Der NSU Prozess
05.05.2013 um 16:18Sie haben es gewollt!
04.05.2013 · Ein Brief an Manfred Götzl, den Vorsitzenden Richter im Münchner NSU-Prozess: Unsere Rechtskultur lebt von einer Öffentlichkeit, die diesen Namen verdient. Und nicht von der Farce einer Gerichtstombola.
Sehr geehrter Herr Götzl,
das ist kein Brief in eigener Sache. Es geht nicht um uns Journalisten, denen Sie den Zugang zu dem von Ihnen geleiteten NSU-Prozess so außerordentlich erschweren. Wir sind in unserem Beruf Widrigkeiten gewohnt. Es geht auch nicht um Sie. Sie sind als Richterpersönlichkeit so, wie Sie sind. Dass darüber Unfreundliches zu lesen war, müssen Sie ertragen. Sie müssen Berichte ertragen, dass Sie einen Zeugen gemaßregelt haben sollen, nur weil er ohne Ihre Erlaubnis einen Schluck Wasser getrunken habe. Berichte, dass Sie aufbrausend seien, wenn Ihnen widersprochen werde. Berichte über angebliche Wutausbrüche, wenn eine „Unterwerfung“ der Verfahrensbeteiligten ausbleibe. Wir werden sehen, ob Sie in einem so schwierigen Verfahren wie dem NSU-Prozess in der Hauptverhandlung besser zurechtkommen als bei seiner Vorbereitung. Wir hoffen es.
Denn es geht nur um eines: den Opfern, den Hinterbliebenen und den Angeklagten gerecht zu werden. Das kann nur gelingen, wenn das Herz unserer Rechtskultur intakt bleibt: die Öffentlichkeit eines Prozesses. Sie haben wenig Zeit, sehr geehrter Herr Götzl, deshalb kommen wir gleich auf den Punkt: Öffentlichkeit in einem Verfahren, in dem es um Taten geht, mit denen Menschen allein wegen ihrer Herkunft ermordet wurden, von Tätern, die sich in einer grausamen historischen Kontinuität wähnten, kann sich nicht in einer Warteschlange vor Ihrem Gerichtsgebäude erschöpfen.
Im Freibad oder auf dem Sofa - gerne!
Öffentlichkeit in einem Verfahren, in dem ergründet werden muss, warum die deutsche Geschichte in ihrer schlimmsten Verirrung, dem mörderischen Rassenhass, nicht vergehen will, kann nicht aus Musiksendern, Frauenzeitschriften und den Websites von Anzeigenblättern bestehen. Wir hören gerne „Radio Charivari“ - „Münchens Hitradio“ - im Freibad. Wir blättern gerne auf dem Sofa in der „Brigitte“, der „klassischen Frauenzeitschrift“, die damit wirbt, „kompetent und gründlich bei Themen wie Mode, Schönheit, Wellness und Kochen, Wohnen und Reise“ zu sein. Wir lesen auch gerne bei „Hallo München“, wie es um Balkonkästen und nörgelnde Nachbarn bestellt ist.
Aber soll das die Öffentlichkeit sein in einem Verfahren von nationaler und internationaler Bedeutung? Wir wollen mit Ihnen nicht über Vorsatz und Fahrlässigkeit streiten. Wir wollen nicht mit Ihnen streiten, dass Sie, als Sie das Losverfahren zur Vergabe der Presseplätze gestaltet haben, zumindest billigend in Kauf genommen haben, dass in dem kleinen Kontingent für Tageszeitungen am Ende der Ziehung mit Ausnahme einer großen Boulevardzeitung nur regionale Blätter einen sicheren Platz hatten. Wir wollen nicht mit Ihnen darüber streiten, ob Sie damit gerechnet haben, dass die Frankfurter Allgemeine nur dank der Hilfsbereitschaft der zur Mediengruppe Madsack gehörenden „Oberhessischen Presse“ die Chance hat, über den Prozess zu berichten. Die „Oberhessische Presse“ hat uns ihren Platz überlassen, da sie ihre Prozessberichterstattung über einen Austausch aller Madsack-Titel sicherstellen kann. Zur Mediengruppe Madsack gehören auch die „Lübecker Nachrichten“, die einen weiteren Platz zugelost bekamen.
Mehr als Revisionssicherheit
Wir brauchen nicht darüber zu reden, dass Ihr Gerichtspräsident Kritik an Ihnen als „Angriffe“ bezeichnet, „die in der deutschen Geschichte ohne Beispiel“ seien - wer hätte kein Mitgefühl für Sie, einen solchen Unterstützer zu haben. Oder eine Unterstützerin wie die Pressesprecherin Ihres Gerichts, die auf die kleine Journalistenmünze, der NSU-Prozess sei ein Jahrhundertverfahren, den großen Schein herausgibt, sie möge solche Bewertungen nicht, das „Tausendjährige Reich“ habe schließlich auch „vielleicht nur fünfzehn Jahre“ gedauert.
Nochmals: Es geht nicht um Sie, um Ihren Präsidenten, Ihre Pressesprecherin, es geht nicht um uns Journalisten. Es geht um unsere Rechtskultur, die sich nicht darin erschöpft, ein Urteil revisionssicher zu machen. Dass das 2013 aufgeschrieben werden muss, hätten wir uns nach der Katastrophe des deutschen Rechtspositivismus nicht träumen lassen. Eine Öffentlichkeit herzustellen, die nur formal, nicht inhaltlich definiert wird, ist eine Karikatur. Wie soll Öffentlichkeit in einem Verfahren, in dem die Grundfeste unseres Gemeinwesens verhandelt werden, anders hergestellt werden als durch eine Berichterstattung in überregionalen Tageszeitungen und Wochenzeitungen? In überregionalen Zeitungen, die in der gebotenen Ausführlichkeit informieren können? In überregionalen Zeitungen, die juristisch ausgebildete, in Gerichtsberichten erfahrene Mitarbeiter haben?
Deutschland-Bild in überregionalen Zeitungen
Das ist kein Dünkel gegen regionale und lokale Zeitungen. Sie haben ihre Stärken und ihre Funktion. Sie bieten hohe journalistische Qualität, die unsere deutsche Zeitungskultur prägt. Aber wie der NSU-Prozess verläuft, wird auch und gerade jenseits der deutschen Grenzen beobachtet. Das Bild, das sich die Welt von Deutschland macht, wird durch die überregionalen Zeitungen bestimmt. Es bedarf nicht viel Vorstellungskraft, welche Schlüsse daraus gezogen werden, wenn der Eindruck entsteht, in Deutschland habe man gar kein Interesse, dass der NSU-Prozess in überregionalen Zeitungen dokumentiert wird, die in Washington, Paris und Peking gelesen werden, und nicht nur dort: Die Frankfurter Allgemeine wird in rund neunzig Ländern verbreitet.
Das ist auch kein Dünkel gegen die elektronischen Medien, die ihre Stärke und ihre Funktion haben, die aber auf bewegte Bilder angewiesen sind und in einer Gerichtsverhandlung an ihre Grenzen stoßen. Das ist kein Dünkel gegen Nachrichtenagenturen, die knapp und schnell informieren. Aber wir als überregionale Zeitungen haben auch unsere Stärken und unsere Funktion - und die sind in einem Verfahren wie dem NSU-Prozess von zentraler Bedeutung. Dieses Verfahren wird in die Geschichte eingehen; sollten sich künftige Historikergenerationen aus „Hallo München“ und „Radio Lotte Weimar“ ein Bild machen?
„Sie wussten, was Sie tun“
Es schmerzt, sehr geehrter Herr Götzl, einem hohen Richter sagen zu müssen, was es für die Rechtskultur bedeutet, dass sich die Öffentlichkeit aus einem pluralen überregionalen Zeitungsangebot informieren kann. Dass sie in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“, in der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“, in der „Süddeutschen Zeitung“, in der „taz“, in der „Welt“, in der „Zeit“ lesen können, was erfahrene Berichterstatter wahrnehmen, wie sie Vorgänge einschätzen, wie sie Einlassungen bewerten. Die Leser können sich ein vielfältiges Bild verschaffen, können vergleichen, können ihre Schlüsse ziehen. Sie, sehr geehrter Herr Götzl, müssten am besten wissen, dass es ganz unterschiedliche Wahrnehmungen eines Prozessgeschehens gibt. Um ein Wort eines früheren Staatsmannes abzuwandeln: „Bild“ und Glotze - und „Radio Lora München“ reichen nicht.
Sie werden uns nicht die Antwort entgegenhalten, die Sie als Richter nur zu gut kennen: „Das habe ich nicht gewollt.“ Sie wussten, was Sie taten, als Sie die Brücke ignorierten, die Ihnen das Bundesverfassungsgericht baute, mit der Anregung, doch drei zusätzliche Plätze für ausländische Medien zu schaffen, die im ersten Akkreditierungsverfahren leer ausgegangen waren. Sie wussten, was Sie in Kauf nahmen, als Sie die erste Akkreditierungsliste, die einigermaßen ausgewogen war, zur Seite fegten und ein Losverfahren bestimmten, das, wie es der frühere Präsident des Bundesverfassungsgerichts Hans-Jürgen Papier formuliert, zu „Merkwürdigkeiten“ führen musste.
Wie bei der Tombola eines Kleingartenvereins
Wir wissen natürlich: Sie haben die Macht. Das Bundesverfassungsgericht billigt Ihnen „einen erheblichen Ermessensspielraum“ bei der Vergabe von Presseplätzen zu. Aber ist das ein Freibrief für ein inhaltsentleertes Gerichtslotto? Das können die Verfassungsrichter nicht gewollt haben. Sie haben die Macht. Sie können sagen, was schert mich die Öffentlichkeit, was schert mich, wer auf den Pressestühlen sitzt, was schert mich, wer vor den Gerichtssälen steht. Sie können sagen: Was kümmert mich das Geschwätz der Mehrheit der Rechtsexperten, die eine Videoübertragung in einen anderen Gerichtssaal für zulässig halten. Was kümmert mich, dass nach den Pannen im ersten Akkreditierungsverfahren auch die Auslosung fehlerhaft war und eine „Nachauslosung“ notwendig wurde, als müsse bei der Tombola eines Kleingartenvereins noch ein Häcksler unter die Leute gebracht werden.
Sie haben die Macht - für den Augenblick. Der Bundesgerichtshof, die Revisionsinstanz, ist noch weit entfernt. Damit kein Missverständnis aufkommt: Wir hoffen nicht, dass ein Urteil, wie immer es ausfallen mag, aufgehoben wird, weil die Revisionsrichter eine Simulation einer Öffentlichkeit nicht für eine Öffentlichkeit halten, wie sie unsere Rechtskultur gebietet. Nichts wäre schlimmer, als dass die quälende Geschichte der polizeilichen und juristischen Aufklärung der NSU-Morde immer weiter gedehnt würde. Wir können nur hoffen, dass der Gesetzgeber Klarheit schafft, wie eine Öffentlichkeit in Gerichtsverfahren zu garantieren ist, die diesen Namen verdient. Damit Sie keine Nachahmer finden.
Mit freundlichen Grüßen
Albert Schäffer
Ein Brief der genau die Momentane Situation wiedergibt
04.05.2013 · Ein Brief an Manfred Götzl, den Vorsitzenden Richter im Münchner NSU-Prozess: Unsere Rechtskultur lebt von einer Öffentlichkeit, die diesen Namen verdient. Und nicht von der Farce einer Gerichtstombola.
Sehr geehrter Herr Götzl,
das ist kein Brief in eigener Sache. Es geht nicht um uns Journalisten, denen Sie den Zugang zu dem von Ihnen geleiteten NSU-Prozess so außerordentlich erschweren. Wir sind in unserem Beruf Widrigkeiten gewohnt. Es geht auch nicht um Sie. Sie sind als Richterpersönlichkeit so, wie Sie sind. Dass darüber Unfreundliches zu lesen war, müssen Sie ertragen. Sie müssen Berichte ertragen, dass Sie einen Zeugen gemaßregelt haben sollen, nur weil er ohne Ihre Erlaubnis einen Schluck Wasser getrunken habe. Berichte, dass Sie aufbrausend seien, wenn Ihnen widersprochen werde. Berichte über angebliche Wutausbrüche, wenn eine „Unterwerfung“ der Verfahrensbeteiligten ausbleibe. Wir werden sehen, ob Sie in einem so schwierigen Verfahren wie dem NSU-Prozess in der Hauptverhandlung besser zurechtkommen als bei seiner Vorbereitung. Wir hoffen es.
Denn es geht nur um eines: den Opfern, den Hinterbliebenen und den Angeklagten gerecht zu werden. Das kann nur gelingen, wenn das Herz unserer Rechtskultur intakt bleibt: die Öffentlichkeit eines Prozesses. Sie haben wenig Zeit, sehr geehrter Herr Götzl, deshalb kommen wir gleich auf den Punkt: Öffentlichkeit in einem Verfahren, in dem es um Taten geht, mit denen Menschen allein wegen ihrer Herkunft ermordet wurden, von Tätern, die sich in einer grausamen historischen Kontinuität wähnten, kann sich nicht in einer Warteschlange vor Ihrem Gerichtsgebäude erschöpfen.
Im Freibad oder auf dem Sofa - gerne!
Öffentlichkeit in einem Verfahren, in dem ergründet werden muss, warum die deutsche Geschichte in ihrer schlimmsten Verirrung, dem mörderischen Rassenhass, nicht vergehen will, kann nicht aus Musiksendern, Frauenzeitschriften und den Websites von Anzeigenblättern bestehen. Wir hören gerne „Radio Charivari“ - „Münchens Hitradio“ - im Freibad. Wir blättern gerne auf dem Sofa in der „Brigitte“, der „klassischen Frauenzeitschrift“, die damit wirbt, „kompetent und gründlich bei Themen wie Mode, Schönheit, Wellness und Kochen, Wohnen und Reise“ zu sein. Wir lesen auch gerne bei „Hallo München“, wie es um Balkonkästen und nörgelnde Nachbarn bestellt ist.
Aber soll das die Öffentlichkeit sein in einem Verfahren von nationaler und internationaler Bedeutung? Wir wollen mit Ihnen nicht über Vorsatz und Fahrlässigkeit streiten. Wir wollen nicht mit Ihnen streiten, dass Sie, als Sie das Losverfahren zur Vergabe der Presseplätze gestaltet haben, zumindest billigend in Kauf genommen haben, dass in dem kleinen Kontingent für Tageszeitungen am Ende der Ziehung mit Ausnahme einer großen Boulevardzeitung nur regionale Blätter einen sicheren Platz hatten. Wir wollen nicht mit Ihnen darüber streiten, ob Sie damit gerechnet haben, dass die Frankfurter Allgemeine nur dank der Hilfsbereitschaft der zur Mediengruppe Madsack gehörenden „Oberhessischen Presse“ die Chance hat, über den Prozess zu berichten. Die „Oberhessische Presse“ hat uns ihren Platz überlassen, da sie ihre Prozessberichterstattung über einen Austausch aller Madsack-Titel sicherstellen kann. Zur Mediengruppe Madsack gehören auch die „Lübecker Nachrichten“, die einen weiteren Platz zugelost bekamen.
Mehr als Revisionssicherheit
Wir brauchen nicht darüber zu reden, dass Ihr Gerichtspräsident Kritik an Ihnen als „Angriffe“ bezeichnet, „die in der deutschen Geschichte ohne Beispiel“ seien - wer hätte kein Mitgefühl für Sie, einen solchen Unterstützer zu haben. Oder eine Unterstützerin wie die Pressesprecherin Ihres Gerichts, die auf die kleine Journalistenmünze, der NSU-Prozess sei ein Jahrhundertverfahren, den großen Schein herausgibt, sie möge solche Bewertungen nicht, das „Tausendjährige Reich“ habe schließlich auch „vielleicht nur fünfzehn Jahre“ gedauert.
Nochmals: Es geht nicht um Sie, um Ihren Präsidenten, Ihre Pressesprecherin, es geht nicht um uns Journalisten. Es geht um unsere Rechtskultur, die sich nicht darin erschöpft, ein Urteil revisionssicher zu machen. Dass das 2013 aufgeschrieben werden muss, hätten wir uns nach der Katastrophe des deutschen Rechtspositivismus nicht träumen lassen. Eine Öffentlichkeit herzustellen, die nur formal, nicht inhaltlich definiert wird, ist eine Karikatur. Wie soll Öffentlichkeit in einem Verfahren, in dem die Grundfeste unseres Gemeinwesens verhandelt werden, anders hergestellt werden als durch eine Berichterstattung in überregionalen Tageszeitungen und Wochenzeitungen? In überregionalen Zeitungen, die in der gebotenen Ausführlichkeit informieren können? In überregionalen Zeitungen, die juristisch ausgebildete, in Gerichtsberichten erfahrene Mitarbeiter haben?
Deutschland-Bild in überregionalen Zeitungen
Das ist kein Dünkel gegen regionale und lokale Zeitungen. Sie haben ihre Stärken und ihre Funktion. Sie bieten hohe journalistische Qualität, die unsere deutsche Zeitungskultur prägt. Aber wie der NSU-Prozess verläuft, wird auch und gerade jenseits der deutschen Grenzen beobachtet. Das Bild, das sich die Welt von Deutschland macht, wird durch die überregionalen Zeitungen bestimmt. Es bedarf nicht viel Vorstellungskraft, welche Schlüsse daraus gezogen werden, wenn der Eindruck entsteht, in Deutschland habe man gar kein Interesse, dass der NSU-Prozess in überregionalen Zeitungen dokumentiert wird, die in Washington, Paris und Peking gelesen werden, und nicht nur dort: Die Frankfurter Allgemeine wird in rund neunzig Ländern verbreitet.
Das ist auch kein Dünkel gegen die elektronischen Medien, die ihre Stärke und ihre Funktion haben, die aber auf bewegte Bilder angewiesen sind und in einer Gerichtsverhandlung an ihre Grenzen stoßen. Das ist kein Dünkel gegen Nachrichtenagenturen, die knapp und schnell informieren. Aber wir als überregionale Zeitungen haben auch unsere Stärken und unsere Funktion - und die sind in einem Verfahren wie dem NSU-Prozess von zentraler Bedeutung. Dieses Verfahren wird in die Geschichte eingehen; sollten sich künftige Historikergenerationen aus „Hallo München“ und „Radio Lotte Weimar“ ein Bild machen?
„Sie wussten, was Sie tun“
Es schmerzt, sehr geehrter Herr Götzl, einem hohen Richter sagen zu müssen, was es für die Rechtskultur bedeutet, dass sich die Öffentlichkeit aus einem pluralen überregionalen Zeitungsangebot informieren kann. Dass sie in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“, in der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“, in der „Süddeutschen Zeitung“, in der „taz“, in der „Welt“, in der „Zeit“ lesen können, was erfahrene Berichterstatter wahrnehmen, wie sie Vorgänge einschätzen, wie sie Einlassungen bewerten. Die Leser können sich ein vielfältiges Bild verschaffen, können vergleichen, können ihre Schlüsse ziehen. Sie, sehr geehrter Herr Götzl, müssten am besten wissen, dass es ganz unterschiedliche Wahrnehmungen eines Prozessgeschehens gibt. Um ein Wort eines früheren Staatsmannes abzuwandeln: „Bild“ und Glotze - und „Radio Lora München“ reichen nicht.
Sie werden uns nicht die Antwort entgegenhalten, die Sie als Richter nur zu gut kennen: „Das habe ich nicht gewollt.“ Sie wussten, was Sie taten, als Sie die Brücke ignorierten, die Ihnen das Bundesverfassungsgericht baute, mit der Anregung, doch drei zusätzliche Plätze für ausländische Medien zu schaffen, die im ersten Akkreditierungsverfahren leer ausgegangen waren. Sie wussten, was Sie in Kauf nahmen, als Sie die erste Akkreditierungsliste, die einigermaßen ausgewogen war, zur Seite fegten und ein Losverfahren bestimmten, das, wie es der frühere Präsident des Bundesverfassungsgerichts Hans-Jürgen Papier formuliert, zu „Merkwürdigkeiten“ führen musste.
Wie bei der Tombola eines Kleingartenvereins
Wir wissen natürlich: Sie haben die Macht. Das Bundesverfassungsgericht billigt Ihnen „einen erheblichen Ermessensspielraum“ bei der Vergabe von Presseplätzen zu. Aber ist das ein Freibrief für ein inhaltsentleertes Gerichtslotto? Das können die Verfassungsrichter nicht gewollt haben. Sie haben die Macht. Sie können sagen, was schert mich die Öffentlichkeit, was schert mich, wer auf den Pressestühlen sitzt, was schert mich, wer vor den Gerichtssälen steht. Sie können sagen: Was kümmert mich das Geschwätz der Mehrheit der Rechtsexperten, die eine Videoübertragung in einen anderen Gerichtssaal für zulässig halten. Was kümmert mich, dass nach den Pannen im ersten Akkreditierungsverfahren auch die Auslosung fehlerhaft war und eine „Nachauslosung“ notwendig wurde, als müsse bei der Tombola eines Kleingartenvereins noch ein Häcksler unter die Leute gebracht werden.
Sie haben die Macht - für den Augenblick. Der Bundesgerichtshof, die Revisionsinstanz, ist noch weit entfernt. Damit kein Missverständnis aufkommt: Wir hoffen nicht, dass ein Urteil, wie immer es ausfallen mag, aufgehoben wird, weil die Revisionsrichter eine Simulation einer Öffentlichkeit nicht für eine Öffentlichkeit halten, wie sie unsere Rechtskultur gebietet. Nichts wäre schlimmer, als dass die quälende Geschichte der polizeilichen und juristischen Aufklärung der NSU-Morde immer weiter gedehnt würde. Wir können nur hoffen, dass der Gesetzgeber Klarheit schafft, wie eine Öffentlichkeit in Gerichtsverfahren zu garantieren ist, die diesen Namen verdient. Damit Sie keine Nachahmer finden.
Mit freundlichen Grüßen
Albert Schäffer
Ein Brief der genau die Momentane Situation wiedergibt