@friederEntschuldige bitte meine verspätete Antwort, ich habe momentan einiges zu tun und auch jetzt sollte ich schon längst zu Bette gegangen sein, möchte Deinen Beitrag aber nicht unbeantwortet lassen.
Alles in allem finde ich Deine Feststellungen sehr gut, richtig und wichtig.
Ein von mir geschätzter Pfarrer sagte sinngemäß: Wer Volk ist, ist Jahrhunderte.
Gerade die von Dir beschriebene Teilhabe an einem Prozess der Folgeprozesse kann für einen differenzierten atheistischen Charakter die Erfüllung, die Überwindung der Endlichkeit sein, da man "wenigstens" die Chance hat, zu prägen und damit seinen Geist fortbestehen zu lassen, ja sich sogar über jede physische Existenz zigfach hinwegzupotenzieren. Eine Art Jenseitsersatz ohne Gott. Ich sage hierzu immer ganz gerne, daß selbst Harry Potter realer ist als 99% der Menschheit.
Da sich aber auch gerade "durchschnittlich Gebildete" häufig scheinbar uneigennütz engagieren, lässt vermuten, daß eine diesbezügliche Intuition existiert. Man möge sagen, derjenige will sich wichtigmachen, zielt darauf ab sich selbst toll zu fühlen, aber gerade dies ist doch bezeichnend und bestätigend. Jede Handlung hat den Impuls, sich selbst zu erhalten, mehr zu bedeuten, mehr zu leben. Ich denke bei diesem "Auftrag" dürften wir uns recht einig sein: das Leben will sich erhalten.
Um eine kleine Perspektive bzgl. der persönlichen Sinnfrage zu geben: Wie bereits angedeutet vertrete ich ja die Auffassung, daß es der Charakter jedes Lebens ist, sich selbst zu erhalten und zu entfalten und das jede Motivation des einzelnen nur den Sinn hat dem gerecht zu werden. Unter diesem Aspekt betrachte ich die Entwicklung der Religion.
Die Religion entstand nach meiner Auffassung sozusagen als evolutionäres Attribut, nicht als Schwäche oder Dummheit wie oft unterstellt, sondern als Vorteil im Umgang mit den unausweichlichen Problemen der begrenzten Umwelt aber auch den Problemen der Selbstreflexion. Der religiöse Mensch schafft eine funktionierende Gesellschaft, expandiert und bündelt damit sein Potential, während die "Ungläubigen" sich viel schwerer tun, sinnvoll zu organisieren. Ihre Triebe sind kurzfristig und auf sich selbst gerichtet, das heutige Abendessen ist wichtig, was morgen kommt ist fern. Und dies beziehe ich gewiss nicht blos auf Zeiten, in denen Donner große Furch verbreitete, sondern auf in die heutige Zeit und in die Zukunft hinein.
Wir befinden uns zweifelsohne in einem Zeitalter der großen religiösen Umbrüche, jedoch mit den starken Problemen eines steilen Bildungsgefälles. Die Intelligenz glaubt bereit zu sein, sich von den alten Dogmen lösen zu können und neue im Dienste des Lebens zu errichten. Vermutlich ist dies auch richtig, doch ich glaube, daß zu viele Menschen Zugang zu diesen Tendenzen haben, welche daraus kein neues, stärkeres Potential entwickeln, sondern sie erstmal als eine Art Kühlung verwenden und letzenendes wie an einer Art Droge langsam zugrundegehen. Gerade der moderne Mensch, so leid es mir tut, ist in meinen Augen mehr denn je gefährdet, evolutionäre A usschußware zu werden, denn "DIESER" Zustand und dieser Typus kann zweifelsohne nicht lange sorgenfrei bestehen bleiben.
Der moderne westliche Mensch wird in hohem Maße gefordert durch die Gesellschaft, welche durch ihn einst geboren durch Individualisierung jedoch in sich langsam zerfällt und zum einen die schwächeren Glieder immer weniger in ihrem Sinne integriert und zum anderen die Souveränität gegenüber anderen Völkern verliert. Dieser Stress muss Entlastung finden, da man sonst nicht mehr Schöpfungsfähig ist. Der Atheismus ist hierbei ein willkommenes Mittel, da seine "Lehren" von einer ohnehin "unnützen" Pflicht-der Frömmigkeit befreit und somit entlastet. Das fatale jedoch ist, das damit eines der wichtigsten Komponenten des Charakters verloren geht und scheinbar kein ausgereiftes Ersatzprogramm für die Massen besteht.
Der Mensch wird wahrhaftig orientierungslos, zusammenhanglos und letztenendes für seine Gemeinschaft auch destruktiv, da seine Zugehörigkeit getrennt wird und er sich eher auf sich als auf seinen Auftrag (Gott, Volk, ...) konzentriert, er wird wie die Ungläubigen der Vergangenheit. Er erzürnt vermutlich keine Götter, aber vernichtet sich selbst.
Wie bereits erwähnt kehrt er nicht vom Sinn des Lebens ab, er versucht sich zweifelsohne neu zu orientieren, schafft seine eigenen Götter, übernimmt Verantwortung usw., aber unser Problem ist, daß ganze Völker auf einmal sich neu orientieren müssen, wohingegen andere, zwar "veraltete" aber dadurch doch noch stärkere Völker einen wichtigen Aufschwung erfahren.
Unter diesem meinem Eindruck der Dinge, dem Auftrag und Drang des Lebens (der Sinn ist reine Spekulation), der Bewältigung der Defizite, den Formen der Überwindung, dem Charakter der Bündelung und der tagespolitischen Entwicklung der Dinge empfinde ich es als persönlichen Auftrag (mangels eigenem Ziel und/oder Religiösität
;)), das Leben zu stützen und wieder auf die Beine zu bringen.
Die wichtigsten Instrumente sind dabei die Geschichte, die Wissenschaften, ein heller Geist und vor allem der Mut, wieder einmal für strengere Ordnung einzustehen. Wie es sich mit der Sinngebung verhält, so verhält es sich auch mit dem gesellschaftlichen und politischem Charakter. Nach einer Phase der extremen Beanspruchungen brauchen wir eine Kühlung durch Liberalität usw., dürfen uns aber nicht zu lange darauf ausruhen, sondern müssen uns selbst wieder defragmentieren, um nicht unser Weiterleben in Körper und Geist ins Abseits zu stellen.