TheChaser schrieb:In letzter Zeit fällt mir auf,dass die Sonne anders aufgeht als im letzten Jahr
ich gratuliere zu Deiner scharfen Beobachtungsgabe, denn in der Tat hast Du ganz richtig beobachtet.
Am besten könnte ich Dir das "Warum" erklären, wenn wir jetzt zusammensäßen, und ich hätte eine Schultafel und ein Stück Kreide zur Verfügung. Leider weiß ich nicht, wie man hier Bilder einstellt, das würde den Fall auch einfacher machen.
Also versuche ich es rein verbal - gebe aber zu bedenken, daß es sehr sehr lange her ist, daß ich diesbezüglich die Akademie besucht habe. Dementsprechend ist mein geistiges Niveau natürlich gesunken.
Also mal ran:
Erstmal Dein Problem:
Du bist
1. in die Falle des Unterschiedes zwischen
Mittlerer und
Wahrer Zeit getappt.
2. ein Opfer der blöden Tatsache geworden, daß sie die Sonne in einem Jahr nicht genau einmal um die Sonne dreht.
Also spreche ich nun erst einmal von der ZEIT:
Unter "ZEIT" verstehen wir entweder einen Zeit
raum (z.B. 7 Stunden) oder einen Zeit
punkt (z.B: 15:00 Uhr).
Wir machen unsere Zeitangaben nach der regelmäßigsten Bewegung, die wir kennen: der Drehung der Himmelskugel, also nach den Bewegungen der Fixsterne, oder im täglichen Leben: nach der Sonne.
Die Zeit von einer unteren Kulmination eines Gestirnes (Kulmination = Durchgang durch den Himmelsmeridian, (also genau im Süden bzw. Norden) bis zur nächsten unteren Kulmination nennen wir einen "24-Stunden-Tag".
Benutze ich für meine Tag-Definition einen Fixstern, der immer dieselbe Stellung am täglich umschwingenden Fixsternhimmel hat, so erhalte ich zu jeder Zeit für einen Zeitraum "TAG" denselben Wert. Nennen wir das also einfach einen
Sterntag.
So, und jetzt kommt's:
Wollen wir uns jedoch nach der
Sonne richten, so erhalten wir für einen
Sonnentag einen etwas vom Sterntag abweichenden Zeitraum. Denn die Sonne wandert ja in dieser Zeit auf der Ekliptik zwischen den Fixsternen ein Stück entlang - und zwar
gegen den täglichen Umlaufsinn der Fixsterne von West nach Ost.
Da die Erde in einem Jahr die ganze Ekliptik, also 360°, durchläuft kommt sie in einem Tag, dem 365-sten Teil des Jahres, etwa 360°:365Tage = ca. 1°/Tag weiter. Aber eben nicht genau, sondern wie jeder durchtippen kann: nur 0,0986301°. Dazu später noch.
Passieren also heute ein Fixstern und der Mittelpunkt der Sonne gleichzeitig den oberen Meridian (leider in der Praxis nicht beobachtbar, aber im Planetarium sehr schön demonstrierbar), so werden sie am nächsten Tag nicht mehr zur gleichen Zeit kulminieren, denn inzwischen ist die Sonne ja um 1° gegen den Fixstern nach Osten weitergewandert. Sie wird also bis zur Kulmination noch 1° weiterwandern müssen, während der Stern bereits kulminiert.
Das dauert in der Praxis 4 Minuten (logisch, denn 360° sind 24 Stunden = 1440 Minuten, diese geteilt durch 360 = 4 Minuten pro 1 Grad).
Langer Rede kurzer Sinn: Der Sonnentag ist also um 4 Minuten länger als der Sterntag.
Da die Sonne aber unser tägliches Leben bestimmt, können wir nicht nach Sternzeit rechnen, denn unsere Zeitangaben nach Sternzeit würden sehr schnell mit der Sonne aus dem Takt kommen. Sie würde bald nicht mehr etwa um 12:00 Uhr durch den Meridian gehen.
Die Zeitangaben nach der Sonne nennt man daher auch
wahre Zeit.
okay. weiß eigentlich jeder.
Aber jetzt wird es richtig ernst:
Nun bewegt sich die Sonne aber durchaus nicht mit gleichförmiger Geschwindigkeit auf der Ekliptik, sondern im Winter schneller, im Sommer langsamer als die gleichmäßige Durchschnittsbewegung, die wir bei der Teilung des Jahres in 365 Tage und des Tages in 24 Stunden zugrundelegten.
Der Grund ist, daß die Sonne im Brennpunkt einer
Ellipsenbahn, und nicht im Mittelpunkt einer Kreisbahn steht. Außerdem ist die Ekliptik gegen den Äquator auch noch geneigt, und daher entsprechen gleiche Stücke des Äquators nicht immer gleichen Teilen der Ekliptik.
Da einer Uhr aber verschieden lange Tage und Stunden unmöglich zugemutet werden können, haben wir für unsere Zeitrechnung eine gedachte
mittlere Sonne eingeführt, die erstens auf dem Äquator und zweitens auf dieser Bahn mit vollkommen gleichförmiger Geschwindigkeit in derselben Zeit umläuft, in der die
wahre Sonne die Ekliptik durchläuft.
Die Zeit zwischen zwei unteren Kulminationen (=Mitternacht) der
mittleren Sonne ist dann ein MITTLERER SONNENTAG, und hier sprechen wir dann von
mittlerer Zeit.
Benutzen wir die "wahre" Sonne, so erhalten wir die "Wahre Zeit", und bei der "mittleren" Sonne von "mittlerer" Zeit.
Die Zeitpunkte heißen dann sinngemäß "Wahre Ortszeit" und "Mittlere Ortszeit" ... WOZ und MOZ.
WOZ und MOZ sind natürlich im allgemeinen nicht gleich. Manchmal wird die mittlere Sonne voraus sein, und manchmal die wahre, und umgekehrt. Den daraus folgenden Unterschied zwischen den Zeitangaben nach wahrer und mittlerer Sonne nennt man die
Zeitbleichung (engl. Equation of Time).
Die Werte der Zeitgleichung kann man berechnen oder auch Tabellen (Almanache) entnehmen.
Malt man die Zeitgleichung auf einer Kurve auf (das, was ich hier eben gerne tun würde), so verläuft sie im Laufe eines Jahres annähenrnd Sinus-förmig, mit verschiedenen Maxima. Der Unterschied WOZ/MOZ kann maximal bis zu 16 Zeitminuten betragen.
Jetzt kommen wir langsam zum Ende und wir greifen noch einmal die obigen 0,0986301° auf, die dadurch entstehen, daß die Erde sich in einem Jahr zwar 365 mal vollständig um ihre eigene Achse gedreht, aber leider die Sonne noch nicht komplett umrundet hat!
Es fehlt noch ein Stückerl. Nämlich ein Viertel-Grad auf der Ekliptik.
Das durchläuft die Erde natürlich, sie bleibt ja deswegen nicht vor Schreck gleich stehen - aber sie rotiert währenddessen natürlich auch weiter, und somit stimmt ein Erde-Sonnenumlauf um einen Viertel-Tag nicht.
Klar, worauf ich hinauswill: 4 mal ein Vierteltag = 1 Tag, und deshalb schalten wir alle 4 Jahre einen Schalttag ein, um unseren Kalender und die Sonne wieder ins Lot zu bringen.
Ließe man das ein paar 100 Jahre schleifen, dann hätten wir irgendwann einmal Ostern im Hochsommer und Weihnachten im April.
Das war übrigens am Rande gesagt auch sehr wahrscheinlich schon die alten Ägyptern bekannt. Man weiß es nicht sicher, Astronomen und Historiker liefern sich heftige Gefechte über das Thema. Mittlerweile ist man so verblieben, daß die Ägypter dieses "Hinterherhinken" zwar gekannt haben, es aber absichtlich ignoriert, in der Annahme, es sei gottgewollt, und nach 1460 Jahren (=365x4) ist eh wieder alles wieder wie es war. Noch zu den Ägyptern: Es ist sogar durchaus nicht auszuschließen, daß die Ägypter sogar die Präzessionsbewegung der Erdachse gekannt haben, die noch viel schwieriger zu beobachten ist, da ein kompletter Präzessionszyklus irgendwas bei 20.000 Jahren braucht. Aber lassen wir das jetzt, mit unserem Problem hier hat es nichts zu tun.
Zur Kernaussage, und damit habe ich getan, was ich konnte:
Es gilt:
Wenn ich also z.B. am 01.12.2009 um 08:26 Uhr die Sonne genau über dem Gipfelkreuz des Patscherkofel aufgehen sehe, dann werde ich sie am 01.12.2009 um 08:26 dort ganz sicher
nicht aufgehen sehen!
Kann ja gar nicht, die Erde steht auf der Ekliptik ja nicht an demselben Fleck, sondern 1/4° dahinter als im Vorjahr.
Ich sehe sie erst wieder wann an diesem Fleck aufgehen?
Klar: am 01.12.2013 um 08:26 Uhr.
Also weiterbeobachten!
Nächstes Jahr um diese Zeit geht sie noch ein Stückerl woanders auf :-)