Wulff, der Islam und viele unerhörte Ratschläge
Die Ratschläge, die der Bundespräsident nach seiner Islam-Rede erhalten hat, sind unerhört. Wulff ist mehr als nur ein niederer Bote.
Von Günther Lachmann
An Ratschlägen mangelt es Bundespräsident Christian Wulff seit seiner Rede zum Islam nicht. Längst nicht alle sind gut gemeint, oft genug handelt es sich um politische Spitzen, vergiftet mit einem Tropfen Häme.
In diese Kategorie fällt wohl auch eine Aussage des Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses des Bundestages, Ruprecht Polenz (CDU). Er erteilt Wulff den Rat, während der heute beginnenden Reise in die Türkei doch bitte bei der türkischen Regierung auf bessere Bedingungen für Christen zu drängen. Und in Anspielung auf Wulffs Feststellung, der Islam gehöre zu Deutschland, erinnert Polenz das Staatsoberhaupt: „Zur Türkei gehört auch das Christentum.“
Immerhin lägen wesentliche Wirkstätten des Urchristentums in der Türkei. Deshalb solle Wulff seinen Gastgebern vermitteln, dass sie „stolz sein können auf ihr christliches Erbe“, das sie „als Schatz“ zu pflegen hätten. Auf diese Weise könne sie auch näher an Europa heranwachsen.
Grünen-Chef Cem Özdemir rät Wulff, er solle sich in der Türkei von „Rechtspopulisten“ wie CSU-Chef Horst Seehofer distanzieren. Schließlich habe der Bundespräsident „für sein Bekenntnis zur Einbürgerung von Menschen mit muslimischem Hintergrund zu Recht viel Anerkennung in der Türkei erfahren“. Und der integrationspolitische Sprecher der SPD, Rüdiger Veit, sagte Wulff solle „den Türken sagen, dass sie hier in Deutschland willkommen sind“.
Kritik an Wulff-Aussagen zum Islam
Alle Aussagen sind als Forderungen an den Bundespräsidenten schlicht unerhört. Sie offenbaren einen gestörten Umgang mit dem Repräsentanten im höchsten Amt, das der deutsche Staat zu vergeben hat. Als wäre er nichts weiter als ein niederer Bote ihrer jeweiligen politischen Mission geben sie Wulff Anweisungen mit auf den Weg. Vorgetragen werden diese dann auch noch mit einer durch nichts zu rechtfertigenden, geradezu herablassenden Attitüde.
Es ist eine Sache, wenn Politiker und Parteien die Rede des Bundespräsidenten zum 20. Jahrestag der Deutschen Einheit politisch analysieren, wenn die darin enthaltenen Formulierungen zum Islam eine hitzige Debatte auslösen. Eine andere Sache aber ist es, wenn Politiker versuchen, den Bundespräsidenten in der Folge der von ihm festgestellten unbequemen Wahrheiten herabzuwürdigen.
Im Übrigen ist das, was Polenz, Özdemir und Veit nun im Zusammenhang mit der fünftägigen Türkeireise von Wulff verlangen, auf der er verschiedene Termine mit religiösen Bezügen wahrnimmt, die ureigenste Aufgabe von Bundeskanzlerin Angela Merkel und Außenminister Guido Westerwelle. Die beiden halten den direkten Kontakt zur Regierung in Ankara.
Sie müssen auf den ihnen zur Verfügung stehenden diplomatischen Kanälen immer wieder die Einhaltung der Menschenrechte gegenüber der christlichen Minderheit und den Kurden einfordern. Und wenn jemand wie Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) mit seiner Meinung zur Integration die politische Führung in Ankara verstimmen sollte, dann ist es ihre Pflicht, für Verständnis gegenüber dieser Haltung zu werben, die von einer Mehrheit der Deutschen geteilt wird.
Christian Wulffs Aufgabe aber ist eine andere. Der Bundespräsident kommt als Repräsentant aller Deutschen. Er ist nicht der Bote, zu dem er nun degradiert werden soll, sondern höchster Botschafter seines Landes. Und zu den Deutschen gehören inzwischen auch viele Menschen mit türkischen Wurzeln und muslimischem Glauben.
Das ist eine unumkehrbare Tatsache. In seiner Rede hat Wulff diese neue deutsche Realität treffend beschrieben: „Das Christentum gehört zweifelsfrei zu Deutschland. Das Judentum gehört zweifelsfrei zu Deutschland. Das ist unsere christlich-jüdische Geschichte. Aber der Islam gehört inzwischen auch zu Deutschland.“
Wer wollte das ernsthaft bestreiten? Insgesamt leben in Deutschland rund vier Millionen Muslime. Sie sind damit die zweitstärkste Religionsgruppe nach den christlichen Kirchen. Von den rund drei Millionen Menschen türkischer Herkunft besitzen mehr als 700.000 einen deutschen Pass.
Mit Mesut Özil spielt ein Fußballer mit türkischen Wurzeln für die deutsche Nationalmannschaft. Am 3. Oktober hatten über 500 Moscheen zum Tag der offenen Tür eingeladen. Es kann kaum mehr Belege für die Anwesenheit des Islams in Deutschland geben.
Christian Wulff hat diese Fakten benannt und dafür geworben, gegenseitige Vorurteile abzubauen und die Integration intensiver anzugehen als dies bisher der Fall war. Das darf ein Bundespräsident nicht nur, er sollte es sogar tun, wenn er sei Amt ernst nimmt.
Der Rest ist Aufgabe der Politiker, der Parlamente und der verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen, sprich der Leute, die Wulff nun ungebetene Ratschläge erteilen. Sie müssen die von Wulff festgestellte neue deutschen Realität so gestalten, dass daraus ein für alle lebenswertes Land entsteht. Damit stehen sie vor einer Riesenherausforderung. Zur ihrer Bewältigung braucht es allerdings mehr als Sprüche.
Mit seinem Bekenntnis, der Islam gehöre zu Deutschland, hat der Bundespräsident ihnen den Boden für die weitere politische Arbeit bereitet. Dazu gehört auch, dass der türkische Präsident Abdullah Gül seine Landsleute in der Bundesrepublik nun aufforderte, endlich Teil der deutschen Gesellschaft zu werden.
http://www.welt.de/politik/deutschland/article10375771/Wulff-der-Islam-und-viele-unerhoerte-Ratschlaege.htmlDeutschland benötigt noch ein wenig Zeit eben das zu realisieren.
;)