Noumenon schrieb:"Das Spiel - Naturgesetze steuern den Zufall"
Das Buch habe ich seit einigen Jahren bei mir im Regal stehen. Der Kauf lohnt sich, aber man merkt ihm auch ein gewisses Alter an, was die Argumentation betrifft. Im Prinzip ist es eine erweiterte Fassung des von mir gestern verlinkten Artikels aus dem Jahr 1971, die populärwissenschaftlich ausgestaltet wurde, um sie einem größeren Leserkreis verständlich zu machen. Die Auseinandersetzung mit Monod wird auch in diesem Buch ausgeführt, die er bereits im Vorwort zu dessen Buch "Zufall und Notwendigkeit" angebracht hatte.
Noumenon schrieb:Gleichzeitig springt mir bei Amazon auch noch "Zufall und Notwendigkeit" von J. Monod in's Auge, wo M. Eigen als Co-Autor aufgeführt ist (wenn ich das richtig sehe, hat er aber nur das Vorwort geschrieben). Das macht mich wieder ein wenig stutzig, welchen naturphilosophischen Standpunkt M. Eigen bezüglich der Entstehung/Entwicklung des Lebens wohl vertreten mag, hm...
Richtig. Eigen hat das Vorwort zu Monods Buch geschrieben und darin seine Sichtweise auf die Dinge dargestellt, die sich deutlich von Monods Sichtweise abhebt. Während Monod im Wesentlichen aus existentialistischer Sichtweise heraus argumentiert und das Leben sowie den Menschen als Laune der Natur in das Dasein geworfen begreift, der nun zusehen muss, dass er mit diesem zufällig sich ergeben habenden Fakt nunmehr vernünftig handelnd umgeht, indem er seine Freiheit dazu nutzt, autonom sich eine Existenz aufzubauen und eine "Ethik der Erkenntnis" zu entwickeln, die mit den überkommenen "Animismen" grundsätzlich aufräumt, indem sie beseitigt werden, argumentiert Eigen mit einem Wechselspiel von Zufall und Notwendigkeit, wobei der Notwendigkeit der Naturgesetze die Rolle zukommt, den Zufall so einzudämmen, dass sich die molekularen Wechselwirkungen so sortieren, dass sie zu höherer Komplexität hochwachsen und unter Anwendung des selektiven Wertkriteriums eine chemische Evolution einsetzt, die sich über Selbstorganisationsprozesse vermittelt über Hyperzyklen in eine biologische Evolution entwickelt.
Eigen kritisiert bei Monod die Verabsolutierung des Zufalls, dessen einseitige Betonung auf den Zufall als kreative Kraft in den Naturprozessen, die zum Leben und zum Denken geführt haben und setzt dem die kreative Kraft der Naturgesetze entgegen, die den Zufall in Relation zur Notwendigkeit gegeben sieht, so dass aus der existentialistischen Absurdität des Daseins von Leben und Mensch (Monods Sichtweise) ein in die allgegenwärtigen Naturprozesse sinnvoll eingebundenes Dasein wird.
Noumenon schrieb:Ja, aber umgekehrt wird auch immer wieder gerne behauptet, die Entstehung des Lebens und nichtzuletzt der Mensch sei dem bloßen und blinden Zufall zu verdanken (Gould, Monod, Dawkins...).
Bei Monod kann man das so sehen (wobei ich dessen Ausdrucksweise und dessen Intention noch einmal differenzierter betrachte als es üblicherweise kommuniziert wird), aber bei Gould (durchbrochenes Gleichgewicht) und Dawkins (Blinder Uhrmacher) sehe ich das nicht so. Bei letzteren ist der Zufall nicht blind und bloß, sondern ebenfalls kanalisiert durch die im Zuge der Evolution entstandenen Fundamente. Es herrscht also nicht reine Willkür und ein richtungsloses Durchkombinieren von Möglichkeiten, sondern auf der Basis vorhandener Strukturen ergeben sich Möglichkeitsspektren, die ausgetestet werden können, wobei dann irgendeine gefundene Lösung durch das "Nadelöhr" passt, welches den Zugang zu weiteren Komplexitätsstufen ermöglicht.
Noumenon schrieb:Zwischen diesen beiden "Spannungspolen" - Zufall und Planung - gibt's ja immer wieder unzählige Debatten, wenn es um die Frage nach der Entstehung und weiteren Entwicklung von Leben geht.
Also innerhalb der Biologie ist Planung kein Spannungspol. Es ist eher die Frage, wie frei das Spiel der Kräfte sein kann, welches durch die Konstitution der Organismen und deren Umgebungsbedingungen bereits vorab eingeengt ist. Die Frage ist nur, in welchem Grade hier eine Einengung gegeben ist, welchen Einfluss das Genom spielt und welche Freiheitsgrade das Genom zulässt. Gerade in letzter Zeit gibt es da einige neue Entwicklungen, die die zuvor recht starre Sichtweise auf das Genom verändert haben. Inzwischen spricht man bereits von "Prozessgenen" - also recht dynamischen Gebilden, die der Interpretation des biochemischen Umfelds bedürfen, bevor sie im Zuge der Merkmalsbildung verwertet werden.
Noumenon schrieb:von einer Entwicklung, die mehr oder weniger so zu erwarten war.
Na gut, das würde ich dann doch bezweifeln. Mehr als sehr allgemeine Eigenschaften (dicke Stützorgane und plumper Körperbau bei hoher Gravitation und grazilere Formen bei niedrigerer Gravitation) wird man nicht vorhersagen können, aber das läuft dann auf Trivialitäten hinaus, die nur sehr allgemein physikalischen Vorgaben entsprechen, nicht aber konkreter Morphologien, die im Zuge einer biologischen Evolution entstehen. Aber das ist hier auch nicht das Thema.
Noumenon schrieb:Zwischen diesen beiden Spannungspolen sehe ich auch das o.g. Buch "Das Spiel - Naturgesetze steuern den Zufall" von M. Eigen verortet.
Vielleicht solltest Du das Buch erst einmal lesen. Dieses Buch beschränkt sich nicht auf die Abiogenese, sondern behandelt darüber hinaus auch soziologische und politische Themen, die den Menschen als "Homo ludens" ausweisen.
Noumenon schrieb:Zufall und (Natur-)Gesetz sind zwei Spieler ein- und desselben Spiels, beide haben so ihre Rollen, aber die Evolution lediglich aufgrund zufälliger Einflussfaktoren als ein insgesamt zufälliges Geschehen deuten zu wollen, scheint eher grober Unfug zu sein.
Es kommt eben darauf an, wie man den Zufall definiert. Freies Kombinieren allein ist es sicherlich nicht, aber zielorientiertes Handeln nach Plan eben auch nicht. Die Kanalisation des Zufalls durch die Naturgesetze folgt keinen Vorgaben, sondern erfolgt auf der Basis dessen, was sich ergeben hat. Es ist beispielsweise keine notwendige Folge, dass das Basentriplett GGG auf der mRNA die Aminosäure Glycin in einem Peptid "bedeutet" - hier war der Zufall offenbar blind am Werk, da die für die "Übersetzung" nötigen weiteren Moleküle hinsichtlich ihrer Sequenz auch anders hätten entstehen können, so dass sich eine andere "Zuordnung" ergeben hätte.
Noumenon schrieb:Aber ganz so einfach ist es dann letztendlich doch nicht
Ja, ich hatte auch eine Zeit lang gedacht, Ozon und Methan reichten aus, aber das ist wohl doch nicht so eindeutig der fall, wie zuvor vermutet. Wir werden also weiterhin mit unsicheren Indizien leben müssen, falls wir Atmosphärendaten bekommen, die auf einen Nichtgleichgewichtszustand hindeuten. Am Ende bleiben wir eben doch auf unsere Erde zurückgeworfen und müssen zusehen, dass wir das Reich und nicht die Finsternis bewirken (frei nach dem Schlusssatz in Monods Buch).
Noumenon schrieb:was die Entwicklung des Lebens angeht, so kann doch bspw. auch die Ausbildung von diversen Sinnesorganen zur Wahrnehmung von Umweltreizen kaum ein Zufall sein.
Augen sind mehrfach entstanden, so dass es offenbar einen starken Selektionsdruck gibt, der bei Tieren in Richtung von Lichtwahrnehmung wirkt, welche über geeignete Sinnesorgane vermittelt wird. Die passenden Mutationen finden jedoch dennoch zufällig statt, so dass sich aus verschiedenen Gewebeteilen des Embryos analog gebaute Organe entwickeln können. Wirbeltieraugen und Oktopusaugen sehen sehr ähnlich aus, entwickeln sich aber aus unterschiedlichen Gewebeteilen in der Embryonalentwicklung. Die Selektion bewirkt hier die Anhäufung von passenden Mutationen, während unpassende entweder unselektiert bleiben oder über deren Träger aus dem Genpool eliminiert werden.
Noumenon schrieb:Und ironischerweise scheint sie in gewisser Weise einem mechanistischen Weltbild Vorschub zu leisten, wenn sie den Vergleich zwischen Organismus und Mechanismus zieht, dabei den Organismus auf einen Mechanismus reduzierend...!
Organismen weisen nun mal auch Eigenschaften auf, die man als Mechanismus oder Maschine begreifen kann, aber - und das ist der Unterschied - Organismen beschränken sich nicht darauf, da sie im Zuge ihres Funktionierens über sich hinausweisen, weil sie mit ihrer Umwelt nicht nur interagieren, sondern selber Teil des Kontinuums sind, in dem sie agieren und aus dem sie hervorgegangen sind. Während Uhren ständig neu aufgezogen werden müssen, sind Organismen Teil eines umfassenderen Stoffflusses, über den sie sich ständig selbst "aufziehen", wenn sie Nahrung aufnehmen und für die Autopoiesis verwerten.
Noumenon schrieb:Das Konzept der Selbstorganisation hat ja auch tatsächlich durchaus gewisse Parallelen zum Begriff der Entelechie des Aristoteles
Na ja, aber die Parallelen sind nur "gewiss" und nicht zwingend, denn Aristoteles verstand unter dem "Ziel darin" eine Zielvorgabe, die zu erreichen ist, während Selbstorganisation zwar zu einem Resultat führt, aber dieses nicht in den Komponenten vorab enthalten ist, damit sie sich zu diesem Resultat selbst organisieren. Hier würde ich schon einen deutlichen Unterschied sehen.
Noumenon schrieb:Mit den Ansätzen der Systemtheorie scheint also tatsächlich eine Synthese dieser beiden Weltbilder - teleologisch-vitalistisch einerseits, kausal-mechanistisch andererseits - möglich zu sein.
Das glaube ich nicht, denn in der Systemtheorie geht es eher um Emergenzen, die sich im Zuge der Wechselwirkungen zwischen Komponenten gleicher Hierarchieebene erst ergeben, aber nicht vorher darin angelegt worden sind. Und die emergierten Strukturen stellen dann selber Komponenten der nächsthöheren Hierachieebene dar, die ihrerseits über Wechselwirkungen weitere Hierarchieebenen emergieren lassen können.
Wir schweifen aber ab ...
Noumenon schrieb:Interessant wäre in diesem Zusammenhang vielleicht auch noch der Begriff der Teleonomie, die sich ja ein bisschen von der Teleologie abzugrenzen versucht
Das eine ist Zweckeignung (Teleonomie) - also Augen sind dazu geeignet Licht aufzunehmen, zu sammeln und in Nervenreize umzuwandeln, so dass sie in das Zentralnervensystem gelangen können und ein wahrgenommenes Bild entsteht - und das andere ist Zielorientierung - also Augen sind entstanden, damit sie das vorab festgelegte Ziel der Bildwahrnehmung erreichen können. Dass Organe zweckmäßig sind, ist unbestritten, da die Selektion diese Funktionen hat entstehen lassen, welche sich begünstigend auf die Fitness auswirken. Dass das Ziel jeder Funktion eines Organs jedoch vorab bestanden hat, ist eine Mutmaßung, die sich im Rahmen der Naturwissenschaften nicht belegen lässt.
skagerak schrieb:Dort wurde es so resumiert als wenn es schon eine gesicherte Theorie wäre mit den Mineralien usw.
Mineralien haben bestimmt eine zentrale Rolle gespielt. Viele Proteine besitzen als Koenzym mineralische Komponenten (z.B. Kupfer oder Eisen oder Molybdän usw.) sowie eine gefurchte Oberfläche, die sich über Faltungen der Peptidkette ergibt. Man kann sagen, dass die heutigen Proteine z.T. den einstigen mineralischen Untergrund imitieren - nur dass nun dieser Untergrund transportabel und beweglich geworden ist, während er einst die darauf ablaufenden Prozesse starr auf einen bestimmten Ort fixierte, als es noch keine unabhängigen Zellen gegeben hatte, sondern sich alles noch in Gesteinsporen befand.