alles nochmal "durchleben"
07.03.2006 um 17:59
Geheimbotschaft aus dem Jenseits oder Gedächtnis-Fehler?
Déjà-vu-Erlebnisseumgibt eine magische Aura: Stammen die Erinnerungen aus einem früheren Leben? Oder gerätnur etwas im Hirn durcheinander? Forscher versuchen seit langem, dem mysteriösen Erinnernauf die Schliche zu kommen.
Déjà vu ist französisch und bedeutet auf Deutschübersetzt "schon mal gesehen". Es beschreibt das unheimliche Gefühl oder die Illusion,man habe etwas, das man zum ersten Mal wahrnimmt, schon einmal gesehen oder erlebt. DerBegriff Déjà-vu geht angeblich auf Napoleon zurück. Als der auf einem Hügel bei Jenastand, die Aufstellung seines Heeres überblickte und im Morgendunst das feindliche Heerder Preußen sah, soll ihn das Gefühl beschlichen haben, er habe genau diese Szene ohneUnterschied schon einmal gesehen.
Fast alle Menschen kennen Déjà-vu-Erlebnisse: Man steckt mitten in einer völlig neuen Situation, und trotzdem wähnt manfür Sekundenbruchteile, dies alles genau zu kennen, dies schon einmal erlebt zu haben.Manchmal reicht schon ein gehörter Satzfetzen oder ein flüchtiger Blick auf irgendeinMuster, um das Gefühl des Irgendwie-Vertraut-Seins, des Wieder-Erkennens aufkommen zulassen.
Déjà-vu-Erlebnisse unterscheiden sich von normalen Erinnerungen:Erstens weiß man ganz genau, dass die Vertrautheit mit der gerade erlebten Situationnicht wirklich echt sein kann. Zweitens kann man bei einem Déjà-vu-Gefühl nie genausagen, wann und wo man dieselbe Situation schon einmal erlebt haben will. Drittensverflüchtigt sich das Gefühl der Vertrautheit auch schnell wieder - nach wenigenSekunden, spätestens nach einer Minute, ist der Spuk vorbei.
Und noch etwasGeheimnisvolles unterscheidet ein Déjà-vu-Erlebnis von einer normalen Erinnerung: Währenddes Déjà-vus vermeint man häufig, den weiteren Lauf der Dinge vorhersagen zu können -zumindest für die nächsten Bruchteile von Sekunden. Bei dem entgegengesetzten Phänomen,dem "Jamais vu" (nie gesehen), wird eine wohlvertraute Situation als fremdartig und "nochnie da gewesen" verkannt.
Wenn wir davon ausgehen, dass diese Erfahrungtatsächlich auf einem erinnerten Ereignis beruht, dann tritt Déjà-vu vermutlich auf, weileine ursprüngliche Erfahrung nicht vollständig erfasst und nicht sorgfältig kodiertwurde. Falls dies zutrifft, scheint es höchst wahrscheinlich, dass die gegenwärtigeSituation die Erinnerung an ein Fragment aus der eigenen Vergangenheit auslöst. DiesesErlebnis kommt einem vielleicht unheimlich vor, wenn die Erinnerung so bruchstückhaftist, dass keine soliden Verbindungen zwischen dem Bruchstück und anderen Erinnerungenaufgestellt werden können. Daher tritt das Gefühl, schon mal da gewesen zu sein, aufgrundder Tatsache ein, dass man schon mal da gewesen ist. Man hat einfach den größten Teil derursprünglichen Erfahrung vergessen, da man ihr beim ersten Mal keine große Aufmerksamkeitgeschenkt hat. Diese ursprüngliche Erfahrung kann durchaus nur Minuten oder Sekunden altsein. Andererseits kann eine Déjà-vu-Erfahrung auch auf Bildern oder Geschichtenbasieren, die man viele Jahre zuvor gesehen oder gehört hat. Diese Erfahrungen könntenTeil der schwammigen Erinnerungen an die eigene Kindheit sein, von denen man dannirrtümlich annimmt, sie stammten aus früheren Inkarnationen, denn man "weiß ja", dass sienicht aus diesem Leben kommen.
Es ist jedoch auch möglich, dass einDéjà-vu-Gefühl von einem neurochemischen Vorgang im Gehirn ausgelöst wird, der nicht aneine tatsächliche Erfahrung aus der Vergangenheit gekoppelt ist. Man fühlt sich seltsamund ordnet dem Gefühl eine Erinnerung zu, obwohl die Erfahrung vollkommen neu ist. Dasbedeutet, Déjà-vu könnte auch ohne die vermeintliche Wiedererkennung von etwas bereitsWahrgenommenen stattfinden. Daraus folgt, dass die Möglichkeit besteht, dass alleErklärungsansätze für Déjà-vu mit Rückgriff auf verlorene Erinnerungen, frühere Lebenoder Hellsicht in die Irre führen. Man sollte vielmehr über das Déjà-vu-Gefühl sprechen.Dieses Gefühl könnte von einer Gehirnaktivität, also neurochemischen Faktoren während derWahrnehmung, hervorgerufen werden, die nichts mit Erinnerung zu tun haben. Es lohnt sichfestzuhalten, dass Déjà-vu-Gefühle bei Patienten der Psychiatrie häufig sind. DasDéjà-vu-Gefühl tritt auch oft kurz vor epileptischen Anfällen der Schläfenlappen auf. AlsWilder Penfield 1955 sein berühmtes Experiment durchführte, in dem er die Schläfenlappenelektrisch stimulierte, fand er heraus, dass etwa acht Prozent seiner Testsubjekte"Erinnerungen" durchlebten. Er lieferte keine Belege für die Behauptung, dass er echteErinnerungen hervorgerufen habe. Sie könnten genauso gut Halluzinationen und die erstenBeispiele von künstlich erzeugtem Déjà-vu gewesen sein.
Déjà-vus treten gehäuftin seelischen Belastungszuständen, nach längerer Übermüdung und nach der Einnahmeaufputschender Psychodrogen auf. Déjà-vus ereignen sich aber auch auffallend häufigwährend einer "Aura", der eigenartigen Bewusstseinstrübung unmittelbar vor einemepileptischen Anfall in bestimmten Hirnregionen. Schon-Gesehen-Erlebnisse lassen sichkünstlich herbeiführen, indem man solche Hirnareale mit elektrischen Strömen reizt.
Versuchspersonen, die Uwe Wolfradt vom Institut für Psychologie derMartin-Luther-Universität Halle-Wittenberg in einer neuen Studie befragte, gaben an, dassdie Erfahrung bei ihnen überwiegend an einem bestimmten Ort, bei einer konzentriertenTätigkeit, zumeist für einige Sekunden, jedoch zu keiner bestimmten Tageszeit aufgetretenwar. Dem Erlebnis ging zumeist eine entspannte und fröhliche Stimmungslage voraus, und eslöste im typischen Fall ein Gefühl der Überraschung aus.
Der heilige Augustinusbezog sich bereits vor Jahrhunderten auf die seltsame Erfahrung, die er, wie vielespätere Denker, mit "falschen Erinnerungen" gleichsetzte. Auch für Sigmund Freud, denBegründer der Psychoanalyse, war das Déjà vu eine Art Resonanz-Effekt: Eine neuartigeSituation ruft Anklänge an verdrängte und unbewusste Phantasien oder an vergessene Träumehervor. In gegenwärtigen Situationen, die denen ähnlich sind, die wir in derVergangenheit durchlebt haben, ist das Individuum möglicherweise nicht in der Lage, diesebewusst zu erinnern und erlebt nur das Gefühl, die gleiche Situation bereits erfahren zuhaben.
Moderne Wissenschaftler führen das Phänomen eher auf eine Fehlfunktionim Zentralnervensystem zurück. Nach einer Theorie kommen "Doppelwahrnehmungen" vor, weildas Großhirn in zweifacher Ausführung unter der Schädeldecke existiert. Dievorherrschende (dominante) linke Großhirnhälfte empfängt Sinneseindrücke gleich doppelt:Einmal direkt von den Sinnesorganen und einmal indirekt über die rechte Großhirnhälfte,mit der sie durch Nervenfasern verbunden ist. Wenn nun der Informations-Transfer von derrechten in die linke Hirnhälfte aus irgendwelchen Gründen ins Stocken kommt und 100Millisekunden bis eine Minute währt, geht die "Synchronisation" verloren. Dann erhält diedominante, mit dem Bewusstsein verknüpfte Hälfte den gleichen Sinneseindruck gleichzweimal hintereinander zugespielt. Daraus könnte leicht ein trügerisches Gefühl derVertrautheit erwachsen.
Nach einer anderen Theorie lässt sich das Gedächtniswie ein Videorecorder betrachten, der Bilder aufnehmen und wiedergeben kann.Déjà-vu-Erlebnisse treten dann auf, wenn eine Störung in der Koordination desVideorecorders stattfindet. Das Gehirn ist demnach in der Lage, Informationengleichzeitig aufzunehmen, also zu speichern, und auch wiederzugeben, also gespeicherteInformationen abzurufen, um sie in unser Bewusstsein zu heben. Wird eine Informationgleichzeitig wahrgenommen und gespeichert, so kann das neue Erlebnis bereits im Momentdes Erlebens fälschlich als Erinnerung registriert werden - obwohl die Erinnerung erstgerade "geschaffen" wurde.
Deplatziertes Vertrauen
Der US-Psychologe KarlPribram hält das Déjà vu für eine "deplatzierte Vertrautheits-Reaktion". Alle neuen undungewöhnlichen Eindrücke rufen nach dieser Hypothese eine aktivierende"Orientierungsreaktion" hervor, weil sie neu sind, und weil neue Reize oft wichtig füruns sind. Nach wiederholter Darbietung büßt der Stimulus jedoch seinen Neuigkeitswertein, so dass die Orientierungsreaktion abflaut. Wie Pribram ausführt, hängt das vertrautwerden offenbar von der Aktivität des Mandelkerns (Amygdala) ab, einer Struktur in derTiefe des Schläfenlappens.
Der Mandelkern steuert offenbar die emotionaleBedeutung "Vertrautheit" zur neutralen Wahrnehmung bei. Reize werden mit seiner Hilfe alsbekannt eingestuft. Versuchstiere mit zerstörter Amygdala etwa verlieren die Fähigkeit,die Orientierungsreaktion bei ständig wiederholenden Reizen auszublenden. Wie gebanntwenden sie alten Reizen, denen sie sonst keine Beachtung mehr schenken würden, immerwieder ihre Aufmerksamkeit zu.
Ein Déjà vu entsteht demnach, wenn derMandelkern überreagiert und eine neuartige Situation vorschnell mit der Gefühlsqualität"vertraut" einfärbt. So etwas könnte etwa passieren, wenn sich unkontrollierteelektrische Entladungen ausbreiten, wie bei einem epileptischen Anfall.Bemerkenswerterweise ist es nicht nur so, dass viele Epileptiker während der Aura vonDéjà vus berichten. Epileptische Anfälle gehen sehr häufig vom Mandelkern aus. Man kannsich das vielleicht wie ein starkes Gewitter im Mandelkern vorstellen, was diesenüberaktiviert und so unbekannte Reize als vertraut einstufen lässt. Schließlich wird soauch erklärbar, dass die elektrische Reizung des Schläfenlappens mit eingepflanztenElektroden Déjà-vu-Erlebnisse provoziert. Wahrscheinlich landen diese Impulse direkt imMandelkern und erregen die Schaltkreise, die das Prädikat "vertraut" verleihen.
Arten von Déjà vus
Vernon M. Neppe, Seelenkundler am südafrikanischen PacificNeuropsychiatric Institute, schlägt vor, die Déjà-vu-Erlebnisse nach ihrer Qualität zuunterscheiden:
Neben dem Déjà-vu-Gefühl gibt es auch das Déjà-entendu (schongehört), das Déjà-revé (schon geträumt), das Déjà-fait (schon getan), das Déjà-pensé(schon gedacht), das Déjà-senti (schon gefühlt), das Déjà-dit (schon gesagt), dasDéjà-gouté (schon geschmeckt) und das Déjà-visité (schon besucht).
Kennen alleMenschen das Déjà-vu-Phänomen?
70 bis 80 Prozent aller Menschen haben schonDéjà-vu-Erlebnisse gehabt. Dabei spielt der Kulturkreis keine Rolle: Das plötzlicheGefühl, Unbekanntes schon längst zu kennen, erfahren Menschen auf der ganzen Welt. Eineaktuelle Studie zur Häufigkeit dieses Phänomens stammt von Kei Ito von der britischenUniversity of Buckingham: Er hat herausgefunden, dass rund zwei Drittel allerDéjà-vu-erfahrenen Personen auch das Gefühl kennen, in diesem Moment in die Zukunftschauen zu können.
Jüngere Menschen machen häufiger Déjà-vu-Erfahrungen alsältere Personen, Gebildete häufiger als Ungebildete. Ein Unterschied zwischen Männern undFrauen besteht nicht: Beide Geschlechter empfinden das Schon-erlebt-Gefühl gleich oft.
Ich glaube einfach an die Aufklärung, daran, dass man Menschen überzeugen kann durch Argumente.
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