Ich selber bin zwar in jüngeren Jahren recht oft auf Schiffen mitgefahren, verstehe aber doch zuwenig von der Materie. Daher habe ich einen alten Kumpel befragt, der aktiver Schiffskapitän ist. Ich stelle seine Antwort so ein, da sie mir zu fachtechnisch ist und ich nichts verfälschen will:
"Hi, im allgemeinen gebe ich keine Expertisen über Fälle ab, bei denen ich nicht selber zugegen war. Aber probieren wir es mal.
Zuerst zur "Pflicht" des Kapitäns, als letzter an Bord bleiben zu müssen: das ist nirgends gesetzlich festgelegt, und auch Reederien schreiben das ihren Kapitänen nicht vor. Sie würden sich auch hüten. Es riecht zwar selten gut, wenn der Alte schon als erster im Rettungsboot hockt, aber es kann durchaus denkbare Fälle geben, in denen das gerechtfertigt sein kann. Das wissen auch die Reedereien natürlich, und daher halten sie sich mit solchen Direktiven auch weise zurück. Die Reedereien sagen zu ihren Kapitänen nur: "Halten Sie sich immer an die Gesetze (SOLAS, MARPOL und ISPS vor allen Dingen - und fertig."
Wie die Sache hier liegt, beurteile ich nicht, weil ich nicht dabeigewesen bin.
Nun zum eigentlichen Unfall:
Ich habe mir den Track gezogen, aufgezeichnet von der AIS-Station in Porto Santo Stefano.
http://www.shipspotting.com/videos/video.php?vid=982Er geht also von Civitavecchia nach Savona und wählt die Route zwischen der Insel Giglio und dem Monte Argentario (das ist diese lustige Halbinsel, verbunden mit dem Festlande durch drei Landzungen, die zwei Seen bilden. Vom Flugzeug aus sieht man das immer schön.)
Das ist auch die normale Route, dagegen ist nichts einzuwenden. Der Abstand zwischen Insel und Festland ist knapp 8 Meilen (15 km), also Platz zur Genüge.
Giglio gehört allerdings mit seinen anderen Schwesterinseln zum "Parco Nazionale dell'Arcipelago Toscano", und hat seit einigen Jahren eine Umweltschutzzone von 4 Meilen, d.h. daß in dieser Zone keiner was verloren hat, der keine Spezialgenehmigung hat, oder da da nicht dezidiert hin muß. Die "Costa Concordia" hatte eine solche Genehmigung ganz sicher nicht, also hätten sie sich ohnehin mehr am Monte Argentario halten müssen.
Haben sie aber nicht.
Man sieht schön, daß sie, statt um spätestens 20:30 Uhr Kurs auf 295° zu ändern (besser noch etwas eher), - also in Richtung West-Ecke Elba - um dann zwischen der Insel Pianosa und Elba durchzufahren - GERADAUS mit 276° weiter auf Giglio zuhalten!
Warum sie das tun, da kann man nur spekulieren. Bestimmt nicht aus touristischen Gründen, denn es ist um diese Zeit ja schon stockdunkel wintertags, und Giglio bei Nacht ist nicht gerade ein romantisches Lichtermeer. Zu sehen gibts da also gar nichts.
Aber wie es halt so ist leider heutzutage immer mehr: Der Herr Wachoffizier mit seinem Ausguck ... so nahe an der Küste hat man einen ganz wunderbaren UMTS-Empfang, und da gibt's nur eines: Raus mit dem Handy und Tablet, und fleißig simsen und facebooken und chatten ... und Navigation Navigation sein lassen! Geht eh automatisch.
Wie oft konnte ich das selber beobachten, und wenn man dann dazwischenschlägt, ist zwar vorerst gut, aber nach 3 Tagen wieder dasselbe Spiel.
Sie können sich natürlich im Radar oder ECDIS eine Guard Zone in Form eines Ringes legen, und wenn sich ein Objekt (anderes Schiff oder auch Land) unter die eingegebene Distanz nähert, fängt es an zu piepsen. Aber Guard Zones legt man nicht immer, vor allen Dingen ist für diese Kreuzfahrer eine solche Reise ja völlige Routine. Da macht sich gar keiner mehr die Mühe, noch groß was einzustellen.
Die legen vor Abfahrt den Track ins GPS, - dieses speist wiederum das ECDIS, und wenn man ganz modern sein will, dann koppelt man das auch noch mit dem Autpiloten. Das Schiff ändert dann selber Kurs.
Letzteres haben sie aber offensichtlich nicht getan, denn um 20:40 -wo er längst stramm nach Norden abgedreht sein müßte, hält er weiter auf die Insel zu.
Giglio hat zwar ein Leuchtfeuer an der Südspitze (Punta del Capel Rosso) und der Hafen ist mit einem roten und grünen Molenfeuer befeuert. Aber wer guckt da schon, wenn man "Wichtigeres" zu tun hat.
Um 20:41 Uhr ist er nur noch 9 Kabel vom Land entfernt. Viel zu knapp! Das sind nur 1,7 km! Und er liegt immer noch auf viel zu westlichem Kurs! Und hjat natürlich ordentlich Speed drauf. Diese Schiffe sind ja stark gepowered, das sind keine lahmen Enten wie meine Massengutfrachter.
Aber nun haben sie es endlich bemerkt, daß sie vorne was haben!
Nun gibt er hart steuerbord, und um 20:43 liegt er auf Kurs 312° - aber nur noch ganze 3 Kabel!
Viel zu knapp. Das Unheil ist nicht mehr abzuwenden.
Das Heck schert aus - und als er eine Minute später endlich genau auf Nordkurs liegt, hat er die Felsen mit seiner Backbordseite erwischt.
Das hat natürlich ordentlich gerummst, und den Alten auf die Brücke zu rufen wird wohl nicht mehr nötig gewesen sein. Das hat er schon selber bemerkt.
Und nun sieht man schön, was er macht: Er liegt auf Nordkurs, und die ersten Wassereinbrüche werden ihm auch schon von unten gemeldet worden sein, - und dann wird er gewußt haben, daß unter den vorliegenden Umständen an eine Fortsetzung der Reise nach Savona nicht einmal im Traume zu denken ist.
Daher stoppt er das Schiff. Nun hat er schon seine nächste prekäre Unnanehmlichkeit:
Was soll er jetzt tun? Er muß damit rechnen, daß er sinkt. Die Wassertiefe, wo er sich jetzt befindet, etwa auf der Höhe des kleinen Hafens, beträgt ca. 50 Faden - also über 80 Meter. Viel zu tief, um sich einfach sinken zu lassen. Dann hat er nämlich ein paar 1000 Tote!
Daher gibt es nur eines: das Schiff so nahe wie möglich an Land zu bringen und bewußt auf Grund zu setzen.
Das macht er auch. Er rutscht an den Felsen nördlich des Hafens vorbei, ist dann endlich völlig aufgestoppt, dann dreht er das Schiff und manövriert es zu seinem jetzigen Ruheplatz.
Völlig richtig so, anders ging es nicht.
Problem ist halt, daß die Inseln und die Küste des Tyrrhenischen Meeres im Gegensatz zur Adria leider keine weit ins Meer reichenden flachen Sandstrände haben, wo man bequem beachen oder ankern kann, sondern dieses Gebiet alles vulkanisch ist, - also steil ins abgrundtiefe Meer abfallend.
Darum liegt er da auch so unsicher, aber einen besseren Platz gibt es halt nicht in dieser Ecke.
Soweit also das, was ich hier sehe. Einen Vorwurf kann ich dem Kollegen in dem Punkte nicht machen.
Ob er gut oder ein Versager ist, wie man nun schreibt, weiß ich auch nicht. Kontrollmechanissmen, wie jemand hier schreibt, gibt es keine. Solange nichts passiert, ist er gut und fertig.
Und es ist so, daß Kapitäne absolute Mangelware sind. Die wachsen nicht auf Bäumen. Die Ausbildung will heute kaum jemand mehr machen, da viel zuviele Opfer damit verbunden sind, und Costa ist ja bei ihrer Auswahl auch noch sehr beschränkt. Sie können nicht einfach einen Philipino oder Russen raufschicken als Alten. Sie führen die italienische Flagge, und da muß der Kapitän Gesetz her Italiener sein, und dann wird es von den zahlenden Passagieren ja auch erwartet, daß "ihr" Kapitän, auf ihrem schönen italienischen Luxusliner, auch ein waschechter Italiener ist. Das gehört einfach dazu. Es ist ja keine Fähre von Puttgarden nach Rödby, wo das völlig wurscht ist, woher der Kapitän kommt.
Was die Presse schreibt ist sowieso klar, und die fiese Reederei distanziert sich natürlich schön von ihm. Sie müssen das ja als absoluten Einzelfall hinstellen, wegen unfähigem Kapitän, und nicht weil die Reederei irgendwelche Sorgfaltspflichten außer Acht gelassen hat. Da würde ja keiner mehr buchen bei denen.
Also lassen wir den Alten über die Klinge springen. Das ist abgemachte Sache, auch mit den Behörden und der Justiz hier, und Fall erledigt."
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das war die Mail vom Fachmann.