Ermittler 66 Jahre später Licht in den rätselhaften Kriminalfall bringen?
Sie haben tagelang alles abgesucht: 500 Bauern, 150 Polizeibeamte, 12 Polizeihunde, die Freiwillige Feuerwehr. Sechsmal durchmaßen sie Fuß für Fuß den Wald. Mit Stangen tasteten sie angrenzende Felder ab, mit Spaten gruben sie nahe Grundstücke um. Sie loteten Gräben aus, tauchten durch drei große Teiche, pumpten Tümpel leer. Sie suchten in Scheunen und Brunnen und Heuschobern und Misthaufen und Jauchegruben – Marga Hillmer fanden sie nicht.
Sie fanden Margas Fahrrad, es lag in einem Graben am Nachhauseweg. Sie fanden auch ihre Hosenklammer, und 250 Meter weiter den Schlackenweg hoch lag ihr Kamm. Und sie fanden noch etwas: „Spuren, die auf einen Kampf schließen lassen“, so formulierte es später die Polizei.
Der 18. Januar 1949 war ein Dienstag, kalt und stürmisch. Vor 16 Tagen war Marga Hillmer 16 geworden, ein blondes Mädchen aus Ihorst, das in Westerstede zur Berufsschule ging. Es war bereits dunkel, als sie mit zwei Mitschülerinnen von dort nach Hause radelte, das gerade Stück von Westerloy nach Ihausen hinauf. Am Waldausgang trennten sie sich, Marga musste links abbiegen, von hier aus waren es nur noch wenige hundert Meter zum elterlichen Hof. Sie kam dort nie an.
66 Jahre später kann man einige Kilometer weiter in Moorburg Margas kleinen Bruder treffen, Gerd Hillmer, er ist inzwischen 73 Jahre alt. Er sitzt in seiner Stube, Teepause mit seiner Frau; Gerd Hillmer hat draußen gearbeitet, er pflastert seine Zufahrt neu, „so was mache ich alles selbst“, sagt er und lächelt.
1949 war Gerd ein kleiner Junge, erst sieben Jahre alt, aber an den Abend des 18. Januars kann er sich erinnern. Diese Aufregung! Die Sorgen! Die erste Suchaktion am späten Abend! Erste Gerüchte: Hatte jemand „Mama! Mama!“ gerufen?
Wie war das damals in der Familie, nach Margas Verschwinden? „Darüber wurde eigentlich nicht gesprochen“, sagt Hillmer. „Und mit uns Kindern wurde über so was sowieso nicht gesprochen.“
Aber die Zeitung schrieb über Marga. „Schweres Verbrechen im Ammerland?“, hieß es da, „Noch keine Spur von Marga Hillmer“ oder „Kann ein Mensch spurlos verschwinden?“
Marga Hillmer blieb verschwunden, vergessen wurde sie nicht. Die NWZ berichtete über jeden Schritt: als der Vater 1000 DM Belohnung aussetze, als der leitende Ermittlungsbeamte Dienstjubiläum feierte, als sich Margas Verschwinden zum ersten Mal jährte, zum fünften, zum fünfzehnten Mal. Gerd Hillmer hat etliche Artikel aufgehoben.
Die Zeitung rückte auch all diese Gerüchte gerade: Der Vater habe seine Tochter „an einen Holländer“ verkauft? Falsch. Marga habe ihren Eltern aus Australien geschrieben? Auch falsch. In Nürnberg habe ein Mann die Tat gestanden? Richtig – aber der Mann hatte gelogen, „ich wollte in die Presse rein“, sagte er.
1954 starb Margas Vater, 1971 die Mutter. Unter der Todesanzeige standen die Namen von neun Kindern, in der Mitte: „Marga Hillmer, verschollen“. 1972 ließ die Familie Marga für tot erklären.
Helmut H., 74 Jahre alt, wohnt im Landkreis Oldenburg in einem Haus voller alter Möbel. Er mag Geschichte und Geschichten, im Ruhestand ist er zu einem begeisterten Familienforscher geworden. Er hat ein Buch über die Familie seiner Frau geschrieben, er schreibt eines über seine eigene Familie. „Bei solchen Recherchen fördert man allerlei zu Tage“, weiß er. Was er über seinen Großvater Hedde H. herausfand, überraschte ihn dennoch: Hedde H. war in Verdacht geraten, etwas mit dem Verschwinden von Marga Hillmer zu tun zu haben. „Gesprochen wurde darüber in der Familie nicht“, sagt H.
Es gab auch Ermittlungen gegen andere Ammerländer Männer, aber an Hedde H. klebte der Verdacht am hartnäckigsten. Sein Enkel fand heraus, dass der Großvater in Oldenburg in Untersuchungshaft gesessen hat. Erhärten ließ sich der Verdacht gegen Hedde H. nicht, das Misstrauen aber blieb. Auch bei Familie Hillmer: „Ja“, erinnert sich Margas Bruder Gerd in Moorburg, „da blieb was zurück.“
Es blieb so hartnäckig etwas zurück, dass 1974, 25 Jahre nach Margas Verschwinden, ein weiteres Gerücht aufkam: Angeblich sei im Haus von Hedde H. die Leiche des Mädchens gefunden worden. Die Kriminalpolizei dementierte umgehend über die Zeitung: „Das Haus existiert seit sieben Jahren gar nicht mehr.“
Helmut H. sagt: Er würde gern mehr erfahren über die Rolle seines Großvaters im Fall Marga Hillmer. Aber wie? „Am liebsten würde ich mal die Akte lesen“, sagt er.
Im Fernsehen gibt es Serien, in denen amerikanische Ermittler alte Fälle aufklären, „Cold Cases“. Sie greifen in ein Regal, ziehen staubige Ordner heraus und lösen in 45 Minuten fiese Rätsel.
Gibt es so etwas auch in der bundesdeutschen Realität: Akten von 66 Jahre alten Vermisstenfällen? Gibt es eine Akte Marga Hillmer? Immerhin gab es den Verdacht, das Mädchen könne ermordet worden sein – und Mord verjährt doch nicht.
Ganz so einfach ist es freilich nicht im Fall Hillmer. Dass Mord nicht verjährt, ist erst seit 1979 Gesetz, und auch die Aufbewahrungsbestimmungen für Justizakten sind alle jüngeren Datums. Als Marga verschwand, im Januar 1949, war hingegen noch nicht einmal die Gründungsurkunde der Bundesrepublik Deutschland unterschrieben.
In der Oldenburger Staatsanwaltschaft gibt es jedenfalls keine Akte Hillmer mehr. War es überhaupt eine Mordakte? Ein Tötungsdelikt? Ein Vermisstenfall? Wurde der Fall irgendwann eingestellt, Vermerk: „Täter konnte nicht ermittelt werden“? Niemand weiß es. Laut den „Bestimmungen über die Aufbewahrungsfristen“ von 2007 müsste die Akte eines solchen Falles nach der Einstellung fünf Jahre lang aufbewahrt werden, bei sogenannten Leichensachen 30 Jahre.
Akten von spektakulären Fällen werden mitunter im Niedersächsischen Landesarchiv gesammelt, dort gibt es ein „Findbuch der Staatsanwaltschaft“. Aber eine Akte Hillmer gibt es dort nicht.
Bleibt die Polizei, die hat eigene Akten und Aufbewahrungsfristen. Dort heißt es: Ein Vermisstenfall wie der von Marga Hillmer müsste 30 Jahre lang aufgehoben werden – nach heutigem Stand.
Soll heißen: 66 Jahre nach dem Verschwinden von Marga Hillmer ist auch ihre Akte längst verschwunden.
Und: Nein, es gibt hier keine Ermittler, die alte Fälle aus staubigen Regalen ziehen. „Neuen Hinweisen in einem solchen Fall würden wir aber natürlich nachgehen“, heißt es bei der Polizeiinspektion Oldenburg-Ammerland – denn Mord verjährt ja nicht.
1949 beteiligten sich auch fünf Hellseher an der Suche nach Marga Hillmer. Sie widersprachen sich alle.
„Jeder hat so seine eigenen Vermutungen, was geschehen ist“, sagt Gerd Hillmer, Margas Bruder. Er vermutet, dass seine Schwester von Mädchenhändlern entführt und verkauft worden ist.
„Eines Tages“, sagte ein Kriminalbeamter 1961 in der NWZ , werde im Fall Marga Hillmer die Aufklärung gelingen, „mag sich der Täter auch noch so sicher wähnen“.
Marga Hillmer wäre jetzt 82 Jahre alt. Bald sind 67 Jahre seit ihrem Verschwinden vergangen. Alles, was man seitdem fand, sind: ein Fahrrad, eine Hosenklammer, einen Kamm. Aber keinen Täter.
Quelle:
http://www.nwzonline.de/nachrichten/panorama/blaulicht/seit-66-jahren-spurlos-verschwunden-was-geschah-mit-der-schuelerin-marga-hillmer_a_30,1,3678142160.html