Link: www.bundesverfassungsgericht.de (extern)Der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts verhandelt am
Mittwoch, 10.Oktober 2007, 10:00 Uhr,
im Sitzungssaal des Bundesverfassungsgerichts,
Schloßbezirk 3, 76131 Karlsruhe
die Verfassungsbeschwerden einer Journalistin,eines Mitglieds des
Landesverbandes Nordrhein-Westfalen der Linkspartei.PDS unddreier
Rechtsanwälte. Die Verfassungsbeschwerden richten sich gegen das am30.
Dezember 2006 in Kraft getretene Änderungsgesetz zum
nordrhein-westfälischenVerfassungsschutzgesetz, welches dem
Verfassungsschutz unter anderem die Befugnisgibt, heimlich auf an das
Internet angeschlossene Computersysteme zuzugreifen(sog.
"Online-Durchsuchung"). Im Einzelnen sind folgendeVorschriften
angegriffen:
--> § 5 Abs. 2 Nr. 11 VSG (Aufklärung desInternets und
"Online-Durchsuchung")
Die Norm ermächtigt dieVerfassungsschutzbehörde zu zwei verschiedenen
Arten von Maßnahmen: Zum einen erlaubtsie das Beobachten und Aufklären
des Internets; hierunter fallen in erster Linie dieSichtung und
Teilnahme an der Internet-Kommunikation (z.B. E-Mails,Newsgroups,
Chats, Webseiten). Zum anderen ermächtigt die Normdie
Verfassungsschutzbehörde zum heimlichen Zugriff auf
informationstechnischeSysteme, auch mittels technischer Mittel.
Derartige Zugriffe werden in jüngerer Zeitunter dem Schlagwort
"Online-Durchsuchung" diskutiert. Die Norm spezifiziert nichtnäher,
welche Arten von Zugriffen auf informationstechnische Systeme
gesetzlicherlaubt sein sollen. Technisch denkbar und unter
Ermittlungsgesichtspunktenmöglicherweise zielführend könnten eventuell
die folgenden Arten von Zugriffen sein:Der einmalige Zugriff auf die
auf der Festplatte des betroffenen Computersgespeicherten Daten; eine
kontinuierliche Überwachung der gespeicherten Daten, bei derjede
Änderung des Datenbestands mitgeschnitten wird; der Zugriff aufweitere
Funktionen des betroffenen Rechners (etwa Mitverfolgungder
Tastatureingaben, Zugriff auf über das Internet geführteTelefonate).
--> § 5 Abs. 3 VSG (Benachrichtigungspflichten)
Danach sind mitnachrichtendienstlichen Mitteln gewonnene
personenbezogene Daten zu kennzeichnen undden Personen, zu denen diese
Informationen erfasst wurden, nach Beendigung derMaßnahme mitzuteilen.
Unter bestimmten Voraussetzungen kann eine Benachrichtigungdes
Betroffenen unterbleiben.
--> § 5 a Abs. 1 VSG (Erhebung vonKontoinhalten)
Unter bestimmten Voraussetzungen darf die Verfassungsschutzbehördebei
Kreditinstituten, Finanzdienstleistungsunternehmen und
FinanzunternehmenAuskünfte über Beteiligte am Zahlungsverkehr und über
Geldbewegungen und Geldanlageneinholen. Auf diese Weise soll
ermöglicht werden, die Finanzierungsströmeterroristischer Netzwerke zu
ermitteln.
--> § 7 Abs. 2 VSG (AkustischeWohnraumüberwachung)
Die Norm regelt die Befugnis des Verfassungsschutzes zurakustischen
Wohnraumüberwachung.
--> § 8 Abs. 4 Satz 2 VSG (Führungelektronischer Sachakten)
Das Gesetz unterscheidet zwischen Akten derVerfassungsschutzbehörde,
die zu bestimmten Personen geführt werden, und Sachaktenüber
verfassungsfeindliche Bestrebungen, in die allerdings auch
personenbezogeneInformationen aufgenommen werden können. § 8 Abs. 4
VSG regelt den Zugriff aufpersonenbezogene Daten, die in Sachakten
enthalten sind. Der angegriffenen Satz 2bestimmt, dass
personenbezogene Daten in Sachakten bestehen bleiben dürfen, auchwenn
die zu der betreffenden Person geführten Dateien gelöscht wordensind.
--> § 13 VSG (Datenverarbeitung in gemeinsamen Dateien)
Die Normermächtigt die Verfassungsschutzbehörde, ihre Erkenntnisse in
gemeinsamen Dateiennicht nur - wie bereits bisher - mit anderen
Verfassungsschutzbehörden, sondern auchmit weiteren
Sicherheitsbehörden zu verarbeiten.
Nach Auffassung derBeschwerdeführer verletzt die "Online-Durchsuchung"
(§ 5 Abs. 2 Nr. 11 VSG) das Rechtauf Unverletzlichkeit der Wohnung.
Viele vertrauliche Informationen, die früher inkörperlicher Form in
der Wohnung aufbewahrt wurden und damit in den räumlichenSchutzbereich
der Wohnung fielen, würden heute auf dem heimischenComputer
gespeichert und fielen daher ebenfalls in den Schutzbereich des Art.13
GG. Die Unverletzlichkeit der Wohnung könne nur unter den
Voraussetzungen desArt. 13 Abs. 2 bis 7 GG eingeschränkt werden. Die
Online-Durchsuchung werde aber vonkeiner der dort vorgesehenen
Einschränkungsmöglichkeiten erfasst. Darüber hinaus rügendie
Beschwerdeführer eine Verletzung des Rechts aufinformationelle
Selbstbestimmung. Die Regelung über die Online-Durchsuchung wahreweder
das Gebot der Normenklarheit noch den Grundsatz der
Verhältnismäßigkeit.Soweit § 5 Abs. 2 Nr. 11 VSG das Beobachten des
Internets vorsehe, verletze die Normauch das Fernmeldegeheimnis.
Soweit es um die Benachrichtigung des Betroffenen imAnschluss an eine
Maßnahme nach § 5 Abs. 2 Nr. 11 VSG geht, sehe § 5 Abs. 3 VSG zuweit
reichende Ausnahmen von der Benachrichtigungspflicht vor und sei daher
mit derRechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG nicht vereinbar.
§ 5 a Abs. 1 VSG, der dieErhebung von Konteninhalten regelt, verstoße
gegen das Recht auf informationelleSelbstbestimmung.
§ 7 Abs. 2 VSG entspreche nicht den Vorgaben, diedas
Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil zur strafprozessualen
akustischenWohnraumüberwachung aufgestellt habe. Es fehle an
kernbereichsschützenden Regelungenund Vorschriften zur Kennzeichnung
der gewonnenen Daten.
§ 8 Abs. 4 Satz 2 VSGverletze das Recht auf informationelle
Selbstbestimmung, da es an einer Regelung überdie Löschung
personenbezogener Daten in den Sachakten fehle.
§ 13 VSGschließlich verstoße gegen das Trennungsgebot zwischen
Geheimdiensten undPolizeibehörden und damit gegen das
Rechtsstaatsprinzip.