Mord an Tair Rada - oder: Making of (another) murderer (?)
02.06.2019 um 12:38Hallo
hier möchte ich mal einen Kriminalfall aus Israel vorstellen, der dort für sehr viel Diskussion gesorgt hat und noch immer sorgt.
Tair Rada war ein 13-jähriges Mädchen, welches am 6. Dezember 2006 in den Mittagsstunden auf der Mädchentoilette ihrer Schule in Katzrin (andere Umschrift Qatzrin) auf ausgesprochen brutale Weise ermordet wurde.
Offiziell ist der Fall ausgeklärt und der Mörder verurteilt. Allerdings gibt es erhebliche Zweifel an der Schuld des Angeklagten, sogar die Eltern des Opfers haben sich einer Petition von Unterstützern des Verurteilten für ein Wiederaufnahmeverfahren angeschlossen!
2016 sendete der israelische Fernsehkanal HOT8 eine vierteilige Serie über den Fall, diese wurde 2017 von Netflix aufgekauft und international veröffentlicht unter dem Titel "Shadow of Truth" und machte den Fall auch über die Grenzen Israels bekannt.
WICHTIG: auch wenn Stichworte wie Israel und Golanhöhen manchen dazu reizen mögen, dieser Fall hat mit dem Nahostkonflikt absolut nichts zu tun und ich möchte dringend darum bitten, nicht off-topic zu werden und dieses mit dem Kriminalfall in keinem Zusammenhang stehende Thema nicht hier zu diskutieren!
Erstmal die Fakten:
Lokation:
Der Fall trägt sich zu in dem Ort קצרין, je nach Umschrift Katzrin oder auch Qatzrin geschrieben, einer Kleinstadt mit rund 7000 Einwohnern in den Golanhöhen. Ort des Verbrechens ist die Nofey Golan High School, die größte weiterführende Schule in der Region mit 600 Schülern.
Auf Google Maps: https://www.google.com/maps?ll=32.9905,35.6952&q=32.9905,35.6952&hl=en&t=m&z=11
Opfer:
Tair Rada war die 13 jährige Tochter von Ilana and Shmuel Rada. Sie ging in die achte Klasse der Nofey Golan High School.
Tatverlauf:
Am 6. Dezember 2006 schwänzte Tair Rada die siebte und letzte Schulstunde und hielt sich stattdessen mit Freundinnen im Schulgarten auf. Etwa 13:15 verließ sie die Freundinnen, um nach eigener Aussage am Wasserspender in der Pausenhalle etwas zu trinken. Sie wurde danach noch von zwei Jungen gesehen, wie sie die Treppen in Richtung der Toiletten im Bereich der 10.Klassen stieg. Die 10. Klassen waren an diesem Tag auf einem Schulausflug, daher war dieser Bereich ungewöhnlich ruhig und leer.
Als Tair nicht nachhause kam, meldete ihre Familie sie bei der Polizei als vermisst und eine Suche begann. Abends um 7 Uhr wurde sie auf der Schultoilette ermordet aufgefunden.
Der Täter hatte sie offenbar auf der Toilette beim Betreten einer Kabine angegriffen, ihr die Kehle mit einem Messer mit zwei Schnitten durchgeschnitten und noch eine Vielzahl weiterer Verletzungen (mindestens sieben Schläge auf den Kopf und eine Vielzahl von Stichen) zugefügt, die darauf hindeuteten, dass hier jemand im Zustand der Rage vorgegangen war, kein kaltblütiger Mord, sondern ein Mord aus Hass o.ä. Offenbar noch nach Eintreten des Todes hatte der Täter die Pulsadern aufgeschnitten, vermutlich um sicherzugehen, dass das Opfer auch wirklich tot ist. Der Täter hatte die Tür der Kabine von innen verriegelt und war den Spuren zufolge auf das Opfer geklettert und über die Trennwand in die danebenliegende Kabine übergeklettert und von dort aus geflohen.
Untersuchung:
Da die Schule der Terrorgefahr auf den Golanhöhen geschuldet eingezäunt ist und der Eingang durch einen Sicherheitsdienst besetzt ist, wurde ein äußerer Täter schnell ausgeschlossen. Ein Obdachloser aus dem Ort wurde zwar kurzzeitig festgenommen, aber sehr schnell als Täter ausgeschlossen.
Abwehrspuren deuteten auf einen schwachen Täter hin. An der Schule war es bereits in der Vergangenheit zu mehreren Fällen von Jugendkriminalität gekommen, zu Drogenhandel und zu Prostituition und es gab an der Schule eine Gruppe von "Satanisten", Schülerinnen, die schon mal auf einmal auf einem Friedhof randaliert hatten. Zudem berichtete die Mutter, dass Tair in der Woche zuvor ungewöhnlich still und bedrückt gewesen sei, aber auf Nachfrage nicht sagen wollte, was sie beschäftigte, die Mutter hatte das dann auf pubertäre Stimmungsschwankungen geschoben und nicht weiter beachtet, nun aber wurde die Frage gestellt, ob hier nicht ein Fall von eskaliertem Mobbing vorlag.
In diesem Kontext gewann auch die Aussage zweier Mitschülerinnen Bedeutung, die aussagten, etwa zu der Zeit des vermutlichen Mordes (kurz nach 13:20 Uhr) ebenfalls die Toilette aufgesucht zu haben und dort seltsame Geräusche aus einer Kabine gehört hatten. Als sie an die Kabinentür anklopften, habe eine Mädchenstimme von innen "besetzt" gerufen.
Dann jedoch ermittelte die Polizei in eine andere Richtung: mehrere Zeugen hatten ein verdächtiges Verhalten des Schulgärtners um die Zeit der Tat beobachtet. Der Schulgärtner wurde festgenommen, aber nach wenigen Tagen wieder entlassen, er konnte ein sicheres Alibi nachweisen.
Bei der Überprüfung der weiteren Personen in der Schule zum Zeitpunkt der Tat kam man nun auf Roman Zadorov, einen 32-jährigen Immigranten aus der Ukraine. Dieser war beauftragt und an diesem Tag damit tätig, die Bodenfliesen im Luftschutzbunker der Schule zu erneuern. Bei dieser Gelegenheit wurde festgestellt, dass die Schule den obligatorischen Hintergrund-check für Personen, die sie beschäftigte, hier versäumt hatte. Roman hielt sich zwar legal in Israel auf, besaß aber noch keine Arbeitserlaubnis. Er hatte zudem optisch große Ähnlichkeit mit dem Schulgärtner und könnte daher die Person gewesen sein, die die Zeugen gesehen hatten, als sie glaubten, der Schulgärtner habe sich verdächtig verhalten.
Fünf Tage nach dem Tod von Tair wurde Roman festgenommen. Nach acht Tagen Befragungen legte er schlussendlich ein Geständnis ab und führte bei einer auf Video aufgezeichneten Begehung des Tatortes vor, wie er die Tat begangen habe.
Sehr schnell fielen dabei jedoch Ungereimheiten auf: die Tathypothese der Polizei war, dass Tair Roman auf dem Pausenhof angesprochen habe und um eine Zigarette gebeten hatte, als dieser ihr keine gab, habe sie ihn beschimpft und massiv beleidigt. Davon aufgebracht sei er ihr gefolgt und habe sie im Zorn getötet. Die Tatzeit wurde auf zwischen 13:20 und 13:30 festgelegt.
Gleich drei Dinge sprachen jedoch dagegen: Tair war nach übereinstimmender Aussage aller ihrer Freundinnen Nichtraucherin, sie war auf der Treppe von zwei Jungs gesehen worden, allein, ohne dass ihr jemand gefolgt war und insbesondere zeigte ein Überwachungsvideo in Übereinstimmung mit dem Protokoll des Mobilfunkunternehmens und der Zeugenaussage des Chefs von Roman, dass er bis 13:27 sich auf dem Pausenhof nahe des Schultores aufgehalten hatte und dort mit seinem Chef telefoniert hatte. Die Polizei verschob daher den vermuteten Tatzeitpunkt auf die Zeit zwischen 13:30 und 14:00 (ab 14 Uhr hatte sich Roman in der Schulkantine aufgehalten und dort gegessen) und vermutete nun ein sexuelles Motiv.
Bei der Nachstellung der Tat auf Video machte der Täter dann auch eine Reihe von Fehlern, zunächst verläuft er sich im Gebäude und findet den Tatort nicht, die Schnitte der Kehle des Opfers führt er in falscher Rchtung vor, den Schläge auf den Kopf und die Schnitte der Pulsadern vergisst er, er behauptet zunächst, die Tür der Kabine nur zugedrückt zu haben, als ihm vorgehalten wird, die Tür sei von innen verriegelt gewesen, führt er vor, über die Tür rübergestiegen zu sein, obwohl die Spuren zeigen, dass der Täter über die Seitenwand in die Nebenkabine gestiegen ist.
Weiter behauptet er, die Tatwaffe sei ein Cutter gewesen, den er anschliessend im Bunker auf den Boden gelegt und überfliest hatte. Daraufhin werden die Fliesen aufgebrochen, aber es wird kein Messer gefunden. Zudem belegt die medizinische Untersuchung der Schnitte, dass die Tatwaffe ein Messer mit Wellenschliff war.
Auch sonst bringt keine Spur Roman mit dem Mord in Verbindung: es werden 60 verschiedene Fingerabdrücke gefunden, aber keiner davon von Roman, es werden auf der Leiche Haare dreier unbekannter Personen gefunden, aber keine von Roman, DNA und andere biologische Spuren führen ebenso zu keiner Verbindung mit Roman. Weiterhin werden seine Kleidung, seine Schuhe und sonstige Gegenstände, die er an diesem Tag mit sich führte (Werkzeug...) überprüft, darauf aber keine Blutspuren oder andere Spuren des Opfers gefunden.
Am nächsten Tag widerruft Roman sein Geständnis.
Prozesse:
Nichtsdestoweniger wird Roman Zadorov im Januar 2007 angeklagt vor dem Nazareth District Court und September 2010 verurteilt. Der Supreme Court von Israel lässt 2013 eine Berufung zu und der Fall wird erneut untersucht, was im Dezember 2014 zu einer erneuten Verurteilung führt. Der Antrag auf erneute Anhörung wurde Dezember 2015 vom Supreme Court abgelehnt in einer split decision 2 zu 1.
Nebenschauplätze:
In einem Nebenstrang des Falles kam der Richter Yitzhak Cohen vom Nazareth District Court, der die erste Verurteilung ausgesprochen hatte, unter Beschuß, er musste Anfang 2014 aufgrund von Vorwürfen sexueller Angriffe auf eine Staatsanwältin von seinem Amt zurücktreten.
Noch näher an der Sache selbst dran war ein zweiter Skandal im Kontext dieses Falls. Dr Forman hatte im ersten Verfahren als Gutachterin ausgesagt zu dem Thema der Tatwaffe und dargelegt, dass die behauptete Tatwaffe, ein Cutter, nicht die Tatwaffe gewesen sein könne! Kurz nach dem Verfahren versuchte der Generalstaatsanwalt Shai Nitzan Dr Forman die Akkreditierung als Gutachterin zu entziehen. Diese wehrte sich mit einer Klage, wobei sich die Israeli Medical Association und sogar das Gesundheitsministerium auf ihre Seiten schlugen. Die Generalstaatsanwaltschaft versuchte, Unterstützung bei Dr Kugel vom staatlichen forenischen Institut zu erhalten, dieser jedoch schrieb eine Stellungnahme, in der er die Position von Dr Forman unterstützte. Die Generalstaatsanwaltschaft verweigerte zunächst die Annahme dieser Stellungnahme, versuchte dann eine editierte, entschärfte Version in die Gerichtsakten aufzunehmen, am Schluss wurden beide Versionen aufgenommen, was in der Öffentlichkeit die Sache nun noch mehr anheizte. Die Commissioner of Prosecutorial Oversight Richterin im Ruhestand Hila Gerstel (so eine Art Ombudsfrau) veröffentlichte nun auch eine Stellungnahme mit dem "finding that the State Prosecution engaged in tampering with witnesses and perverting/obstruction of justice". Dies eskalierte dazu, dass am 4. April 2016 alle Staatsanwälte in Israel in Streik traten. Dieser endete am 18. April mit dem Rücktritt von Hila Gerstel von ihrer Position.
Neue Entwicklungen:
In Sozialen Medien wurden immer wieder die beiden Schülerinnen, die zur gleichen Zeit wie Tair auf der Mädchentoilette waren und ausgesagt hatten, an die Kabinentür geklopft zu haben, beschuldigt, die Mörderinnen von Tair gewesen zu sein und sich diese Geschichte nur ausgedacht zu haben, um von sich abzulenken.
In 2013 nun antwortete auf Facebook plötzlich jemand auf solche Beschuldigungen, indem er die beiden Mädchen in Schutz nahm und schrieb, sie seien unschuldig, das wisse er genau, weil er wisse, wer tatsächlich der Mörder sei. Die Polizei machte den Autor dieses Facebook Statements ausfindig (öffentlich unter dem Kürzel AH bekannt) und lud ihn zur Zeugenvernehmung.
Nach seiner Aussage hatte seine damalige Freundin AK ihm den Mord gestanden. Ihrer Aussage nach habe sie einen Pullover und eine Hose von ihm angezogen, eine Locken-Perücke aufgesetzt, die sie von Purim (eine Art jüdischer Karneval) über hatte und eine Tasche mit Ersatzkleidung, Handschuhen und einem Jagdmesser mitgenommen, sei in einem Pulk von Schülern unentdeckt in die Schule gekommen und habe sich dann ca. zwei Stunden auf der Mädchentoilette versteckt gehalten und abgewartet, bis zu einem Zeitpunkt nur ein einzelnes Mädchen in der Toilette war. Sie griff Tair an ihrer Bluse und drückte sie in eine Kabine und tötete sie dort. Es habe dann jemand an die Tür geklopft, worauf sei "besetzt" gerufen hat. Später sei sie dann in eine Nebenkabine übergestiegen, habe sich dort umgezogen, die blutige Kleidung und das Messer in ihre Tasche gestopft und habe die Schule unbemerkt verlassen. Das Opfer sei rein zufällig ausgewählt, das Motiv sei Blutlust gewesen.
AH habe damals der Polizei nichts davon gesagt, weil er selbst mit dem Gesetz in Konflikt stand und daher jeden Kontakt mit der Polizei vermeiden wollte.
Abseits von der Übereinstimmung mit den öffentlich bekannten Zeugenaussagen war an dieser Version insbesondere auch auffällig, dass es Zeugenaussagen von Schülern gab, die an diesem Tag eine ihnen unbekannte Schülerin gesehen haben wollten mit lockigen Haaren. Dies war zuvor von der Polizei nicht weiter verfolgt worden und auch nicht an die Öffentlichkeit geraten.
AK wurde nun vorgeladen. Sie bestritt eine Täterschaft und behauptete, AH habe das nur erfunden, weil sie ihm gedroht hatte, ihn wegen Vergewaltigung anzuzeigen. Kurz danach erschien AK bei AH und versuchte ihn mit einer Glasscherbe zu verletzen.
AH wurde tatsächlich aufgrund des Vergewaltigungsvorwurfs festgenommen, aber nach 11 Tagen entlassen. Als die Polizei erneut AK zur Vernehmung abholen wollten, versuchte sie, einen Polizisten in den Nacken zu beißen. Seither sitzt sie wohl in einem psychatrischen Krankenhaus.
Schon zwei Jahre zuvor war AK zeitweise in der Psychatrie untergebracht. Dort soll sie einer Zimmergenossin ebenfalls berichtet haben, früher einmal eine Schülerin ermordet zu haben. Die Zimmergenossin hatte dies einer Freundin weitererzählt. Da aber die Zimmergenossin später Selbstmord beging, ist diese Geschichte nur noch aus dritter Hand, eben von dieser Freundin überliefert.
Die Polizei hält die Aussagen von AH ebenso wie von der Freundin der Zimmergenossin zwar für glaubhaft, geht jedoch davon aus, dass AK sich nur selbst eines in der Öffentlichkeit vielthematisierten Verbrechens beschuldigt hat, um sich wichtigzutun, vielleicht auch, um ihre Zimmergenossin damals einzuschüchtern.
Jedoch gibt es eine Spur, die die Version stützt: eines des drei Haare von unbekannten Personen auf dem Opfer stimmt mit AH überein. Es fehlt die Haarwurzel, daher ist die Übereinstimmung nicht zweifelsfrei, aber gut denkbar wäre, dass es von der Kleidung des AH stammt, die AK ja bei der Tat getragen haben soll...
Aktuell werden nochmals auf Antrag der Anwälte von Roman weitere Spuren überprüft:
https://www.timesofisrael.com/state-mulls-reopening-grisly-murder-case-after-dna-test-raises-fresh-speculation/
Quellen:
Wikipedia: Murder of Tair Rada
https://www.timesofisrael.com/topic/tair-rada/ (Sammlung von Artikeln zu dem Thema)
https://truecrimecenter.com/f/who-killed-tair-rada
https://www.ynetnews.com/articles/0,7340,L-5379790,00.html
hier möchte ich mal einen Kriminalfall aus Israel vorstellen, der dort für sehr viel Diskussion gesorgt hat und noch immer sorgt.
Tair Rada war ein 13-jähriges Mädchen, welches am 6. Dezember 2006 in den Mittagsstunden auf der Mädchentoilette ihrer Schule in Katzrin (andere Umschrift Qatzrin) auf ausgesprochen brutale Weise ermordet wurde.
Offiziell ist der Fall ausgeklärt und der Mörder verurteilt. Allerdings gibt es erhebliche Zweifel an der Schuld des Angeklagten, sogar die Eltern des Opfers haben sich einer Petition von Unterstützern des Verurteilten für ein Wiederaufnahmeverfahren angeschlossen!
2016 sendete der israelische Fernsehkanal HOT8 eine vierteilige Serie über den Fall, diese wurde 2017 von Netflix aufgekauft und international veröffentlicht unter dem Titel "Shadow of Truth" und machte den Fall auch über die Grenzen Israels bekannt.
WICHTIG: auch wenn Stichworte wie Israel und Golanhöhen manchen dazu reizen mögen, dieser Fall hat mit dem Nahostkonflikt absolut nichts zu tun und ich möchte dringend darum bitten, nicht off-topic zu werden und dieses mit dem Kriminalfall in keinem Zusammenhang stehende Thema nicht hier zu diskutieren!
Erstmal die Fakten:
Lokation:
Der Fall trägt sich zu in dem Ort קצרין, je nach Umschrift Katzrin oder auch Qatzrin geschrieben, einer Kleinstadt mit rund 7000 Einwohnern in den Golanhöhen. Ort des Verbrechens ist die Nofey Golan High School, die größte weiterführende Schule in der Region mit 600 Schülern.
Auf Google Maps: https://www.google.com/maps?ll=32.9905,35.6952&q=32.9905,35.6952&hl=en&t=m&z=11
Opfer:
Tair Rada war die 13 jährige Tochter von Ilana and Shmuel Rada. Sie ging in die achte Klasse der Nofey Golan High School.
Tatverlauf:
Am 6. Dezember 2006 schwänzte Tair Rada die siebte und letzte Schulstunde und hielt sich stattdessen mit Freundinnen im Schulgarten auf. Etwa 13:15 verließ sie die Freundinnen, um nach eigener Aussage am Wasserspender in der Pausenhalle etwas zu trinken. Sie wurde danach noch von zwei Jungen gesehen, wie sie die Treppen in Richtung der Toiletten im Bereich der 10.Klassen stieg. Die 10. Klassen waren an diesem Tag auf einem Schulausflug, daher war dieser Bereich ungewöhnlich ruhig und leer.
Als Tair nicht nachhause kam, meldete ihre Familie sie bei der Polizei als vermisst und eine Suche begann. Abends um 7 Uhr wurde sie auf der Schultoilette ermordet aufgefunden.
Der Täter hatte sie offenbar auf der Toilette beim Betreten einer Kabine angegriffen, ihr die Kehle mit einem Messer mit zwei Schnitten durchgeschnitten und noch eine Vielzahl weiterer Verletzungen (mindestens sieben Schläge auf den Kopf und eine Vielzahl von Stichen) zugefügt, die darauf hindeuteten, dass hier jemand im Zustand der Rage vorgegangen war, kein kaltblütiger Mord, sondern ein Mord aus Hass o.ä. Offenbar noch nach Eintreten des Todes hatte der Täter die Pulsadern aufgeschnitten, vermutlich um sicherzugehen, dass das Opfer auch wirklich tot ist. Der Täter hatte die Tür der Kabine von innen verriegelt und war den Spuren zufolge auf das Opfer geklettert und über die Trennwand in die danebenliegende Kabine übergeklettert und von dort aus geflohen.
Untersuchung:
Da die Schule der Terrorgefahr auf den Golanhöhen geschuldet eingezäunt ist und der Eingang durch einen Sicherheitsdienst besetzt ist, wurde ein äußerer Täter schnell ausgeschlossen. Ein Obdachloser aus dem Ort wurde zwar kurzzeitig festgenommen, aber sehr schnell als Täter ausgeschlossen.
Abwehrspuren deuteten auf einen schwachen Täter hin. An der Schule war es bereits in der Vergangenheit zu mehreren Fällen von Jugendkriminalität gekommen, zu Drogenhandel und zu Prostituition und es gab an der Schule eine Gruppe von "Satanisten", Schülerinnen, die schon mal auf einmal auf einem Friedhof randaliert hatten. Zudem berichtete die Mutter, dass Tair in der Woche zuvor ungewöhnlich still und bedrückt gewesen sei, aber auf Nachfrage nicht sagen wollte, was sie beschäftigte, die Mutter hatte das dann auf pubertäre Stimmungsschwankungen geschoben und nicht weiter beachtet, nun aber wurde die Frage gestellt, ob hier nicht ein Fall von eskaliertem Mobbing vorlag.
In diesem Kontext gewann auch die Aussage zweier Mitschülerinnen Bedeutung, die aussagten, etwa zu der Zeit des vermutlichen Mordes (kurz nach 13:20 Uhr) ebenfalls die Toilette aufgesucht zu haben und dort seltsame Geräusche aus einer Kabine gehört hatten. Als sie an die Kabinentür anklopften, habe eine Mädchenstimme von innen "besetzt" gerufen.
Dann jedoch ermittelte die Polizei in eine andere Richtung: mehrere Zeugen hatten ein verdächtiges Verhalten des Schulgärtners um die Zeit der Tat beobachtet. Der Schulgärtner wurde festgenommen, aber nach wenigen Tagen wieder entlassen, er konnte ein sicheres Alibi nachweisen.
Bei der Überprüfung der weiteren Personen in der Schule zum Zeitpunkt der Tat kam man nun auf Roman Zadorov, einen 32-jährigen Immigranten aus der Ukraine. Dieser war beauftragt und an diesem Tag damit tätig, die Bodenfliesen im Luftschutzbunker der Schule zu erneuern. Bei dieser Gelegenheit wurde festgestellt, dass die Schule den obligatorischen Hintergrund-check für Personen, die sie beschäftigte, hier versäumt hatte. Roman hielt sich zwar legal in Israel auf, besaß aber noch keine Arbeitserlaubnis. Er hatte zudem optisch große Ähnlichkeit mit dem Schulgärtner und könnte daher die Person gewesen sein, die die Zeugen gesehen hatten, als sie glaubten, der Schulgärtner habe sich verdächtig verhalten.
Fünf Tage nach dem Tod von Tair wurde Roman festgenommen. Nach acht Tagen Befragungen legte er schlussendlich ein Geständnis ab und führte bei einer auf Video aufgezeichneten Begehung des Tatortes vor, wie er die Tat begangen habe.
Sehr schnell fielen dabei jedoch Ungereimheiten auf: die Tathypothese der Polizei war, dass Tair Roman auf dem Pausenhof angesprochen habe und um eine Zigarette gebeten hatte, als dieser ihr keine gab, habe sie ihn beschimpft und massiv beleidigt. Davon aufgebracht sei er ihr gefolgt und habe sie im Zorn getötet. Die Tatzeit wurde auf zwischen 13:20 und 13:30 festgelegt.
Gleich drei Dinge sprachen jedoch dagegen: Tair war nach übereinstimmender Aussage aller ihrer Freundinnen Nichtraucherin, sie war auf der Treppe von zwei Jungs gesehen worden, allein, ohne dass ihr jemand gefolgt war und insbesondere zeigte ein Überwachungsvideo in Übereinstimmung mit dem Protokoll des Mobilfunkunternehmens und der Zeugenaussage des Chefs von Roman, dass er bis 13:27 sich auf dem Pausenhof nahe des Schultores aufgehalten hatte und dort mit seinem Chef telefoniert hatte. Die Polizei verschob daher den vermuteten Tatzeitpunkt auf die Zeit zwischen 13:30 und 14:00 (ab 14 Uhr hatte sich Roman in der Schulkantine aufgehalten und dort gegessen) und vermutete nun ein sexuelles Motiv.
Bei der Nachstellung der Tat auf Video machte der Täter dann auch eine Reihe von Fehlern, zunächst verläuft er sich im Gebäude und findet den Tatort nicht, die Schnitte der Kehle des Opfers führt er in falscher Rchtung vor, den Schläge auf den Kopf und die Schnitte der Pulsadern vergisst er, er behauptet zunächst, die Tür der Kabine nur zugedrückt zu haben, als ihm vorgehalten wird, die Tür sei von innen verriegelt gewesen, führt er vor, über die Tür rübergestiegen zu sein, obwohl die Spuren zeigen, dass der Täter über die Seitenwand in die Nebenkabine gestiegen ist.
Weiter behauptet er, die Tatwaffe sei ein Cutter gewesen, den er anschliessend im Bunker auf den Boden gelegt und überfliest hatte. Daraufhin werden die Fliesen aufgebrochen, aber es wird kein Messer gefunden. Zudem belegt die medizinische Untersuchung der Schnitte, dass die Tatwaffe ein Messer mit Wellenschliff war.
Auch sonst bringt keine Spur Roman mit dem Mord in Verbindung: es werden 60 verschiedene Fingerabdrücke gefunden, aber keiner davon von Roman, es werden auf der Leiche Haare dreier unbekannter Personen gefunden, aber keine von Roman, DNA und andere biologische Spuren führen ebenso zu keiner Verbindung mit Roman. Weiterhin werden seine Kleidung, seine Schuhe und sonstige Gegenstände, die er an diesem Tag mit sich führte (Werkzeug...) überprüft, darauf aber keine Blutspuren oder andere Spuren des Opfers gefunden.
Am nächsten Tag widerruft Roman sein Geständnis.
Prozesse:
Nichtsdestoweniger wird Roman Zadorov im Januar 2007 angeklagt vor dem Nazareth District Court und September 2010 verurteilt. Der Supreme Court von Israel lässt 2013 eine Berufung zu und der Fall wird erneut untersucht, was im Dezember 2014 zu einer erneuten Verurteilung führt. Der Antrag auf erneute Anhörung wurde Dezember 2015 vom Supreme Court abgelehnt in einer split decision 2 zu 1.
Nebenschauplätze:
In einem Nebenstrang des Falles kam der Richter Yitzhak Cohen vom Nazareth District Court, der die erste Verurteilung ausgesprochen hatte, unter Beschuß, er musste Anfang 2014 aufgrund von Vorwürfen sexueller Angriffe auf eine Staatsanwältin von seinem Amt zurücktreten.
Noch näher an der Sache selbst dran war ein zweiter Skandal im Kontext dieses Falls. Dr Forman hatte im ersten Verfahren als Gutachterin ausgesagt zu dem Thema der Tatwaffe und dargelegt, dass die behauptete Tatwaffe, ein Cutter, nicht die Tatwaffe gewesen sein könne! Kurz nach dem Verfahren versuchte der Generalstaatsanwalt Shai Nitzan Dr Forman die Akkreditierung als Gutachterin zu entziehen. Diese wehrte sich mit einer Klage, wobei sich die Israeli Medical Association und sogar das Gesundheitsministerium auf ihre Seiten schlugen. Die Generalstaatsanwaltschaft versuchte, Unterstützung bei Dr Kugel vom staatlichen forenischen Institut zu erhalten, dieser jedoch schrieb eine Stellungnahme, in der er die Position von Dr Forman unterstützte. Die Generalstaatsanwaltschaft verweigerte zunächst die Annahme dieser Stellungnahme, versuchte dann eine editierte, entschärfte Version in die Gerichtsakten aufzunehmen, am Schluss wurden beide Versionen aufgenommen, was in der Öffentlichkeit die Sache nun noch mehr anheizte. Die Commissioner of Prosecutorial Oversight Richterin im Ruhestand Hila Gerstel (so eine Art Ombudsfrau) veröffentlichte nun auch eine Stellungnahme mit dem "finding that the State Prosecution engaged in tampering with witnesses and perverting/obstruction of justice". Dies eskalierte dazu, dass am 4. April 2016 alle Staatsanwälte in Israel in Streik traten. Dieser endete am 18. April mit dem Rücktritt von Hila Gerstel von ihrer Position.
Neue Entwicklungen:
In Sozialen Medien wurden immer wieder die beiden Schülerinnen, die zur gleichen Zeit wie Tair auf der Mädchentoilette waren und ausgesagt hatten, an die Kabinentür geklopft zu haben, beschuldigt, die Mörderinnen von Tair gewesen zu sein und sich diese Geschichte nur ausgedacht zu haben, um von sich abzulenken.
In 2013 nun antwortete auf Facebook plötzlich jemand auf solche Beschuldigungen, indem er die beiden Mädchen in Schutz nahm und schrieb, sie seien unschuldig, das wisse er genau, weil er wisse, wer tatsächlich der Mörder sei. Die Polizei machte den Autor dieses Facebook Statements ausfindig (öffentlich unter dem Kürzel AH bekannt) und lud ihn zur Zeugenvernehmung.
Nach seiner Aussage hatte seine damalige Freundin AK ihm den Mord gestanden. Ihrer Aussage nach habe sie einen Pullover und eine Hose von ihm angezogen, eine Locken-Perücke aufgesetzt, die sie von Purim (eine Art jüdischer Karneval) über hatte und eine Tasche mit Ersatzkleidung, Handschuhen und einem Jagdmesser mitgenommen, sei in einem Pulk von Schülern unentdeckt in die Schule gekommen und habe sich dann ca. zwei Stunden auf der Mädchentoilette versteckt gehalten und abgewartet, bis zu einem Zeitpunkt nur ein einzelnes Mädchen in der Toilette war. Sie griff Tair an ihrer Bluse und drückte sie in eine Kabine und tötete sie dort. Es habe dann jemand an die Tür geklopft, worauf sei "besetzt" gerufen hat. Später sei sie dann in eine Nebenkabine übergestiegen, habe sich dort umgezogen, die blutige Kleidung und das Messer in ihre Tasche gestopft und habe die Schule unbemerkt verlassen. Das Opfer sei rein zufällig ausgewählt, das Motiv sei Blutlust gewesen.
AH habe damals der Polizei nichts davon gesagt, weil er selbst mit dem Gesetz in Konflikt stand und daher jeden Kontakt mit der Polizei vermeiden wollte.
Abseits von der Übereinstimmung mit den öffentlich bekannten Zeugenaussagen war an dieser Version insbesondere auch auffällig, dass es Zeugenaussagen von Schülern gab, die an diesem Tag eine ihnen unbekannte Schülerin gesehen haben wollten mit lockigen Haaren. Dies war zuvor von der Polizei nicht weiter verfolgt worden und auch nicht an die Öffentlichkeit geraten.
AK wurde nun vorgeladen. Sie bestritt eine Täterschaft und behauptete, AH habe das nur erfunden, weil sie ihm gedroht hatte, ihn wegen Vergewaltigung anzuzeigen. Kurz danach erschien AK bei AH und versuchte ihn mit einer Glasscherbe zu verletzen.
AH wurde tatsächlich aufgrund des Vergewaltigungsvorwurfs festgenommen, aber nach 11 Tagen entlassen. Als die Polizei erneut AK zur Vernehmung abholen wollten, versuchte sie, einen Polizisten in den Nacken zu beißen. Seither sitzt sie wohl in einem psychatrischen Krankenhaus.
Schon zwei Jahre zuvor war AK zeitweise in der Psychatrie untergebracht. Dort soll sie einer Zimmergenossin ebenfalls berichtet haben, früher einmal eine Schülerin ermordet zu haben. Die Zimmergenossin hatte dies einer Freundin weitererzählt. Da aber die Zimmergenossin später Selbstmord beging, ist diese Geschichte nur noch aus dritter Hand, eben von dieser Freundin überliefert.
Die Polizei hält die Aussagen von AH ebenso wie von der Freundin der Zimmergenossin zwar für glaubhaft, geht jedoch davon aus, dass AK sich nur selbst eines in der Öffentlichkeit vielthematisierten Verbrechens beschuldigt hat, um sich wichtigzutun, vielleicht auch, um ihre Zimmergenossin damals einzuschüchtern.
Jedoch gibt es eine Spur, die die Version stützt: eines des drei Haare von unbekannten Personen auf dem Opfer stimmt mit AH überein. Es fehlt die Haarwurzel, daher ist die Übereinstimmung nicht zweifelsfrei, aber gut denkbar wäre, dass es von der Kleidung des AH stammt, die AK ja bei der Tat getragen haben soll...
Aktuell werden nochmals auf Antrag der Anwälte von Roman weitere Spuren überprüft:
https://www.timesofisrael.com/state-mulls-reopening-grisly-murder-case-after-dna-test-raises-fresh-speculation/
Quellen:
Wikipedia: Murder of Tair Rada
https://www.timesofisrael.com/topic/tair-rada/ (Sammlung von Artikeln zu dem Thema)
https://www.ynetnews.com/articles/0,7340,L-5379790,00.html