Grüß Gott,
@friederZu Beginn muß ich zunächst einem Punkt widersprechen, dem ich später wieder zustimmen werde, um den Sinn meiner vorherigen Aussagen nicht zu verkehren.
Nicht die Religiösität ist für jene Menschen (scheinbare) Kühlung, sondern die Entfremdung davon, da sie den Menschen - mehr als jede profane Institution - in seine Schranken weist. Derjenige, der glaubt, Rechenschaft ablegen zu müssen, sieht sich gezwungen den seiner meist theologisch "einfacheren" Natur angepassten Gesetzen Folge zu leisten, wodurch ein Druck entsteht. Der aufgeklärte Mensch besitzt jedoch probate Mittel, sich diesen Druckes zu entledigen - Kühlung.
Derjenige, der sich von einer göttlichen Authorität lossagt, erlangt scheinbare Souverenität im Privaten (sprich dem von weltl. Autoritäten abgeschnittenen Bereich). Es ist nun an ihm sein Glück zu finden und da dieser Mensch selten in die Zeiten blickt, ist es sein Primärziel, seinen Dopaminrausch (eigentlich ein Instrument des Lebenssinnes) durch direkte Erlebnisse aufrecht zu erhalten, und da diese in unserer Überflussproduktion scheinbar günstig verfügbar sind, orientiert sich seine Planung an Kurzfristigkeit und minimalem Einsatz. Wie bei anderen Drogen steigt die Toleranz und immer größere Mengen müssen immer kurzfristiger bezogen werden. Eine langfristige Investition in Glück ist demnach nicht mehr möglich.
Dieses Bild zieht sich meiner Auffassung nach von den trivialen Fällen des Talkshow-Proletariats durch alle gesellschaftlichen Schichten und gerade der des einfachen Bürgertums, welches die nötigen Mittel besitzt. Es ist nur natürlich und reagiert auf die hohe Unzufriedenheit, ebenso wie den scheinbaren Linderungen durch denjenigen, welche sich letztendlich daran bereichern.
Dieser Mensch entzieht sich einer Sinnhaftigkeit, da er sich im Wechselspiel unausgereifter eigentlich sinnhaftiger Mechanismen verliert. Das Problem tritt mit der Stille ein (weshalb sich der moderne Mensch auch gerne rund um die Uhr berieseln lässt). Hierin erkennt er die Leere seines Sein, die Erkenntnis daß er wahrhaftig Sklave, ja Ressource anderer geworden ist, die über ihn dominieren und dies auch müssen, da dies schließlich im Sinne des Lebens ist. Evolution, welche angesichts der Welt unabdingbar ist, erfordert immer ein Abwerfen ihrer faulen Früchte.
Der religiöse Mensch hat es hierbei zunächst einfacher. Er hat die Chance, sich dem schnell zu entziehen, indem er sich selbst aus diesen Prozessen entfernt, in welchen er am verlieren ist und eigenes zu erschaffen beginnt. Das naive Gottesbild und die Zugehörigkeit zur organisierten Religion sind ein Erfolgsrezept, da diese zum einen nicht legitimiert werden müssen, zum anderen aussichtsvoll sind, da die Organisation immer Mittel des Lebens ist und da die organisierte Religion keinen "wahren" Wettbewerb und damit Niederlage kennt, da sie unendlich ist - Deine angesproche Form der Kühlung.
Der Atheist kann nicht mehr dazu zurückkehren, da er durch die Legitimation seines Glaubensabfalls "zu viel gelernt" und indoktriniert hat; er kann nicht mehr daran glauben. Folglich muss er seinen eigenen subjektiven Sinn konstruieren. Dazu hatten wir bereits das Thema des Engagements angesprochen. Kommen wir nun aber zum säkularen Charakter, welcher sich auf die Suche nach einem Sein in einer implizierten Unendlichkeit - dem Sinn durch die Teilhabe an einer Wahrheit - macht.
Für den durch die Gesellschaft gezeichneten modernen Menschen ist es offensichtlich Mode geworden, seinen Sinn, aber auch seine Individualisierung in schein-mystischen, schein-religiösen Konstrukten zu suchen.
Die Individualisierung einer Gesellschaft ist übrigens lediglich ein Symptom einer verloren gegangenen Zielsetzung der Gemeinschaft, sowie der bewusst gewordenen Sinnlosigkeit des sich innerhalb der Gesellschaft befindenen Menschen. Wie bereits zu Beginn der Diskussion angedeutet, geht die Natur hin zu Kollektivismus und findet lediglich eine Individualisierung in Form der Elitarisierung innerhalb des Kollektivs. Bei einer pluralistischen Gesellschaft wird das Kollektiv, die Gemeinschaft und somit auch das Fundament jedes Mitgliedes brüchig, da es nur noch auf der Bewahrung der gefeierten scheinbaren Zusammenhanglosigkeit beruht. Einschub Ende
;)Diese Individualisierung erklärt auch den Drang zu Sekten. Zum einen ist da noch die verhältnismäßig harmlose Variante der Selbstbedienungs-Religion. Der Mensch pickt sich aus allem jenes heraus, was ihn bestätigt und freut sich dann über die scheinbar ganzheitliche Legitimation seines immernoch lasterhaften Daseins. Die andere Form ist die Suche nach individuellen Erkenntnissen. Der Mensch fordert zwar immer Gleichheit (in Wahrheit nur eine Investition in die Toleranz gegenüber seinen Makeln), möchte dann aber doch besonders sein. Selbstverständlich muß er dies auch um zu leben.
Da die Einarbeitung in bereits erforschte Themen wie der Naturwissenschaften oder auch die Kreation eines eigenen ganzheitlichen Systems mühselig ist, bedient man sich lieber der Pseudowissenschaften und dem, was ich umgangssprachlich als Esoterik bezeichnen möchte. Er ist plötzlich befähigt mit Geistern oder Außerirdischen zu kommunizieren, Energien zu lesen und zu beeinflussen, auf besonders aberwitzige Weisen in die Zukunft sehen zu können - das ist etwas besonderes. Nungut ich möchte nicht bestreiten, daß gerade die Mystik aber auch andere häufig missbrauchte Themen in ihrem Kern interessante Punkte beeinhalten, aber ebenso kann man nicht bestreiten, daß viele menschen angebliche Lehren missbrauchen um Menschen in ihrem Interesse zu kontrollieren. Oder aber man schafft im kleinen eine Gesellschaft der gegenseitigen Anerkennung im Einschwören auf offenkundigen Blödsinn.
Und diese Sekten sind dann auch oft der Ort an denen die Suche nach der subjektiven Sinnhaftigkeit des eigenen Seins im Sande verlaufen wird ...