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Suizidologie: gefährdende und stützende Aspekte von Suizidforen
03.10.2012 um 18:06Ich hab ne ganze Weile hin- und her überlegt, in welchen Forenbereich ich das einstelle.
Da ich das Thema gern fachlich diskutieren möchte, habe ich in der Hoffnung reflexhafte Reaktionen ("Alles kranke Spinner!!"), religiöse Anschauungen ("Sünder!!") und andere wenig konstruktive Statements mögen sich auf ein Minimum beschränken, den Wissenschaftsbereich gewählt. Falls nicht ok, dann halt verschieben. ;)
Aber nun zum Thema.
Suizid-Foren im Internet erregten erstmalig das Interesse einer breiteren Öffentlichkeit, nachdem bekannt wurde, dass sich ein 24jähriger Norweger und eine 17jährige Österreicherin zum gemeinsamen Suizid verabredet hatten und diesen im Februar 2000 in die Tat umsetzten. Sie hatten sich in eriner einschlägigen Newsgroup kennengelert und ihren gemeinsamen Suizid dort angekündigt, geplant und verabredet. Deutsche Medien (Spiegel, Spiegel TV, Akte 2000...) berichteten über den Fall und in diesem Zusammenhang schwerpunktmäßig über Suizid-Foren, deren Existenz der Allgemeinheit bis dahin weitestgehend unbekannt war, obgleich die ersten deutschsprachigen Suizidforen bereits in den 1990er Jahren entstanden.
Im November 2000 dann der Suizid eines 18-jährigen Moderators eines einschlägigen Forums. Die Vorbereitungen hatte er über Monate online dokumentiert.
Medienrummel, Hackerattacken, Forenumzüge...
Inzwischen ists aber recht ruhig um das Thema geworden.
Ich würde mich freuen begründete, unaufgeregte Einschätzungen informierter Forenuser zu erhalten, wo ihr gefährdende oder stützende Elemente an Suizidforen ausmacht. Insbesondere bin ich an begründeter Kritik an meiner Einschätzung des Sachverhalts interessiert.
Meinen Standpunkt hab ich vor 5 Jahren mal im Fazit einer Referatsausarbeitung begründet dargestellt, deshalb copypaste ich das mal (an meiner Einschätzung hat sich ja nichts geändert).
[Den Namen eines bestimmten Forums hab ich an zwei Stellen durch ** ersetzt]
Da ich das Thema gern fachlich diskutieren möchte, habe ich in der Hoffnung reflexhafte Reaktionen ("Alles kranke Spinner!!"), religiöse Anschauungen ("Sünder!!") und andere wenig konstruktive Statements mögen sich auf ein Minimum beschränken, den Wissenschaftsbereich gewählt. Falls nicht ok, dann halt verschieben. ;)
Aber nun zum Thema.
Suizid-Foren im Internet erregten erstmalig das Interesse einer breiteren Öffentlichkeit, nachdem bekannt wurde, dass sich ein 24jähriger Norweger und eine 17jährige Österreicherin zum gemeinsamen Suizid verabredet hatten und diesen im Februar 2000 in die Tat umsetzten. Sie hatten sich in eriner einschlägigen Newsgroup kennengelert und ihren gemeinsamen Suizid dort angekündigt, geplant und verabredet. Deutsche Medien (Spiegel, Spiegel TV, Akte 2000...) berichteten über den Fall und in diesem Zusammenhang schwerpunktmäßig über Suizid-Foren, deren Existenz der Allgemeinheit bis dahin weitestgehend unbekannt war, obgleich die ersten deutschsprachigen Suizidforen bereits in den 1990er Jahren entstanden.
Im November 2000 dann der Suizid eines 18-jährigen Moderators eines einschlägigen Forums. Die Vorbereitungen hatte er über Monate online dokumentiert.
Medienrummel, Hackerattacken, Forenumzüge...
Inzwischen ists aber recht ruhig um das Thema geworden.
Ich würde mich freuen begründete, unaufgeregte Einschätzungen informierter Forenuser zu erhalten, wo ihr gefährdende oder stützende Elemente an Suizidforen ausmacht. Insbesondere bin ich an begründeter Kritik an meiner Einschätzung des Sachverhalts interessiert.
Meinen Standpunkt hab ich vor 5 Jahren mal im Fazit einer Referatsausarbeitung begründet dargestellt, deshalb copypaste ich das mal (an meiner Einschätzung hat sich ja nichts geändert).
[Den Namen eines bestimmten Forums hab ich an zwei Stellen durch ** ersetzt]
Anders als in der, durch reißerische Berichterstattung geprägten öffentlichen Meinung, welche immer wieder einzig die Gefahren und Extremfälle fokussiert, ist bzgl. der Frage nach einem angemessenen Umgang mit dem Phänomen „Suizid-Foren“ in der Fachwelt ein vielfältiges Meinungsspektrum vertreten. Während manche Autoren, allen voran S. Prass, keinerlei Nutzen in diesen Foren erkennen können, eine neue Kultform, gar Sektenstrukturen (unter Abwesenheit eines Gurus) ausgemacht haben wollen (vgl. Prass, S.; 2002, S. 39f.), zeichnen andere Autoren ein differenzierteres Bild. Sie schreiben Suizid-Foren durchaus wichtige Funktionen zu, in erster Linie die Enttabuisierung dieser Thematik, einhergehend mit der Möglichkeit eigenes suizidales Erleben mitteilen zu können, ohne Angst vor gesellschaftlichen Ausgrenzungsmechanismen haben zu müssen (vgl. Born, M.; 2005, S. 233). Die Kommunikation mit anderen suizidalen Forennutzern fällt leichter, als sich dem realen sozialen Umfeld anzuvertrauen, insbesondere die (distanzwahrende) ausschließlich schriftliche, anonyme Kommunikation bietet Menschen, welche Schwierigkeiten im Umgang mit anderen Menschen haben, neue Möglichkeiten (vgl. ebd.). Das dieser Austausch i.d.R. als hilfreich und entlastend empfunden wird, Suizidgedanken gar erheblich reduziert, ist inzwischen durch ein Forschungsprojekt, durchgeführt mit Nutzern von selbstmordforum.de, belegt (Dann mal los. ;)http://www.selbstmordforum.de/pdf/SuizidforenCE.pdf).
Fiedler (2003, S. 38ff.) benennt eine ganze Reihe stützender, entlastender Aspekte, ohne jedoch die Gefahren von Diskussionen in Suizidforen zu verschweigen. Stützende Aspekte können etwa sein: die Erfahrung, dass andere Menschen sich genauso fühlen und man Verständnis für die eigene Befindlichkeit erfährt, man eigene Suizidalität kommunizieren kann ohne dafür verurteilt / in Frage gestellt zu werden und sich in Diskussionen selbst als stützend/helfend für andere erleben kann. Es kann die wertvolle Erfahrung gemacht werden, sich durch Ironie und Humor distanzieren zu können und etwa durch Methodendiskussionen Entlastung zu erfahren, indem aggressive Affekte kommuniziert werden (vgl. ebd). Gefährdende Aspekte können etwa sein, dass eine Destabilisierung erfolgt, indem sich mit der in den Beiträgen ausgedrückten Hoffnungslosigkeit identifiziert wird, man Postings anderer als kränkend empfindet oder gar Trennung und Ohnmacht durch den Suizid eines anderen Users erlebt. Auch besteht die Möglichkeit, sich trotz großer räumlicher Distanz mit Unbekannten zum Suizid zu verabreden, die Vermeidung sich professionelle Unterstützung zu suchen oder (suizidales) Verhalten anderer User zu imitieren. Durch schwere Krisen anderer Forendiskutanten kann eine Überforderungssituation entstehen und Suizidmittel/ -anleitungen sind u.U. leicht verfügbar. Ebenso können bisher unbekannte Suizidmethoden bekannt gemacht werden und nichtsuizidale Teilnehmer können suizidale User evtl. bewusst missbrauchen/manipulieren (vgl. ebd. S. 40f.). Hierbei muss jedoch berücksichtigt werden, dass fast alle dieser gefährdenden Faktoren in Beziehungen zwischen suizidgefährdeten Menschen kein explizites Internetphänomen sind, sondern sich sowohl im Alltag als auch in der klinischen Praxis vorfinden lassen (vgl. ebd. S. 41). Aufgrund der unterschiedlichen schwerpunktmäßigen Ausrichtung der Inhalte (lange, ausführliche Beschreibung der eigenen Gefühlswelt, wie in nehezu allen Foren zu finden vs. kurze emotionslose Methodendiskussionen, etwa im [**]), unterschiedlicher Zielsetzung und Kompetenz der Verantwortlichen, der unterschiedlichen Positionierung gegenüber professioneller Hilfe sowie der Existenz sehr unterschiedlicher suizidaler Befindlichkeiten („den“ Suizidalen gibt es nicht) verbietet sich eine Pauschalverurteilung aller einschlägigen Foren (wie etwa von S. Prass praktiziert) von selbst. Ein generelles Verbot sämtlicher Foren wäre fatal, da vielen Betroffenen somit die einzige Möglichkeit entlastenden Austausch zu führen, genommen würde. Auch die in nahezu allen Foren zu findende Ablehnung professioneller Einmischung, ist für sich genommen noch kein Indiz für die Gefährlichkeit dieser: die Foren sind überproportional häufig von Jugendlichen frequentiert und die Ablehnung von Hilfe durch, gar professionelle, Erwachsene kann durchaus als Teil (gesunder!) Autonomiebestrebungen betrachtet werden. Die Existenz professionell betreuter Foren, etwa des suizid-forum.com, ist dennoch zu begrüßen: Suizidgefährdete, die sonst professionelle Behandlung vermeiden würden, können erreicht werden, wodurch eine sehr niederschwellige Einleitung professioneller Hilfen für diese Menschen möglich werden kann.
Ein großer Vorteil sämlicher (der Autor bekannten) Foren, vom [**] abgesehen, ist die Tatsache, dass in Notfällen schnelle Hilfe gewährleistet ist: wer etwa einen Suizid ankündigt, wird innerhalb kürzester Zeit Besuch von Polizei und Rettungssanitätern erhalten. Ohne die Suizid-Foren, wäre diese Sofort-Intervention nicht möglich. Suizid-Foren sind zwar kein Ersatz für professionelle Hilfen, können jedoch durchaus eine wertvolle Ergänzung zu diesen Angeboten sein und erfüllen häufig eine wichtige „Scharnierfunktion“, indem sie als „Einstieg“ in z.B. eine Psychotherapie dienen, weil durch Austausch mit anderen Nutzern, Ängste vor „den Professionellen“ abgebaut werden können.
Wichtig zur Erfüllung dieser „Scharnierfunktion“ ist die unübersehbare Platzierung von Links zu professionellen Angeboten in den Foren und eine Nicht-Fundamentalablehnung gegenüber allem Professionellen, auf Seiten der Verantwortlichen.