Die schlimmste linke Phrase?
01.08.2012 um 15:07Pallas schrieb:Das "Volk" als "gutes Prinzip" klingt für mich nationalsozialistisch und nicht antiimperalistisch.Gerade die Zerfallsprodukte der APO reproduzierten doch ein diffuses Weltbild, in dem auf der einen Seite eine elitäre Kaste, die sich bereichert, steht, auf der anderen als Gegenprinzip das unschuldige, gute Volk. Man lässt eben gerne außen vor, das warenproduzierende Gesellschaften sich vielmehr durch subjektlose Herrschaft auszeichnen, die Ausbeutungs- und Herrschaftsverhältnisse über weite Strecken nicht personal und unmittelbar, sondern apersonal und dinglich vermittelt sind. Aber gut, wenn man seine eigene Ohnmacht im (strukturell antisemitischen) Hass auf "Blutsauger" zum Ausdruck bringen kann, ist das ja für einige schon eine kapitalismuskritische Disziplin.
Aber jetzt zum eigentlichen: nachdem die heimischen Proletarier sie verschmähten und die Revolution trotz fleißiger Arbeit an den Werkstoren Opels ausblieb, schweifte die revolutionäre Sehnsucht der westlichen Linken in die Ferne und reproduzierte die simplen Muster dort: das Volk, das um Freiheit und Selbstbestimmung gegen den Imperialismus kämpft. Herrschaft wird auf Fremdherrschaft heruntergebrochen, Ausbeutungsverhältnisse allein auf die Ausbeuter von Außen. Teilweise konnte dieses Weltbild natürlich auf die Realität rekurrieren: die Amerikaner arbeiteten mit dutzenden unterdrückerischen und teilweise offen faschistischen Regimen zusammen, die nationalen Befreiungsbewegungen camouflierten sich nicht selten sozialrevolutionär. Die Ausbeutung, Gewalt und Repression, die siegreiche nationale Befreiungsbewegungen dann später in ihren eigenen Ländern anwendeten, hat man dann aber lieber meistens totgeschwiegen - oder gleich affirmiert, wie der KBW im Bezug auf das Kambodscha der roten Khmer: "Fröhlich stimmt dieses Gezeter die werktätigen Massen und jeden Revolutionär, bestätigt doch die hilflose Wut der herrschenden bürgerlichen Klasse, dass es mit der Diktatur in Kambodscha endgültig vorbei ist. Wenn sie 'Zwangsarbeitslager', 'Gleichmacherei' heult, so heißt das bloß, dass nachdem die Arbeiter, Bauern und die revolutionäre Armee die Macht übernommen haben, auch die alten Parasiten und Blutsauger des Volkes gezwungen wurden, von eigener Hände Arbeit zu leben. (…) Wenn sie den Massen Verrohung und Verwilderung vorwerfen, heißt das, die Massen haben eine wirkliche demokratische Herrschaft errichtet."
Und wie selbstverständlich eignete sich dazu auch der israelisch-palästinensische Konflikt. Die Palästinenser wurden seit jeher als monolithischer Block von Opfern dargestellt, die Juden als Täter. Weder reflektiert man auf die Differenzen der beiden großen Clans (Nashashibis vs. Husseinis) im Bezug auf die zionistische Besiedelung, die letztendlich im palästinensischen Bürgerkrieg gipfelten, noch den unterschiedlichen zionistischen Fraktionen, die sich mit der Zeit ebenfalls bekämpften (Haganah vs. Irgun). Die arabischen Pogrome an Juden haben nie stattgefunden, die einseitige britische Bevölkerungspolitik zu Lasten der Juden blendet man lieber gleich aus. Im Zusammenspiel von Imperialismus und Zionismus wurde das Land der friedliebenden Bauern von gut ausgerüsteten jüdischen Hunnen überwältigt. Solche Ausflüße sind da nur die logische Konsequenz:
"Um den Zionismus zu geißeln, wird zuerst seine üble Herkunft, d.h. sein 'Klassencharakter', als bloße 'ideologie jüdischer Kapitalisten' (Rote Pressekonfernez, 18.10 1973) nachgewiesen, wobei der vulgärmaterialistischen Phantasie keine Grenzen gesetzt sind. Al Karamah weiß, daß der Zionismus von der osteuropäischen jüdischen Bourgeoisie, deren bislang so arbeitssame jüdische Lohnarbeiter gefährliche klassenbewußt wurde, um mit 'der Errichtung eines eigenen 'rein jüdischen' Staates die Verhältnisse des sich auflösenden Ghettos...zu reproduzieren' (Al Karamah Nr.8 (1988,40)); die 'Gruppe Arbeiterpolitik' dagegen hat schon etwas von Antisemitismus gehört und favorisiert die jüdische Bourgeoisie in Westeuropa als Urheber des Zionismus, weil diese 'das sorgfältig gehütete Gerüst der 'Assimilation'' angesichts der starken Zuwanderung von Juden aus Osteuropa habe schützen wollen. Wie phantasievoll hergeleitet auch immer, der Zionismus ist jedenfalls 'die imperialistische Antwort auf die 'Judenfrage''(Nahostgruppe Hamburg 1989, 4f) - was allemal besser klingt als der verzweifelte Fluchtversuch vor dem Antisemitismus, der er war.
Dieses abstrakte Böse schuf etwas Künstliches, eine 'Gebilde' mit dem Namen 'Israel'. Zwar ist der Zionismus bemüht Israel 'als 'Heimstätte aller Juden' zu tarnen"(Nahostgruppe Freiburg 1988b), doch der geschulte Antiimperialist durchschaut das natürlich und verurteilt diese naturwidrige Existenz mit deutscher Gründlichkeit, d.h. mittels Gänsefüßchen, zum Tode.
Wie konnte dieser 'Garten des Bösen' (Elias 1983, 93), dieser Staat 'der ein einziges Kontinuum des Verbrechens gegen die Menschlichkeit ist' (Khella 1988, 19) überhaupt entstehen? Natürlich ist 'der Imperialismus' mitbeteiligt. nur im Bündnis mit dem Imperialismus konnte der 'Zionistenstaat' als 'Brückenkopf gegen die nationalen Befreiungsbewegungen' geschaffen werden (Arbeiterkampf November 1973); und er hatte 'seit jeher die Funktion, die Interessen des Imperialismus in dieser Region durchzusetzen' (Autonome Nahostgruppe Hamburg 1989,2).
Diese üble Abkunft läßt 'den Zionismus' dann zur Metapher für das Böse schlechthin taugen, und meist wird er in einem Atemzug mit Imperialismus und Rassismus genannt. Er 'wehrt sich vehement gegen ein friedliches Zusammenleben der Völker' (Nahostgruppe Freiburg 1988b). Mit der 'durch keine Vernunft und Menschlichkeit gebundenene Ungeheuerlichkeit zionistischer Aggressionen' (Elias 1983, 94) ist er 'nicht nur der unversöhnliche und unreformierbare Feind der Palästinenser. Er ist auch unser Feind. Er ist der Feind aller Menschen' (Autonome Nahostgruppe Hamburg 1989, 2).
Dem abstrakten Bösen in Gestalt des Zionismus/Imperialismus tritt geschlossen das konkrete Gute entgegen: ein Volk! 'Sehr oft wurde behauptet, das palästinensische Volk gäbe es nicht...Das ist eine absolute Lüge' denn alle Aktionen und Forderungen beweisen die Einheit des palästinensischen Volkes...alles spricht dafür und beweist die Integrität und die Einheit dieses Volkes...Israel ... ist mit dem gesamten Volk konfrontiert...'(Nahostgruppe Freiburg 1988c)."
Mal davon ab, das die deutschen Schreibtischtäter, die die Volksgemeinschaft der Palästinenser herbeischreiben, die inneren Widersprüche der palästinensischen Geselslchaft außen vor lassen und ihren BluBo-Sermon zu einer Zeit, als der Tugendterror der Hamas mehr Opfer unter ihnen forderte, als die israelische Besatzung, verbreiten, treibt dieses Weltbild förmlich dazu, die gewohnten völkischen Muster zu reproduzieren.
"Die Zionisten und Imperialisten 'zerstören die sozialen Zusammenhänge der Menschen und vertreiben sie von Land und Boden. Damit vernichten sie ihre Würde und Identität.' Insbesondere die 'völlige Entwurzelung' gefährde ihre 'Identität als Volk' (Nahostgruppe Freiburg 1988a). Das derart beschworene Volk ist dem Antizionisten ans Herz gewachsen, weil es erstens ein Opfer ist, zweitens kämpft und das drittens auch noch gegen die Entwurzelung durch die Israelis.
Israel dagegen darf kein Volk vorweisen, und die Juden sind daher auch gar kein richtiges Volk. In der für die PLO wie die deutschen Antizionisten 'grundlegenden Frage, ob die Juden ein Volk sind' (Autonome Nahostgruppe Hamburg 198, 14), sind alle der einhelligen Meinung, daß dieses 'angebliche Volk' (Rote Presse Korrespondenz, 8.10.1983), 'das niemals existiert hatte' (Palästina-Nachrichten Nr.7), selbstverständlich kein 'Naturrecht' auf einen richtigen Staat geltend machen könne, weil es - und hier wird gerne die Palästinensische Nationalcharta zitiert-, weder einen 'Heimatboden' vorzuweisen hat noch eine angeborene 'Identität...(als) genuine, unauslöschliche Eigenschaft. Sie geht von Elterngeneration auf die Nachkommen über' (nach Al Kamarah Nr. 2/1986, 13). Alle richtigen Völker, die im Genuß von Blut und Boden sind, dürfen Staaten gründen, die Palästinenser und Kurden, nur die Juden nicht, weil sie nach deutsch-völkischen Kriterien keines sein dürfen.
Al Kamarah weiß dies am anschaulichsten vor Augen zu führen: 'Was das Volk letztlich ausmacht, ist sein Land, seine Bildung, seine Geschichte und auch die folkloristischen und kulturellen Gewohnheiten und Traditionen spielen eine große Rolle.' 'Wenn die die Wurzeln eines Volkes erkennen willst, schau sein Tänze, seine Folklore an' 'Den Zionisten fehlt eine einheitliche Folklore, weil sie aus verschiedenen Teilen der Welt, aus unterschiedlichen Kulturkreisen kommen'. 'Sie bilden keine Nation und müssen sich nationale Eigenschaften durch Raub erwerben' (Nach Heinrich 1989, 123ff)
Da 'Zionismus und Frieden...ebenso unvereinbar sind wie Feuer und Wasser' (Al Kamarah Nr.12/1989,4), ist klar: "Wer an eine Lösung glaubt, die an der Beseitigung des zionistischen Regimes Israels vorbeigeht, der irrt' (Nahostgruppe Hamburg 1988, 10). 'Israel mußt Weg!' (Interim 1992, 6).
http://www.comlink.de/cl-hh/m.blumentritt/agr136s.htm
Nach einer progressiven Definition von Volk, unter dem die Gesamtheit aller Menschen in einem Land fallen müsste, egal wie ihre" folkloristischen und kulturellen Gewohnheiten und Traditionen" lauten oder ob sie fest im "Heimatboden" verwurzelt sind, klingt das nicht; eher nach Alfred Rosenberg. Das nationalsozialistische Prinzip der "Gegenrasse" trifft das antiimperialistische des "Unvolks".