@Dafiid Zunächst mal herzlich willkommen auf Allmy!
:)Da hast du dir für den Einstieg ja gleich ein ganz
brisantes interessantes Thema ausgesucht.
;)Dafiid schrieb:Was mich an diesen Konversationen immer wieder geschockt hat, ist die augenfällige Ähnlichkeit zwischen den Denkmustern der NWO-Bewegung und dem früheren Antisemitismus. Das Konzept einer kleinen, verschworenen, elitären Gruppe die heimlich hinter allen wichtigen Ereignissen die Fäden zieht, und dabei naturgemäß nur böses im Sinn hat, erinnert stark an die Wahnvorstellung einer Jüdischen Weltverschwörung. Natürlich ist mir klar, dass der Großteil der Verschwörungstheoretiker alles andere als rassistisch ist und nichts liegt mir fernen als alle Anhänger der NWO-Theorie in einen Topf mit Hitler und seiner NSDAP zu werfen, dennoch scheinen beide Weltanschauungen bei vielen Menschen die gleichen emotionalen Bedürfnisse anzusprechen. Das Gefühl der Ohnmacht gegenüber übermächtigen Kräften in der Gesellschaft, der Wunsch in einer chaotischen Welt so etwas wie leicht erklärbare Muster zu finden, die Sehnsucht nach einer ganz neuen sozialen Ordnung finden ihren Ausdruck in einer fast schon religiös anmutenden Überzeugung, deren Anhänger sich häufig jeder rationalen Argumentation verweigern.
Sind die Bilderberger also die moderne Version der Weisen von Zion?
Beitrag von Dafiid (Seite 1)Meiner Meinung nach ja!
Wobei das aber nicht unbedingt mit dem Antisemitismus gleichzusetzen ist, wie ihn sich vielleicht Kleinfritzchen vorstellt.
Dafiid schrieb:Ich behaupte ja nicht das NWO antisemitisch ist, sondern dass die gleichen Denkmuster auf neue Art und Weise ausgedrückt werden.
Zum Beispiel die Vorstellung einer Herrschaft des Finanzkapitals, die sich genauso bei den Nazis findet. Dass eine einzige Gruppe hinter allem übel steht und die man lediglich auszuschalten habe um eine bessere Welt zu erschaffen.
Raffgierige, fast schon unmenschliche Wesen an der Spitze der Welt.
Kommt das nicht bekannt vor?
Beitrag von Dafiid (Seite 2)Ja natürlich kommt das bekannt vor! Genau das, was du hier beschrieben hast, nennt man in der Antisemitismusforschung auch
strukturellen Antisemitismus, wobei ich persönlich aus ganz bestimmten Gründen lieber die Bezeichnung
Kryptofaschismus für derlei Denkmuster verwende.
Struktureller Antisemitismus
Als strukturell antisemitisch werden Ideologien bezeichnet, die sich nicht ausdrücklich gegen Juden richten, aber dem „klassischen“ Antisemitismus von ihrer Begrifflichkeit und Argumentationsstruktur her ähneln. Gemeint ist vor allem die aus dem Frühsozialismus stammende Unterscheidung von Finanzkapital und Produktivkapital, wobei Ersteres mit seinen Repräsentanten identifiziert wird.[67] Diese werden für die Armut und das Leiden des „kleinen Mannes“ verantwortlich gemacht. Oft kommt der Vorwurf dazu, die „reichen Bonzen“ würden nur von der Arbeit der ehrlichen Arbeiter leben, während sie selbst nicht arbeiteten.
Durch diese Personalisierung und Verkürzung einer marxistischen Gesellschaftskritik ähneln Ideologien, die das Finanzkapital und seine Vertreter ablehnen, strukturell dem Antisemitismus und können in Judenhass übergehen oder diesen fördern. Seit dem Mittelalter waren berufliche Tätigkeiten der Juden, denen Landbesitz untersagt war und die von der Zugehörigkeit zu Zünften ausgeschlossen waren, auf den in christlichen Kreisen verpönten Geldverleih beschränkt, so dass sie bald als Wucherer geächtet wurden. Seit der Französischen Revolution wurden sie mit der „Zirkulationssphäre des Kapitals“[68] in Verbindung gebracht. Dabei verwies man stets auf einzelne reiche jüdische Bankiers (Beispiel Rothschild) oder „Spekulanten“, die als typische Vertreter aller Ausbeuter galten. So wurde das Judentum als treibende Kraft des entstehenden Kapitalismus bezeichnet. Auch die Nationalsozialisten stellten „schaffende“ Deutsche den „raffenden“ Juden gegenüber und identifizierten das Finanzkapital mit dem Judentum.
Insofern heutige antikapitalistische Gruppen und Theorien solche Argumente und Bilder übernehmen und einzelne Vertreter, etwa des IWF oder der Weltbank, als Juden darstellen und ihr Judesein hervorheben, weisen sie strukturell antisemitische Züge auf. Eine im Jahr 2002 von der EU in Auftrag gegebene Studie zu Antisemitismus[69] kommt zu dem Ergebnis, dass sich Globalisierungskritiker antisemitischer Stereotype bedienen würden.[70] Der Mitautor der Studie, Werner Bergmann, verweist darauf, dass es „unter anderem die Diskussionen innerhalb von Attac Deutschland [waren], die uns darauf aufmerksam gemacht haben“, weil sie dazu geführt hätten, dass „teilweise auch Rechte mit eindeutig antisemitischen Stellungnahmen mitmarschiert“ seien.[71] Attac hat sich mit diesem Problem allerdings auseinandergesetzt und grenzt sich im Selbstverständnis von „Rassismus, Antisemitismus, Fremdenfeindlichkeit, Chauvinismus und verwandten Ideologien“ ab.[72]
Auch Ideologien, die eine Neue Weltordnung heraufziehen sehen, in welcher bestimmte Gruppen insgeheim die Weltherrschaft an sich zu reißen versuchen (z. B. Antiamerikanismus), werden als struktureller Antisemitismus gedeutet.[73] Eine strenge Abgrenzung zwischen strukturellem und sekundärem Antisemitismus ist nicht möglich.
Wikipedia: Antisemitismusforschung#Struktureller AntisemitismusWie ich finde, erklärt der folgende Blogeintrag den Begriff noch ein wenig anschaulicher:
Besserwisserei aus gutem Grund: Was heißt "strukturell antisemitisch"?
[...]
Also: "struktureller Antisemitismus" ist etwas anderes als "latenter", "verdeckter", "heimlicher" oder "getarnter" Antisemitismus. "Strukturell antisemitisch" heißt: einer bestimmten Anschauung oder Handlungsweise liegt eine gedankliche Struktur zugrunde, die dem Antisemitismus entspricht.
[...]
Die Vorstellung, dass ein "kerngesundes Unternehmen" durch die "Machenschaften" fieser "Drahtzieher" mutwillig "gegen die Wand gefahren" wird, damit sich ein paar "kriminelle Manager" oder "geldgeile Heuschrecken" bereichern können, entspricht in ihrer "Erzählstruktur" einer klassischen antisemitischen Verschwörungstheorie. Das macht das Ganze "strukturell antisemitisch" - auch wenn niemand "die Abzocker" oder "die Heuschrecken" für Juden hält oder absichtlich mit "den Juden" gleichsetzt.
Wenn man z. B. der NPD "strukturellen Antisemitismus" nachsagt, ist das falsch - weil die NPDler typischerweise "echte" Antisemiten sind, die ihre Gesinnung aber mehr oder weniger geschickt tarnen. (Aber die NDP hat, um die Verwirrung komplett zu machen, sehr wohl "antisemitische Strukturen" - z. B. internes antisemitisches Schulungsmaterial, ihre Propaganda enthält antisemitische Deutungsmuster für Krisen, ihre Funktionäre haben haufenweise antisemitische Vorurteile und Klischees und verbreiten diese usw. usw. .)
Daher ist es auch kein Grund zur Empörung, wenn demographische Studien z. B. ergeben, rund 40 % aller Deutschen hätten ein "strukturell antisemitisches Weltbild". Viele der Befragten haben keine oder nur wenige antijüdische Vorurteile - aber sie denken z. B. in den Bahnen ursprünglich antisemitischer Verschwörungstheorien.
Antizionisten können sowohl strukturelle wie uneingestandene Antisemiten sein - im ersten Falle wird die Rolle, die traditionell "den Juden" zugeschrieben wird, einfach auf eine Untergruppe der Juden, eben die Zionisten, beschränkt. Im zweiten Falle ist der "Antizionist" einfach ein Antisemit, der sich nicht gerne Antisemit nennen lässt.
Und wer das mit der Struktur kapiert hat, der begreift auch, wieso ich manche Antifas für "strukturell faschistoid" halte.
http://martinm.twoday.net/stories/3808256/Sehr interessant im Zusammenhang mit Verschwörungstheorien ist die nachfolgende Frage in der Kommentarspalte und vor allem die Antwort des Blogartikelschreibers darauf:
Chat Atkins (Gast) - 7. Jun, 16:22
Wäre demnach nicht jeder 'Verschwörungstheoretiker' zugleich auch ein 'struktureller Antisemit', egal ob er nun 'die Jesuiten', 'die Neoliberalen' oder 'die Psychiater' (wie z. B. Scientology) als superiore Gruppe im Hintergrund des Geschehens verantwortlich macht.
MMarheinecke - 7. Jun, 20:38
Nein, nur eine bestimmter Typ Verschwörungstheorie
Und zwar jene Verschwörungstheorie, die einen Langzeitplan einer sinisteren Gruppe mit dem Endziel der Weltherrschaft unterstellen, wobei es ein typisches Merkmal der Verschwörer ist, dass sie scheinbar gegensätzliche gesellschaftliche und politische Positionen vertreten: für die Nazi steckte "der Jude" hinter dem Wallstreetkapitalismus ebenso wie hinter dem Bolschwismus, unterwanderte den Vatikan ebenso wie die bürgerlich-liberale Presse usw. .
Also kurz: die "Illuminaten-Jesuiten-Freimaurer-Juden-...", die in Wirklichkeit alle unter einer Decke stecken. Nimmt man "die Juden" aus dem Komplex heraus, bleibt die betreffende Verschwörungstheorie strukturell antisemitisch, nur eben von offenem Antisemitismus gereinigt. "Die Neoliberalen" halten nur wenige für so mächtig, machtgierig und allgegenwärtig, so dass die meisten Anti-"Neoliberale" Verschwörungstheorien die Kriterien nicht erfüllen. Wenn allerdings die "Neoliberalen" für alles Unheil dieser Erde verantwortlich gemacht werden, auch für Missstände, für die sie beim besten Willen nichts können, nähert sich die betreffende Theorie dem strukturellen Antisemitismus an. (Wenn für den Klimawandel die "kapitalistische Wirtschaftsform" - und mit ihr die bösen Neoliberalen als (angeblich) radikalste Befürworter des Kapitalismus - mitverantwortlich gemacht werden, so mag das ausgemachter antikapitalistischer Blödsinn sein, ist aber noch nicht "strukturell antisemitsch". Wenn aber die bösen Neoliberalen aber die Klimakathastrophe absichtlich angezettelt haben, ihrer undurchschaubarer Machtpläne wegen, würde so etwas wie "strukturellen Antisemitismus" nicht ausschießen.)
Wenn dann noch "die Ostküste" der USA, wo all diese Neoliberalen und Neocons und Pressezaren und Börsenmanipulatoren und Bankhaie und Kulturimperialisten usw. mit Geheimdienstleuten beisammen sitzen und Regierungen wie Marionetten an ihren Fäden tanzen lassen, und gemäß ihren egoistischen Wirtschaftsplänen Hungersnöte, Wetterkatastrophen und Missernten herbeiführen, dann ist die Theorie eindeutig strukturell antisemitisch - oder Antisemitismus-Analog.
(Hervorhebungen von mir)
Und damit nicht gleich wieder einige mit der "Nazikeulen"-Keule ankommen, möchte ich ausdrücklich darauf hinweisen, dass ich nicht jeden, der aufgrund solcher typisch faschistoiden Denkmuster argumentiert, automatisch für einen Rechtsextremisten oder Nazi halte. Schließlich ist dieser
strukturelle Antisemitismus auch unter extremen Linken sehr weit verbreitet.
(Und oftmals nicht nur der.
;) )
In erster Linie wollte ich dazu anregen, auch mal den eigenen Meinungsfindungsprozess etwas genauer und kritischer zu hinterfragen!