Baustelle Nagelfeld
24.07.2011 um 11:29
Badespass
Im Prinzip meide ich große Menschenansammlungen, egal wo und aus welchen Anlass.
Einkaufszentren sind mir zuwider, überfüllte Linienbusse ebenso, Bahnhofshallen sind für mich ein Marthyrium - eine Kneipe sah ich das letzte mal vor 12 Jahren von Innen.
Der Grund für diese Enthaltsamkeit meinerseits liegt in der nicht vorhandenen Notwendigkeit eines Dauerkotz-Abo´s.
Was meinen Körperkontakt zum Element Wasser betrifft lebe ich auf einem standardisierten Basislevel. Das bedeutet im Klartext: Morgens duschen - abends Duschen - 2 x in der Woche ein Vollbad, ohne jegliche Badezusätze.
Ich mag es nicht in einer 60 cm dicken Schaumschicht nach Luft ringen zu müssen, bzw. in einer Luft atmen zu müssen deren Gehalt an äthrischen Ölen reinchemischen Ursprungs bei ca 95% liegen dürfte.
Im Grunde bade ich auch am Liebsten alleine, und das hat verschiedene Gründe. Zum einen ist meine Badewanne nicht sehr geräumig. Der Platz reicht gerade für meine 110 kg Körpermasse, verteilt auf 176 cm Körperlänge.
Zum Zweiten mag ich keine im Badewasser aufsteigenden Luftblasen, die nicht von mir stammen. Von fremden, dem Wasser Farbe gebenden Körperflüssigkeiten ganz zu schweigen.
Meine Badewanne ist defintiv zu klein zum Schwimmen. Obwohl ich dem Schwimmen als Körperertüchtigung an und für sich nur wenig abgewinnen kann, hege ich dennoch hin und wieder das Bedürfniss mich im nassen Element ohne räumliche Grenzen bewegen zu können.
Schwierig wird für mich da jedoch immer die Wahl der Örtlichkeit.
Baggersee ist im Prinzip okay,allerdings habe ich keine große Lust dazu, bei 31° im Schatten in knöchelhohen Sicherheitsschuhen der Schutzklasse S 3 durch den Sand zu laufen. Diese Maßnahme ist an solch natürlichen Badeplätzen jedoch meist erforderlich, da sich im Sand, meist gut getarnt allerei Überraschungsgüter wie Glasscherben, Kronenkorken,noch glühende Holzkohlereste von Grillfest am Vortag, gut gefüllte Kondome und gebrauchte Tampons versteckt halten. Wer schon mal als Mann einen ca 24 Stunden alten, gebrauchten Tampon zwischen seinen Zehen stecken hatte, weiss um die Klebekraft von Menstruationsschlonz in Verbindung mit Siliziumoxyd, im Volksmund als Sand bekannt.
Auch ein Spritzer Altsperma aus einer gut gefüllten Lümmeltüte an den Knöchel ist nicht jedermanns Sache, schon garnicht wenn die Summe der mittlerweilen etwas lahm gewordenen, mikroskopisch kleinen Gesellen der Spezies Spermium die Stelle des blutig gekratzen Mückenstichs trifft.
Der letzte Grund was gegen den Baggersee als Badestätte spricht ist der Umstand, das es sich schlecht schwimmen lässt, wenn diese Art von Schuhwerk erstmal mit Wasser vollgelaufen ist.
Für den Aufenthalt am Baggersee spricht, je nach Lage dieser ehemaligen, industriellen Abbaustätten für Baustoffgrundmaterial der Umstand, das sich dort meist eine mehr oder weniger große FKK-Szene ethabliert hat - das Auge badet ja bekanntlich mit, hin und wieder auch mal zweibeinige Nilpferde und Walfische im Badeoutfit Größe "Bierzelt" bzw. "Schleppnetz".
Öffentliche Freibäder stellen da ein ganz anderes Kaliber an geballten Badespass-Möglichkeiten dar:
Hat man sich erstmal bei geschätzen 31° im Schatten durch das völlig mit Schweiß, Körperfett und Ketchup-Mayo verschmierte Edelstahldrehkreuz im Eingangsbereich durchgekämpft ist die erste Hürde geschafft. Nun heisst es eine der Umkleidekabinen vom Charme eines Baustellenklos aus den 70er Jahren zu erobern. Nach weiteren 20 Minuten Wartezeit ( was hat Der da drin so lange gemacht? Sein zufriedener Gesichtsausdruck lässt die Fantasie Hürden laufen)hat man es geschafft: Ein alter, rostiger und irgendwie " klebriger" Innenriegel verschliesst den Bretterverhau, den man mit einem Höchstmaß an künstlerischer Toleranz wohl gerade noch als Umkleidekabine bezeichnen könnte.
Erstmal die hölzerne Sitzbank scannen. Nach der etwa 5 minütigen Lektüre von eingeschnitzten Lebensweisheiten wie " ier habe isch Gabi gefiggt" und
" Er sucht Ihn - jeden Freitag hier ab vier" setze ich mich auf die kreativ gestaltete, etwas archaisch anmutende Möglichkeit des Nachrichtenwesens, lege meinen Alltagsbalast auf dem Boden ab, und ziehe mich aus.
Gerade in dem Moment, als ich meiner Hängeweide samt Gen-Juwelen einen unverhüllten Blick ins Innere der Kabine gönne ( die Unterhose lag schon am Boden ) bemerkte ich eine menschliche Hand, die sich unter dem rechten Spalt der Kabinenwand hervorkommend meine Badetasche samt Inhalt
( Badehose, Handy, Autoschlüssel usw,) schnappte, inklusive meiner Unterhose, die sich im Tragegurt der Tasche irgendwie verheddert hatte.
" Eeey, Du Drecksau" brüllend greife ich nach dem klebrig-schmierigen Türriegel ( mich immer noch fragend, was der fette End-Fünziger da vor mir in der Kabine gemacht hat) renne aus der Kabine raus, ramme eine vollbusige Besucherin von der Größe eines Übersee-Frachtschiffes, und stürze schließlich splitterfasernackt auf den knallharten Betonboden. Die Dame blieb ungerührt stehen.
Nachdem sich die letzten Sterne vor meinen Augen verzogen hatten, realisierte ich, das ich mich hier so wie Gott mich schuf vor den Gemeinschafts-Umkleidekabinen befand, eine schleimige, von meinen Fingern tropfende milchige Flüssigkeit an den Händen, und Schürfwunden an den Knien.
Nach einem 45 minütigen Verhör durch den Oberbademeister, gestützt von einem Poizeibeamten und einer bildhübschen, ständig mitleidsvoll lächelnden Polizeibeamtin, deren Blick die ganze Zeit über schamlos an meinen notdürftig bedeckten Zentralmassiv hing durfte ich endlich mit einer Leihbadehose Modell " 1950 - Kasanova" mein geplantes Badevergnügen vollenden.
Mein erstes Ziel waren die Freiduschen. Nach der schweißtreibenden Unterhaltung mit der Bade-Obrigkeit und der exekutiven Staatsmacht tat eine Abkühlung gut.Ich frage mich heute noch wer an " meiner" Dusche das Warnschild " ACHTUNG - wegen Chlorspülung außer Betrieb" entfernt hatte.
Jedenfalls brannte meine Haut noch tagelang, so mancher Besucher fragte mich angesichts meiner roten Augen ganz dezent, ob ich den ein " Albino"
sei.
Ein gewagter Sprung vom Ein-Meterbrett ins 5er Becken hätte es werden sollen, leider übersah ich den ca. 3 cm dicken Film aus Sonnenschutzcreme und Schweiß, rutschte auf dem Brett aus und knallte mit dem Kinn auf die Brettkante, bevor ich mit der Eleganz eines besoffenen Tapirs ins Wasser fiel.
Die zwei Liter Blut, die ich verloren hatte, bis ich den rettenden Beckenrand ereichte verteilten sich durch die Menge an mich ignorierenden Schwimmern relativ zeitnah im Becken, einer meiner ausgeschlagenen Schneidezähne steckte noch im Sprungbrett, den anderen konnte ich schemenhaft am Beckenboden orten.
Stark gechlortes Wasser hat in offenen Wunden eigentlich nichts verloren, dennoch beschloß ich nach meinem zweiten Zahn zu tauchen. Gerade als ich zum Tauchgang ansetzen wollte, bemerkte ich eine gelbliche Wolke, die mich
tentakelartig zu umklammern schien. Als ich meinen Blick nach rechts wendete entdeckte ich neben mir die vollbusige Dame, deren Bekanntschaft ich beim Erlebnis " Umkleidekabine" machen durfte.
Ihr breites, rachsüchtiges Grinsen veriet mir ihre pure Schadenfreude, die Armoaglocke, die von der gelben Substanz im Wasser in Richtung meiner Nase aufstieg lies mich vermuten, das es sich bei der Flüssigkeit um mindestens 70%reiner Coffeininlösung handeln muß.
Nachdem sich mein auf dem Beckenboden befindlicher Schneidezahn in Richtung Absaug & Filteranlage verabschiedet hatte beschloß ich mein Badevergnügen vorzeitig zu beenden. das Umkleiden konnte ich mir sparen, mein Auto hatte wohl inzwischen einen neuen Besitzer gefunden, jedenfalls war es weg. An dieser Stelle bedankte ich mich gedanklich herzlichst bei meiner Lebensgefährtin, deren letztes Geschenk ein Schlüsselanhänger in Form eines Autokennzeichens war - mit der Original-Kennzeichenprägung meines Wagens versehen.
Der Fahrer der Buslinie 289 lies sich aus Zeitgründen nicht auf eine längere Diskussion bezüglich einer Mitfahrt auf Kredit ein, sondern mich in Badehose einfach an der Haltestelle " Industriezentrum West" stehen.
Es blieb mir also nichts anderes übrig, als den 11 km langen Heimweg zu Fuß anzutreten. Doch Dank meiner Ortskenntnisse kannte ich einge Abkürzungen, welche ich angesichts eines aufziehenden Gewitters auch wahrnehmen wollte. Die letzte Hürde war ein etwa 150 cm hoher Stahlzaun, versehen mit zwei Lagen Stacheldraht. Die obere Reihe Stacheldraht beschloß sich meiner geliehenden Badehose zu bemächtigen, mit einem lauten
Rrrrrrrrratsch rieß mir diese top-aktuelle Hüftbedeckung in der Mittelnaht in zwei Teile, was zur Folge hatte das mein mittlerweile tiefgekühltes Gemächt freigelegt wurde.
" Nur noch den Weg durch den Park vom Seniorenwohnheim " letzte Ruhe" und ich bin zu Hause"....
Kurze Zeit später traf ich hilfsbereite, alte Bekannte wieder:
Das Polizisten-Team aus dem Freibadverhör bat mich höflichst zur Beantwortung einiger persönlicher Fragen doch mit auf´s Revier zu kommen.
Der Streifenwagen wurde von der bildhübschen Beamtin gesteuert, welche ihre Blicke öfters mit einem süfisanten Lächeln im Rückspiegel als auf der Strasse hatte.
Gegen 23:00 Uhr abends war ich endlich wieder zu Hause. Mittlerweile stolzer Besitzer eines uralten, tannengrünen Lodenmantels aus der polizeieigenen Notkleiderkammer, der mehr nach Mottenkugeln stank als ein ganzer Kleiderschrank von 1910, und einer Anzeige wegen unsittlichen Verhaltens in der Öffenlichkeit ging ich zu Bett.
Morgen bade ich wieder zu Hause.