Weltweite überwachung via internet?
28.09.2006 um 00:37
4. Die Verletzung der Privatsphäre durch die Logik des Verdachts
Im letztenKapitel wurde bereits gezeigt, dass die Aussage "Wer nichts zu verbergen hat ..." dieAusdehnung der Reichweite staatlicher Kontrolle kategorisch als Problem verneint. Deshalbpasst sie in einen Sicherheitsdiskurs, der in Richtung einer totalen Überwachungtendiert. Die Diagnose einer Entwicklung hin zur totalen Überwachung wird in der Regelals paranoid verworfen. Aber unter bestimmten Umständen ist totale Überwachung schlichtvernünftig für einen Staat, der sich der Aufgabe der Terrorprävention verschrieben hat.Ich will diese Umstände grob skizzieren.
4.1. Erzeugung von Handlungsdruck durchdie Terrorgefahr
Die Prämisse der gegenwärtigen Sicherheitsdiskussion ist derSchutz vor Terroranschlägen. Das ist ein legitimes Ziel. Für die Ermittlungsbehördenerzeugt es allerdings großen Handlungsdruck: Steht ein Anschlag zu befürchten, sindMenschenleben in Gefahr. Deshalb müssen die Behörden den Terroristen zuvorkommen, umdessen Pläne zu vereiteln. Sie müssen also handeln, bevor die eigentliche Straftatgeschieht. Das heißt: Sobald der Verdacht eines Terroranschlages besteht, muss etwasunternommen werden. Weil niemand riskieren will, dass Menschen sterben, nur weil man eineSpur für unbedeutend hielt, zwingt auch der kleinste Verdacht schon zum Handeln. Damitsetzen auch vage Ahnungen die Präventionsmaschinerie in Gang.
Ich verstehe hierVerdacht im Sinne des Alltagsverstandes, nicht juristisch. Als Basis der Prävention hatder Verdacht einige Eigenheiten. Der Verdacht ist eine Hypothese: Ich halte jemanden fürschuldig, aber mein Verdacht kann sich am Ende auch als falsch herausstellen. Was ich alsVerdacht behaupte, ist also kein gesichertes Wissen. Oberflächlich gesehen hat einVerdacht keinerlei Konsequenzen, denn er ist kein Urteilsspruch, aus dem eine Strafefolgt. Bin ich an den Konsequenzen interessiert, muss ich die Hypothese prüfen, indem ichFakten herbeischaffe, die sie erhärten oder widerlegen.
Die Möglichkeit desIrrtums schafft eine Hintertür: Ich kann meinen Verdacht widerrufen. Er ist einkorrigierbarer Fehler. Falsche Verdächtigungen sind revidierbar, also keinschwerwiegendes Problem. Dies lädt dazu ein, auch vage Verdächte zu formulieren. Sieblühen vermutlich dort, wo man nicht in der Beweispflicht steht, am intensivsten. Weiljeder Verdacht das Signum der Vorläufigkeit hat, darf man ihn auch äußern.
Fürdie Ermittlungsbehörden sind allerdings Verdächte ein Imperativ, etwas zu unternehmen.Die aktuelle Sicherheitsdiskussion favorisiert als Mittel der Wahl die Überwachung. Lautder Aussage "Wer nichts zu verbergen hat, ..." ist die Überwachung kein Problem für denÜberwachten. Folglich ist der kontrollierende Zugriff in jedem Fall das rationale Mittelder Wahl: Die Möglichkeit a) des berechtigten Verdachts erzwingt eine Überwachung, dieMöglichkeit b) des unberechtigten Verdachts schließt die Überwachung nicht aus, weil sieja nicht schadet.
4.2. Der Bürger unter Generalverdacht
Rational isteine Totalisierung der Überwachung auch aufgrund des Verhaltens der Terroristen.Bedingung des Erfolgs eines Terroranschlages ist die Geheimhaltung ihrer Planung: Umseine Opfer zu treffen, muss der Terrorist sie überraschen. Ort und Zeit des Anschlagsmüssen ein Geheimnis bleiben. Entsprechend ist die Aufdeckung des geheimen Plans bereitsdessen Vereitelung (siehe: Stölting).
Deshalb ist der Terrorist bemüht,keinerlei Hinweise auf seine Absichten zu hinterlassen. Zudem muss er selbst als Personzusehen, keinen Verdacht zu erregen: Er muss möglichst unscheinbar wirken, eben wiejedermann. So täuscht der Terrorist über seine Absichten hinweg.
Aus der Sichtdes Staates, welcher die geheimen Pläne vor ihrer Realisierung zu enthüllen sucht, folgtdaraus: Sieht der Terrorist aus wie jedermann, kann jedermann nun auch ein Terroristsein. Weil der äußerliche Eindruck der Rechtschaffenheit Trugbild sein kann, istKontrolle besser als Vertrauen. Der Täuschung zu erliegen, kann Menschenleben gefährden.Erst die Kontrolle schafft Sicherheit, dass der Rechtschaffene auch ist, was er zu seinvorgibt. Also: Wo der konkrete Anhaltspunkt fehlt, ist ein Generalverdacht gegen jedenBürger sinnvoll (zumal man die Mittel zu haben glaubt, mit denen man die Nadel imHeuhaufen finden kann).
4.3 Der Schutz der Privatsphäre als Präventionshemmnis
Der strategisch denkende Terrorist weiß um die Kontrollbemühungen des Staatesund wird versuchen, sich ihnen zu entziehen. Er nutzt also Räume oder Medien, von denener glaubt, dass sie nicht überwacht werden. Überwachung erzeugt Verdrängung, woraus NilsZurawski [local] Nach Kofferbombenfunden - mehr Videoüberwachung gegen den Terror?folgert: "Verdrängung hieße aber auch eine Ausweitung, denn kein Verantwortlicher könntebegründen, warum die Kameras nicht dorthin folgen, wo auch die Kriminalität hinabwandert." Will die Überwachung ihr Ziel erreichen, muss sie tendenziell flächendeckendvorgenommen werden.
In dem Film "Das Leben der Anderen" protokolliert derStasihauptmann Wiesler, was er beim Abhören eines Künstlerpaars erfährt: "Danachvermutlich Geschlechtsverkehr." Die Effekt dieser Szene gelingt, weil der Stasimann indie Privatsphäre des Paares eindringt. Gemeinhin gilt das Liebesleben als Privatsache,seinen symbolischen Ort hat es im gemeinsamen Schlafzimmer, welches unerwünschtesPublikum ausschließt. Für den bundesrepublikanischen Kinozuschauer steht WieslersSpitzelei vermutlich für den Unrechtscharakter der DDR. Hingegen ist in derBundesrepublik die Privatsphäre etwa über das Prinzip der Unverletzlichkeit der Wohnunggesetzlich geschützt. Hier existiert ein fundamentales Verbot staatlicherkontrollierender Zugriffe.
Aus staatlicher Sicht ist es aber vernünftig,anzunehmen, dass ein vorausschauender Terrorist gerade hierher seine konspirativenAktivitäten verlegt. Eben weil das Schlafzimmer so fundamental vor Kontrolle geschütztist, ist es ein geeigneter Ort, um etwas zu verbergen. Der Schutzraum wird zumErmittlungshindernis. Auch eine umfassende Überwachung aller anderen Sphären muss nutzlosbleiben, solange solche Schutzräume als Rückzugsort bestehen. Die Ermittler müssenbefürchten, dass das Relevante immer dort geschieht, wo der staatliche Arm nicht mehrhinreicht. Das an das Schlafzimmer geknüpfte Verbot bindet den Ermittlern letztlich dieHände, weil es die Aufdeckung geheimer Pläne verhindert. Und dies motiviert dann dieForderung, scheibchenweise diese Hemmnisse abzubauen.
Sofern eine solcheEntwicklung nicht aufgehalten wird, muss man auch in der Bundesrepublik einst befürchten,dass das eigene Liebesleben in den Protokollen von Leuten auftaucht, die es eigentlichnichts angeht. Allerdings übersieht die Aussage "Wer nichts zu verbergen hat ..." diesbzw. hält derartige Befürchtungen für übertrieben.
4.4. Perpetuierung desVerdachts durch die grundsätzliche Möglichkeit der Lüge
Dem Verdacht wohnt alsoeine Steigerungslogik inne: Der Verdacht erfordert Überwachung. Die Überwachung gebiertden Folgeverdacht, dass sich die Überwachten der Überwachung entziehen. Dies erzwingt dieAusweitung der Überwachung. Diese Steigerungslogik führt aber tendenziell auch zu einerIntensivierung der Überwachung.
Der Terrorist plant seine Aktionen im Geheimenund täuscht Harmlosigkeit vor. Das Ziel staatlicher Überwachung ist darum die Enttarnungdes Terroristen, mithin die Enthüllung der wahren Natur seiner Person und seines Tuns.
In der öffentlichen Debatte zum Thema Innere Sicherheit ist dieses Ziel unschwererkennbar. Ein strategisch denkender Terrorist wird einkalkulieren, dass er überwachtwerden könnte und darauf reagieren. Eine Möglichkeit ist dabei, den Umstand derÜberwachung zu nutzen, um die Überwacher zu täuschen. Wenn der Terrorist z.B. ahnt, dasssein Telefon abgehört wird, kann er über diesen Kanal falsche und irreführendeInformationen über seine Pläne kommunizieren. Die Überwacher wiegen sich nun in falscherSicherheit, etwas Relevantes enthüllt zu haben.
Will der Überwacher dieser Falleentgehen, ist es vernünftig, den Überwachungsdaten zunächst zu misstrauen. Das erforderteine Prüfung der Daten. Dazu muss man einerseits weitere Daten beschaffen, die alsPrüfkriterien der bisherigen dienen können. Die Folge ist, dass die "klassische"Telefonüberwachung ergänzt wird durch die Speicherung von Internetverbindungen usw.Andererseits müssen die Methoden der Datengewinnung verbessert werden. Dafür stehtbeispielhaft der Lügendetektor. Dieser ist zwar kein Überwachungsinstrument, aber erverkörpert die Furcht, belogen zu werden als auch die (wie auch immer begründete)Hoffnung, unbezweifelbare Gewissheit darüber erlangen zu können, was im Kopf desVerdächtigten vor sich geht. Furcht und Hoffnung dieser Art werden nun aber tendenziellüberall, wo man das Schlimmstmögliche (einen Terroranschlag) erwartet, zu weiterentechnologischen Versuchen führen, die Gedanken des Verdächtigen zu lesen.
Vonsich aus hat dieser Prozess aber keinen Punkt, an dem er von alleine stoppt. Schließlichkann man die Möglichkeit, belogen zu werden, nicht aus der Welt schaffen. Weil (noch)niemand in den Kopf eines Anderen hineinschauen kann, kann auch niemand wirklich wissen,was dieser tatsächlich denkt. Deshalb ist Zweifel immer angebracht, entsprechend auchalle Aktivitäten, um ihn zu beseitigen.
Die Aussage "Wer nichts zu verbergenhat..." beruht auf der Illusion, man könne einst Gewissheit finden. Sie erweckt denEindruck, staatliche Kontrolle sei ein zeitlich begrenzter Prozess, der am Endezweifelsfrei erweist, wer zu den Guten oder zu den Bösen gehört. Genau diese Versicherungerweist sich bei näherem Hinsehen als naiv und unberechtigt.
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