Unsere Zukunft
17.03.2004 um 12:48
Hat der Mensch noch eine Zukunft?
Das Atomzeitalter hat den Menschen in die Lage versetzt, sich selbst und die gesamte Schöpfung vernichten zu können. Nicht nur die Gefahren eines Atomkrieges bedrohen alles Leben auf der Erde, sondern gerade auch die schleichende Verseuchung der Umwelt mit radioaktiven und chemischen Stoffen stellen eine besondere Gefahr dar.
Galt aber nicht das Atomzeitalter als die fortschrittlichste Epoche in der Menschheitsgeschichte? Sollte nicht das Atom - in der bewußt irreführend als "friedlich" deklarierten Nutzung - die unbegrenzte Energie zur Lösung der Probleme dieser Erde liefern? Wie sieht die Wirklichkeit heute aus?
"Der Mensch oder das Atom?" heißt der Titel eines Buches des Ernährungswissenschaftlers und Arztes Prof. Werner Kollath. Der technische Fortschritt mit seiner atemberaubenden Entwicklung in den letzten 100 Jahren hat zum Machbarkeitswahn ohne Rücksicht auf die Folgen geführt. Die totale Zerstörung ist möglich geworden. Werden wir es auch tun?
Krisen, Kriege und Katastrophen scheinen in der Menschheitsgeschichte ein unabwendbares Schicksal zu sein. Berichte über erste größere zwischenmenschliche Auseinandersetzungen sind 7000 Jahre alt. Sie fallen in eine Zeit, als der Mensch begann, vom Sammler- und Jägertum zur Landwirtschaft überzugehen und seßhaft zu werden. Die Landwirtschaft ist an den Besitz oder zumindest an die Verfügbarkeit von Boden über einen längeren Zeitraum gebunden. Das Seßhaftwerden brachte den Menschen in die Situation, sein Land, auf dem und von dem er lebte, gegenüber "Mitkonkurrenten" abgrenzen und notfalls mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln gegen Eindringlinge verteidigen zu müssen.
Die Fähigkeit zur Anwendung von Gewalt ist im Menschen biologisch angelegt. Ob und wie weit er diese Fähigkeit in die Tat umsetzt, hängt maßgeblich von seinen Lebensumständen, den existentiellen Lebensbedingungen ab. Über die Fähigkeit zum Töten verfügen auch Tiere. Nur die Pflanzen sind dazu (bis auf wenige Ausnahmen) nicht fähig. Während das Tier instinktmäßig tötet zum Erhalt und Schutz seines Lebens, kann der Mensch bewußt töten, um sich zum Beispiel seine Macht zu sichern.
Der entscheidende Unterschied zwischen Mensch und Tier besteht darin, daß der Mensch seine Umwelt, in der er lebt, selbst gestalten kann. Der Mensch kann die Lebensbedingungen, unter denen er sein Auskommen findet, selbst beeinflussen - sofern er hierzu die Freiheit hat.
Die Entwicklung zum Menschen war an bestimmte Voraussetzungen geknüpft. Es gibt Anthropologen, die die Auffassung vertreten, eine entscheidende Voraussetzung zur Entwicklung hin zum Menschen und zur sozialen Gemeinschaft sei die sich heranbildende Fähigkeit zu teilen gewesen. Die soziale Fähigkeit, zum Beispiel seine Nahrung mit anderen zu teilen, unterscheidet in der Tat den Menschen maßgeblich von den Tieren. Die soziale Gemeinschaft ist aber die Grundlage, auf der sich erst Sprache, Kultur und Kunst als Ausdruck des menschlichen Daseins entwickeln konnten.
Die Frage nach der Zukunft des Menschen läßt sich nur beantworten, wenn wir nach den Grundlagen suchen, die das Leben und Handeln des Menschen bestimmen, und dabei die Ursachen für mögliche Fehlentwicklungen aufdecken. Hierzu kann uns die Geschichte aufschlußreich sein, aber nicht so sehr die Negativerscheinungen in der Vergangenheit als vielmehr solche Epochen, in denen Positives geschaffen wurde. Es ist etwas schneller und leichter zerstört als aufgebaut. In diesem Artikel soll ein weitgehend vergessenes und unbeachtetes Beispiel aus der Geschichte wieder in Erinnerung gerufen werden, das uns positive Ansätze zur Verwirklichung einer besseren Welt aufzeigt.
Eine Zeit, die ihrer Zukunft voraus war
Die Stadt ist ein sichtbares Zeichen der sozialen Gemeinschaft des Menschen. Ihr Bild wird geprägt durch die Bauten und ihre Architektur. Wenn wir uns heute eine Stadt anschauen, so fällt uns zunächst die seelenlose Architektur moderner Betonbauten und Asphaltstraßen auf, die rein ihrem materiellen Zweck entsprechend gebaut worden sind. Kultur findet in der modernen Stadt nur an speziellen, dafür vorgesehen Orten statt und fristet eher ein Nischendasein. Handelt es sich um eine Stadt mit Geschichte, ziehen uns die Bauten früherer Zeiten schon eher an. Je älter die Gebäude sind, um so interessanter erscheinen sie.
In Deutschland finden wir historische Gebäude zum Beispiel in Freiburg, Ulm, Regensburg, Augsburg, Nürnberg, Frankfurt, Köln oder in Lübeck, Bremen und Hannover. Überall in Europa finden wir Bauwerke vergangener Zeiten. Besonders auffällig sind die kirchlichen Bauten wie Kirchen, Dome oder Kathedralen. Die Zeit der Gotik, die sich als eine Stilrichtung der Kunst von Frankreich ausgehend in der Zeit von etwa 1150 bis 1450 über ganz Europa ausbreitete, hat eine außerordentliche Fülle von kunstreichen Bauten hervorgebracht, die noch heute den Betrachter in Staunen versetzen.
Der Reisende im Mittelalter konnte schon von weitem die stolz und mächtig über die Dächer der Häuser hinausragende Kathedrale der Stadt erblicken. Kam er zum Gottesdienst und um Geschäfte zu erledigen - aus dem Mittelalter stammt die Bezeichnung "Messe", weil Markttage oft mit kirchlichen Feiertagen, bei denen man zugleich auch zur Messe in die Kirche ging, verbunden waren - in die Stadt, so konnte er erst die ganze Pracht der gotischen Kathedralen erkennen, deren mit zahlreichen Skulpturen versehenen Außenfassade, die vielen kleinen Türmchen neben den ein oder zwei hoch in den Himmel ragenden Türmen und die Konstruktion der Strebemauern, -pfeiler und -bögen bewundern. In der Kathedrale erwartete ihn helles Licht, das durch die reich bemalten, hohen Glasfenster, die erst durch die Bautechnik der Gotik mit offenem Strebewerk und Maßwerk möglich geworden waren, strahlte. Beeindruckt durch das Lichtspiel der Fensterrose, die noch den letzten Strahl der Sonne einfängt, bot sich dem Besucher der Innenraum der Kathedrale, reich mit Skulpturen aus Stein und Holz und mit kunstvoll verzierten und bemalten Altären ausgestattet.
Nicht nur Kathedralen wurden in diesem Stil gebaut. Klöster (Maulbronn), Universitäten (Queen's College, Cambridge/England), Hospitäler (in Lübeck: Heilig-Geist-Hospital; in Beaune/Frankreich: Hôtel-Dieu), Rathäuser (in Münster/Westfalen), Kaufhallen, Patrizierpaläste und Bürgerhäuser erstanden in diesem aufwendigen Baustil.
Die Kathedrale war der Ausdruck und das Ergebnis des religiösen Empfindens der Menschen im Mittelalter. Mit Gebet allein konnten jedoch diese mächtigen Bauten nicht erstellt werden. Generationen mußten in einem Zeitraum von bis zu zwei Jahrhunderten an der Verwirklichung eines solchen Projektes arbeiten. Hunderte, wenn nicht Tausende von Arbeitskräften waren notwendig. Ein ganzes Heer von gut ausgebildeten Fachkräften brauchte es: Baumeister, Maurer, Steinsetzer, Zimmerleute, Dachdecker, Schmiede, Steinmetze, Bildhauer, Holzschnitzer, Glaser, Glasmaler, Goldschmiede nebst ihren Gesellen. Diese Arbeitskräfte mußten während des ganzen Baues einer Kathedrale unterhalten und bezahlt werden. Mit Fron- beziehungsweise Sklavenarbeit waren die aufwendigen Bauten der Gotik nicht zu realisieren. Allein um die wertvollen bemalten Glasfenster herstellen zu können, waren speziell ausgebildete Glasmaler notwendig, die sich in allen Techniken der Farbenherstellung, des Farbauftrags, der Glasverarbeitung et cetera auskennen mußten. Die Ausbildung zum Glasmaler dauerte gewöhnlich fünf Jahre. Eine Lehrzeit setzt die Aussicht auf einen später angemessenen Lohn voraus.
Wie wurden die gotischen Kathedralen, deren Bau enorme Summen Geld kostete, finanziert? Während im frühen Mittelalter es die Bischöfe, Fürsten und der Kaiser waren, die durch große Bauten ihre Macht zu demonstrieren versuchten, ist der gotische Bau überwiegend bürgerlich geprägt. Alle Bewohner der Stadt wirkten am Bau der Kathedrale mit. Reiche Bürger, Patrizier, Kaufherren, Gilden und Zünfte stifteten für deren Bau. Beispiele, daß auch Handwerksgilden, die eher zu den unteren sozialen Schichten gehörten, sich an der Finanzierung der Kathedralen beteiligten, gibt es viele. Noch heute sichtbar ist dies an Wappenzeichen von Gilden und Zünften in den von ihnen gestifteten Kirchenfenstern. So ist im Freiburger Münster ein Fenster mit dem Wappen der Schneidergilde (abgebildet ist eine Schere) zu sehen. Vielfach stifteten Gilden und Zünfte Fenster, die Handwerker bei der Arbeit darstellen: Stellmacher- und Böttchergilde (13. Jahrhundert, Kathedrale von Bourges), Maurergilde (Bourges), Bäckerzunft (Bourges), Kürschnerzunft (um 1220, Kathedrale von Chartres), Steinschneider- und Bildhauerzunft (Chartres), Zunft der Wagner, der Böttcher, der Schreiner, der Weinbauern und der Schankwirte (Chartres).
In seinem interessanten, leider nicht mehr erhältlichen Buch "Geschichte der Nationalökonomie" berichtet Adolf Damaschke, daß selbst die Gilde der Sack-, Kohlen- und Kornträger zu Danzig, deren Mitglieder wohl am wenigsten zu den Reichen der Stadt gezählt werden können, um das Jahr 1450 zum Bau der Marienkirche 200 Mark bar (= 48000 Silber-Denare) und außerdem ein gemaltes Kirchenfenster stiftete (Zahlenvergleich entnommen aus: "Das Geld in der Geschichte" von Karl Walker).
Bei so großen Leistungen müßte man annehmen, daß die Menschen auf sehr vieles in ihrem Leben verzichten mußten. Wie lebte der Mensch im Hochmittelalter - besonders wenn er zu den unteren sozialen Schichten gehörte?
Die beispiellose Kultur- und Wirtschaftsblüte im Hochmittelalter
Das Arbeitseinkommen der einfacheren Bevölkerungsschicht im Hochmittelalter war im Vergleich zu den heutigen Verhältnissen mit ihren "sozialen Errungenschaften" erstaunlich hoch. Adolf Damaschke berichtet hierüber in seinem oben erwähnten Buch:
"Im Gebiet von Aachen verdiente um 1300 ein Tagelöhner an einem Tage beinahe den Preis von zwei Gänsen. Um 1480 konnte sich am deutschen Niederrhein ein Tagelöhner bei freier Kost für den Lohn eines Arbeitstages anschaffen: 2 1/4 Liter Roggen, 2 Pfund Kalbfleisch, eine große Kanne Milch, und außerdem behielt er noch soviel Geld übrig, daß er in 4 - 5 Wochen sich ein Paar Schuhe, 6 Ellen Leinewand und eine gewöhnliche Arbeitsjacke kaufen konnte. Zu derselben Zeit verdiente in Sachsen ein gewöhnlicher Tagelöhner wöchentlich 6 - 8 Groschen." Ein Schaf kostete in dieser Zeit 4 Groschen, ein Paar Schuhe 2 Groschen. War der Lohn von ungelernten Tagelöhnern schon relativ hoch, so war das Entgelt für ausgebildete Arbeitskräfte natürlich noch besser bemessen.
Die Arbeitskräfte bekamen in der Regel aber nicht nur ihren Arbeitslohn, sondern noch allerlei zusätzliche Vergünstigungen. Die Handwerksgesellen hatten häufig freie Kost und Logis. In einer herzöglichen Landesverordnung von Sachsen, die (man höre und staune!) den Höchstlohn für Handwerksgesellen festlegte, wurde die Empfehlung ausgesprochen, den "Werkleuten sollten zu ihrem Mittag- und Abendmahle nur vier Essen, an einem Fleischtag eine Suppe, ein Essen grüne und dörre Fische, zwei Zugemüse; so man fasten müsse, fünf Essen, eine Suppe, zweierlei Fisch und zwei Zugemüse und hierüber 18 Groschen, den gemeinen Werkleuten aber 14 Groschen wöchentlicher Lohn gegeben werden, so aber dieselben Werkleute bei eigner Kost arbeiteten, so solle man dem Polierer über 27 Groschen und dem gemeinen Maurer und so weiter über 23 Groschen nicht geben."
Um eine Vorstellung von dem Wert eines solchen Einkommens zu erhalten, soll ein Preisvergleich dienen: Ein Scheffel Korn kostete im 15. Jahrhundert etwa 6 Groschen und 5 Pfennig (1 Groschen = 12 Pfennig). Umgerechnet in Kilogramm (1 sächsischer Scheffel = 103,83 Liter; 1 Liter Korn = 0,8 Kilogramm) konnte man für 1 Groschen etwa 14 Kilogramm Korn kaufen.
Wenn in Meißen nun jedem Maurergesellen wöchentlich 5 Groschen "Badegeld" zum Arbeitslohn zusätzlich gegeben werden mußte, so entsprach dies einer Getreidemenge von 70 Kilogramm (!). Würde man einen Kilopreis von DM 2,- für Speiseroggen annehmen (dieser Preis dürfte gerechtfertigt sein, da das Mittelalter noch keine mit technischen Hilfsmitteln ermöglichte Massenproduktion an Getreide kannte und das Warenangebot weitaus geringer war), so würde der oben angegebene Lohn des sächsischen Maurers, der allerdings keine freie Kost bekam, in heutigem Geldwert etwa DM 2600,- pro Monat entsprechen.
Die Fürsten versuchten nicht nur den Arbeitslohn und die Zahl der Essen der Handwerksgesellen zu beschränken. Der Wohlstand der Werkleute führte auch zum Kleiderluxus, so daß sie äußerlich oft nicht mehr von den Adligen zu unterscheiden waren. Auf den Reichstagen zu Freiburg (1498) und Augsburg (1500) wurden die Handwerksknechte ermahnt: "auch kein Gold, Silber, Perlin, Sammet, Seyden, Schamlot noch gestückelten Kleider anzutragen." Wie wenig Wirkung solche Verfügungen hatten, zeigt sich allein schon daran, wie oft sie wiederholt werden mußten.
"Die Zeit etwa von 1150 bis 1450 ist eine Zeit außerordentlichen Aufschwunges, eine Zeit der Blüte der Volkswirtschaft, wie wir sie uns heute kaum vorzustellen vermögen." (Adolf Damaschke)
Trotz des hohen Lohnes und der enormen wirtschaftlichen Leistungen war die Arbeitszeit erstaunlich kurz. So hatten Bergwerksknappen in Sachsen noch um 1465 eine Arbeitszeit von sechs Stunden am Tag. Erst im Jahre 1479 wurde sie nach langen Verhandlungen auf sieben Stunden heraufgesetzt. Vielfach hatten die Gesellen den "blauen Montag" durchgesetzt, an dem sie gemeinsam die Arbeit für die Woche berieten oder den sie zum Baden und zu Waffenübungen nutzen konnten. Der französische Geschichtsforscher René Thévenin berichtet, daß die Handwerksgesellen nur durchschnittlich vier Tage in der Woche zu arbeiten hatten, da die Zahl der streng eingehaltenen Feiertage 90 betrug.
Das Wohlergehen der Menschen im Hochmittelalter beschränkte sich nicht nur auf die Bürger der Stadt. Auch für die abhängigen Bauern, die Fronarbeit für ihren Herrn leisten und ihm Zins abliefern mußten, wurde das Los leichter. "Stadtluft macht frei!" lautete ein heute noch bekannter Wahlspruch. Adolf Damaschke: "Wer auf dem Lande als Höriger gesessen hatte, wurde ohne weiteres frei, wenn er ein Jahr lang Stadtluft geatmet hatte, ohne von seinem früheren Herrn zurückgefordert zu werden." Durch Abwanderung von ehemals Leibeigenen in die Städte verringerte sich die Zahl der Arbeitskräfte auf dem Lande. In der Folge stiegen die Löhne der Landarbeiter. Nach Damaschke verdiente im Fürstentum Bayreuth "ein landwirtschaftlicher Tagelöhner im Jahr 1464 täglich 18 Pfennig, während ein Pfund des besten Rindfleisches 2 Pfennig kostete."
Die Gesundheit und Reinlichkeit des Leibes waren dem Menschen der Gotik sehr wichtig. Adolf Damaschke schreibt: "Bezeichnend für die Höhe der Lebenshaltung aller Schichten war die Ausdehnung des Badewesens." Im 14. Jahrhundert gab es in Basel 15, Nürnberg zwölf, Ulm zehn, Stuttgart vier, Würzburg sieben und in Wien gar 29 öffentliche Badestuben. Die Bader hatten ihre eigene Zunft. Neben den öffentlichen Badeanstalten gab es aber auch private "Badestüblein". So konnte Ulm um 1489 allein 168 solcher Badestüblein zählen. Noch um 1900 gab es in Deutschland mehr als 1000 Orte mit über 3000 Einwohnern ohne jede öffentliche Warmbadegelegenheit. Der deutsche Kaiser Wilhelm I. (1797 bis 1888) mußte sich zum Baden einen Holzzuber von einem nahegelegenen Hotel ausleihen. Im Mittelalter gab es selbst für die Armen, das heißt für die Handwerksburschen, die fahrenden Gesellen und ähnliches Volk noch "Freibäder", sogenannte "Seelenbäder", die aus Stiftungen für die Armen und zur allgemeinen Wohlfahrt errichtet worden waren.
Der Geist des Christentums konnte aufleben
Überhaupt gab es in dieser Zeit viele Stiftungen. Um 1500 war die Zahl der Seelenbäder in Nürnberg so stark angestiegen, daß der Rat beschloß, weitere Stiftungen anderen wohltätigen Zwecken zuzuwenden. Beispiele für mittelalterliche Fürsorge sind auch Hospitäler, von denen "Hôtel-Dieu" im französischen Beaune die heute bekannteste noch zu besichtigende Einrichtung ist. Die soziale Fürsorge war Dienst an Gott. Karl Walker berichtet in seinem Buch "Das Geld in der Geschichte": "Die soziale Fürsorge für Gebrechliche, für Alte und Kranke äußerte sich im Geiste des Christentums in freiwilligen Stiftungen von Spitälern, wie auch in direkter Liebestätigkeit. In den reichen Städten war es Brauch, daß die Vermögenden und mit Glücksgütern Gesegneten in ihren Häusern in Erdgeschoß-Wohnungen sogenannte 'Haus-Arme' aufnahmen, für deren Lebensunterhalt, Kleidung und täglich Brot der Hausherr sorgte."
"Nach sechs Jahrhunderten des Elends kamen die drei glorreichen Jahrhunderte des Mittelalters, eine der größten Kunst- und Glaubensepochen in der Geschichte der Menschheit, begleitet von dem Bau wunderbarer Kathedralen, die mit den größten Meisterwerken aller Zeiten und aller Länder wetteifern." (René Thévenin)
"Gott ist Licht" (Georges Duby: "Die Zeit der Kathedralen") und dieses Licht strahlte nicht nur durch die Fensterrose der Kathedrale, es erreichte auch die Herzen der Menschen. "Das ganze Mittelalter war ausgefüllt von der Ausbreitung der christlichen Lehre und es ist wohl kaum zuviel gesagt, wenn wir heute feststellen, daß die Epoche der Gotik vielleicht die höchste Entfaltung und schönste Blüte des Christentums darstellte, die jemals erreicht worden ist, die aber im Bewußtsein der nachfolgenden Zeit unterging, durch das was ihr unmittelbar folgte." (Karl Walker)
Die religiöse Begeisterung der Menschen drückte sich nicht nur in dem Bau von Kathedralen aus. Zu dem Gebet kam auch die Tat. Im Geiste echter Caritas wurde das Christentum als soziale Bewegung verwirklicht. Doch war Fürsorge nur in wenigen Fällen notwendig, da der Wohlstand auf alle Bevölkerungsschichten verteilt war. Wo jeder die Chance hatte, durch ehrliche Arbeit sein Auskommen zu finden, waren Diebstahl, Betrug, Neid, Haß und Gewalt selten. Nicht daß es sie nicht auch gegeben hätte, aber sie konnten nicht überhandnehmen und für Verfehlungen gab es strenge Strafen.
Die religiöse Begeisterung dieser Zeit beschränkt sich nur nicht nur auf jenseitige Frömmigkeit. Lebensfreude und genuß gehörten ebenso dazu. Dies drückte sich in Mysterienspielen (aus denen später das Theater hervorging), zahlreichen Festen, Jahrmärkten, Volksbelustigungen und Turnieren aus. Auf dem Lande ging man zum "Bauerntanz".
Das Wirtschaftssystem im Hochmittelalter
Für die Kultur- und Wirtschaftsblüte im Hochmittelalter waren zwei Faktoren entscheidend gewesen: das Bodenrecht und das Geldsystem. Adolf Damaschke schreibt: "Das Bodenrecht des Mittelalters sicherte jedem den freien Zugang zur Natur und dadurch die Möglichkeit, in freier Arbeit seinen Lebensunterhalt zu gewinnen." Wichtigstes Element war die Allmende, der gemeinsam genutzte Gemeindebesitz (Wald, Wiese und Felder). Jedes Gemeindemitglied war berechtigt, gegen eine Pacht an die Gemeinde den Boden zu nutzen. Die Einnahmen aus dieser Bodensteuer waren oft so hoch, daß mit ihr sämtliche Gemeindeausgaben gedeckt werden konnten, ohne daß zusätzliche Steuern notwendig waren. Noch um die Jahrhundertwende konnten etwa 1000 Gemeinden in Bayern allein aus den Erträgen der Allmende ihre Ausgaben bestreiten. Da der Boden sich im Gemeindebesitz befand, war jegliche Bodenspekulation und unsoziale Mieterhöhung ausgeschlossen. Wer sich zum Beispiel in der Stadt ansiedeln wollte, bekam dafür ein Stück Boden zum Bebauen zugewiesen. Die Pacht wurde auf lange Sicht festgelegt - selbst wenn ein größeres Haus auf der verpachteten Fläche errichtet wurde, als ursprünglich vorgesehen war. Wer den zugewiesenen Boden nicht innerhalb einer bestimmten Frist bebaute, bekam das Nutzungsrecht wieder entzogen.
Das Geld im Mittelalter bestand überwiegend aus Silbermünzen, den sogenannten "hole penninghe" oder "denarii concavi". Die Bezeichnung "Hohlpfennige" deutet auf die Eigenheit dieser Münzen hin, die meist einseitig geprägt und somit auf der Rückseite hohl waren. Charakteristisch für die Münzen des Hochmittelalters war der räumlich und zeitlich begrenzte Umlauf. Ursprünglich fand eine Münzverrufung ("renovatio monetarum") nur bei besonderen Gelegenheiten wie Wechsel des Münzherrn oder vor Beginn einer Kreuzfahrt statt. Bereits die Brakteaten (lateinisch bractea = "Bruch-Blech") der Staufferzeit (1138 bis 1254) wurden regelmäßig (meist einmal im Jahr) erneuert. Erzbischof Wichmann Graf von Seeburg, der in Magdeburg von 1152 bis 1192 regierte, war es, der als erster zweimal im Jahr zur Münzerneuerung aufrief. Beim Umtausch der alten Münzen gegen neue mußte eine Prägesteuer ("Schlagschatz") von zehn bis 25 Prozent an den Münzherrn gezahlt werden. Häufig bekam man für vier alte Münzen drei neue. Die einbehaltenen Münzen verwendete der Münzherr für sich. Das Münzmetall wurde zum Prägen der neuen Münzen verwendet.
Münzmeister im Mittelalter
(Abbildung aus dem Buch "Das Geld in der Geschichte" von Karl Walker, Rudolf Zitzmann Verlag)
Die Münzverrufungen, die es überall in Europa (England, Frankreich, Österreich, Polen, aber hauptsächlich in Deutschland) im Zeitraum von etwa 1150 bis 1450 gab, hatten zur Folge, daß niemand dieses Geld für längere Zeit zurückhalten konnte, ohne dadurch einen Verlust zu erleiden. Der Pfennig oder Groschen ging schnell von Hand zu Hand und erfüllte damit seine Funktion als Tauschmittel. Daß man in dem Geld nicht sparen konnte (trotzdem war sparen möglich), war ein Segen für die Wirtschaft. Der Wirtschaftskreislauf florierte, weil stetige Nachfrage durch den Umlaufzwang des Geldes garantiert war.
Wenn hier ein rosiges Bild des Mittelalters gezeigt wurde, so sollen die Schattenseiten trotzdem nicht verschwiegen werden. Auf dem Reichstag zu Worms im Jahr 1495 wurde unter Kaiser Maximilian I. das "römische Recht" wieder eingeführt, das - hauptsächlich auf Betreiben der Kirche - den Boden in Privateigentum überführen sollte. An die Stelle der Münzverrufungen trat der "Ewige Pfennig", nachdem viele Münzstätten bereits zu einem dauerhaften, das heißt hortbaren Geld übergegangen waren. Die Fugger - ehemals tüchtige Kaufleute - konnten nun durch das hortbare Geld Wucher treiben und schnell einen ungeheuren Reichtum anhäufen. Im gleichen Maße verarmten die Bauern und Handwerker. Bauernaufstände waren die Folge. 1525 kam es zum "großen Bauernkrieg". Ein Jahrhundert später brachte der 30jährige Krieg unsägliches Leid über Europa. Hunger, Seuchen, Inquisition, Hexenwahn (dem bis zum 18. Jahrhundert über eine Million Frauen zum Opfer fielen) und perverse Kinderopfer setzten der Bevölkerung schwer zu. Die Blüte der Kultur und Wirtschaft verwelkte und verfaulte, weil man nicht wußte, woher der wahre Reichtum der Völker kam - aus der unermüdlichen Arbeitsteilung zwischen den Menschen.
Evangelion 01 A.T Field