Link: www.ursachenforschung.org (extern) (Archiv-Version vom 28.09.2007)In seinem Vortrag "Welche Auswirkungen hat die Quantenphysik auf unser Weltbild" zeigteder Träger des Alternativen Nobelpreises, Prof. Dr. Hans-Peter Dürr, anschaulich undfesselnd, dass die Erkenntnisse der Quantenphysik das wissenschaftliche Weltbild radikalverändert haben. Der herkömmliche Materiebegriff ist nicht mehr gültig. In derQuantenphysik gilt die Vorstellung, dass die Materie das Sekundäre und die Beziehungzwischen dieser, ihre Relationen, das Primäre ist. Die Quantenphysik dreht so dieRangordnung der klassischen Physik um: Relationalität vor Materialität. Die Rillen aufeiner Schallplatte sind nicht die Musik, welche auf ihr gespeichert ist. Die Musik ist inder Gestalt der Rille verborgen, sie ist in einer Beziehungsstruktur verschlüsselt. Genauso ist nach der Quantenphysik Wirklichkeit (oder Potenzialität) in höherdimensionalenRäumen zu finden, die mit dem dreidimensionalen Raum unserer begreifbaren Welt nichtsmehr gemeinsam haben, aber sehr wohl dort "Abdrücke" hinterlassen. Nimmt man die Materieimmer weiter auseinander, bleibt am Ende nicht Materie übrig, sondern Potenzialität.Diese ähnelt mehr dem Geistigen: sie ist ganzheitlich, offen, lebendig. Materie ist dieSchlacke dieses Geistigen. Da aus diesem Geistigen die gesamte Materie entsteht, hatalles einen Ursprung: Es gibt keine Teile mehr, sondern eine große Einheit. Das heißt:Alles, was in dieser Welt ist, geht aus dieser Einheit hervor. Es gibt nur verschiedeneArtikulationen von diesem Einen.
Die Grundstruktur der Wirklichkeit ist geistig undnicht materiell. Mit Hilfe eines Kartenspiels und eines Chaospendels zeigte Prof. Dürr,dass Beziehungsstruktur heißt, im Dialog, in Resonanz mit der ganzen Welt zu stehen.
An Hand dieser Beispiele machte Prof. Dürr deutlich, dass die Quantentheorie denGraben zwischen Natur- und Geisteswissenschaft gar nicht erst aufwirft, sondern imGegenteil ihn wieder schließt und die Möglichkeit gibt, eine gemeinsame Grundlage zufinden. Diese ist auch Grundlage der Ethik und Voraussetzung für eine zukunftsfähigeGestaltung unserer Gesellschaft.
An diese Gedanken schloss die HistorikerinCatherine Atkinson in ihrem Vortrag "Wahrnehmung und Wirklichkeit" direkt an. WieHans-Peter Dürr gezeigt hatte, müssen wir die bisherige Lesart der Natur und der Materiegrundlegend revidieren. Was bildet die Grundlage, die Matrix der Wirklichkeit, wenn dieMaterie sich als illusionär, als nicht wirklich entpuppt? Dieser Frage galt es aus Sichteiner Geisteswissenschaftlerin nachzugehen.
Alles Wichtige im Leben ist auf Gedankenaufgebaut. Wir schaffen unsere eigene Wirklichkeit fortdauernd - indem wir denken. Denkenist das Menschlichste an uns überhaupt. Gedanken und Ideen, so der hannoversche Ingenieurund Akademie-Gründer Hermann Knoblauch, sind stets Motor der Veränderung, dermenschlichen und kulturellen Evolution. Mit unserem Denken konstruieren wir -augenblicklich neu - ein Beziehungsgeflecht. Nichts existiert für sich allein. Selbstalltägliche Dinge und Handlungen sind mit vielschichtigen metaphysischen Dimensionenbehaftet. Diese vernetzte, von Leben pulsierende Denkwirklichkeit hat eine massivePräsenz in unserem Bewusstsein, vermengt sich mit der gegenständlichen Wirklichkeit undbedingt, wie wir sie wahrnehmen. Es war der Referentin wichtig zu betonen, dass dieVorstellung von einer Denkwirklichkeit kein Sprachbild ist, sondern ein Teil derWirklichkeit, aber eine andere Art von Wirklichkeit als die gegenständliche Welt. So istes gar nicht so abwegig, Gedanken als mit Bewusstsein erfüllte Kräfte, als wesenhaft zubetrachten. Wie lebendig Gedanken zuweilen erlebt werden, wurde am Beispiel derDarstellung des Gedächtnisses durch den Kirchenvater Augustinus verdeutlicht. Gedankenscheinen auch einen Materie-Aspekt zu haben; sie kristallisieren aus. Werte, dieursprünglich gelebt wurden, werden zu gesellschaftlicher Gewohnheit und nehmen materielleForm an. Gedanken werden zu Taten und Gewohnheiten. Sie erstarren und sterben langsam.Dafür entstehen neue.
Catherine Atkinson zeigte, dass das Denken fundamental fürein Verständnis der Wahrnehmung ist. Die Wahrnehmung ist stets vom jeweiligen Standpunktabhängig, aber auch vom Zeithorizont, von Denkmustern, von den jeweils gültigenWeltbildern und von den Sinnesorganen. Alles Wissen ist eine Annäherung, ist relativ.Aber vor dem Hintergrund der eben dargestellten These - Gedanken und Denkprozesse habeneine eigenständige Existenz - erkennen wir, dass sich in der Frage "Welchen Ausschnittder Wirklichkeit nehmen wir wahr?" das alte physikalische Weltbild verbirgt, das es zuüberwinden gilt. Denn das Wahrnehmen ist eben mehr als nur wahrzunehmen: es bedeutetzugleich in Beziehung mit der Natur zu treten und sie zu beeinflussen und zu verändern.Wie beeinflussen wir die Natur? Wir beeinflussen die Natur mit unserem Denken. Auf dieFrage "Was ist die Natur?" müssen wir also antworten: Vor dem Hintergrund metaphysischerDenkwirklichkeiten verändert sich das Verständnis der Natur grundlegend, denn dienichtmateriellen Welten des Denkens sind eben Teil der gesamten Natur.
DieseThese wurde mit Beispielen untermauert, die aus solch unterschiedlichen Gebietenentnommen wurden wie der Forschung des kulturellen Gedächtnisses und der Sprache (Spracheals Schaffung von Beziehungsstrukturen; Sprache ist Beziehung), der Wissenssoziologie(Denkstile der Wissenschaften z. B.) und der altindischen Philosophie mit dem BegriffMaya (= Illusion, Begrenzung der Wahrnehmung).
Wir leben in einemunermesslichen Netzwerk und dieses Netzwerk ist die Natur selbst, von der wir einuntrennbarer Teil sind. Und wissen wir um die Reichweite und Konsequenzen, die diesemeinen Gedanken entspringen? fragte Dr. Marion Pusch in ihrem Vortrag "Netzwerke in derNatur". Immer stärker müssen wir erkennen, wie wichtig Kommunikation, ein reger Austauschunserer Erkenntnisse und Denkweisen zwischen allen Fächern, Kulturen, zwischenPhilosophie, Naturwissenschaft und Religion für unsere Zukunftsgestaltung ist. Wir lernengerade wieder, uns mehr auf einander zu besinnen, an einander teilzuhaben, uns als einBestandteil der Natur zu begreifen und dies, wie uns die Quantenphysik zeigt, aus gutemGrund. Denn wir sind mit allem Anderen untrennbar verbunden, wir leben in einemlebendigen Gewebe oder Beziehungsgeflecht, in dem Alles aufeinander angewiesen ist, Alleseinander berührt. Hermann Knoblauch hob immer wieder hervor: "Die Natur ist der besteLehrmeister für unser Leben. Sie ist der Ausdruck kosmischer Intelligenz, die bis inskleinste Atom unsere Welt mit Bewusstsein beseelt." Wir können nicht atmen oder denkenohne Einfluss auf das Gesamte zu nehmen. Wenn wir die Seele im Licht der Quantenphysikals Welle und Teilchen einer für uns noch nicht erfassbaren Energieform betrachten, dannist ein Gedanke auch Welle und Teilchen. So üben wir mit unseren Gedanken einengewaltigen Einfluss auf das gesamte Beziehungsgeflecht der Natur aus.
Begreifenwir die Netzwerke der Natur, dieses gigantische Beziehungsgeflecht, als eine Artkomplexer, von Bewusstsein durchdrungener Organismus, dann öffnen sich ganz anderePerspektiven zur Natur und zu unserer Stellung in ihr. Die Frage, welchen Einfluss dieNatur auf uns hat und welchen Einfluss wir auf sie haben, kann nur in diesem Kontextbeantwortet werden.
All zu oft versteht sich der Mensch aber als getrennt vomGanzen, als ob seine Freiheit darin besteht, eigennützig und egoistisch handeln zu dürfen- ohne Konsequenzen für seine Mitwelt. Es ist ein Irrtum, wenn wir glauben, unseremenschliche Freiheiten ohne Pflicht und Verantwortung voll ausleben zu können. Einenweiteren Hinweis gibt der Begriff Kosmos, der synonym für Natur anwendbar ist. Kosmosheißt so viel wie Ordnung und Harmonie. Wenn wir also harmonisch handeln und denken, dannhandeln wir im Einklang mit dem Kosmos, mit der Natur. Wir reihen uns in das große,unermessliche Netzwerk der Natur ein. Das ist wahre Ethik!
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