Zeit vergeht schneller
16.10.2018 um 21:54
OK, da gibts ein unterschiedliches "Tempo der Zeit" im relativistischen Universum, das aber nicht die "wahrgenommene Eigenzeit" berifft. DIe bleibt physikalisch gesehen ja gleich.
Aber es gibt mehrere Ebenen für ein unterschiedliches Zeiterleben.
Eine steckt ja schon in den Bezeichnungen "Langeweile" und "Kurzweil". Eine einzige Stunde, die man nichtstuend wartend verbringt, kann einem ewig lang vorkommen. Eine ganze Woche voller angenehmer Aktivitäten dagegen können "wie im Flug" vergehen. Jedenfalls während man das öde Warten bzw. Action und Spaß erlebt. Denkt man hingegen Jahre später daran zurück, was man erlebt hat, kann die eine Woche, die doch wie im Flug vergangen war, enorm viel Raum in der eigenen Erinnerung einnehmen, aber ein ganzes Jahr voller Arbeitstristesse, voller "nix los hier, nix von Interesse, wann is bloß Urlaub" schmilzt auf einen Hauch von fast nix zusammen.
Dann gibts noch den Begriff "schnellebige Zeit(en)". Das ist fast dasselbe wie das zuvor Geschilderte, hängt aber nicht von der eigenen Bewertung des Erlebten ab (und muß nicht in der Erinnerung reziprok ausfallen). Wenn um einen herum ständig was passiert, die Leute auf den Straßen rasen statt zu schlendern, über die Straße wälzt sich ne Blechlawine mit Motorengebrüll und Hupenkonzert, an der nächsten Ecke hämmert der Preßlufthammer, von allen Seiten blinkt einem Leuchtreklame entgegen, jemand drückt einem nen Flyer in die Hand. Selbst wenn man sich im tristen Wartemodus befindet, so fließt die Zeit dennoch schneller, sobald man sich ner Reizüberflutung aussetzt.
Das dritte hab ich irgendwo mal gelesen. Zeit vergeht schneller, je mehr wir sie unterteilen. Wer nur Tage zählt, lebt langsamer als der, der den Tag in Stunden unterteilt. Irgendwann im Mittelalter, wurde die Stunde, lateinisch die hora, unterteilt, in sechzig "Minderungen". Die geminderte Stunde: hora minuta. Nochmals später wurde die Hora ein zweites Mal "gemindert": hora minuta secunda (wörtlich zweite geminderte Stunde). Doch werden wir seit dem 20.Jh. schon im Kindesalter schon mit noch kleineren Zeiteinheiten konfrontiert, wenn wir im Sport 60 oder 100m laufen. Und für noch geringere Zeiteinheiten messen wir mit Atomuhren. - Na, und was ne Plancksekunde ist, das weiß hier sicher ebenfalls die Mehrheit...
In Gesellschaften, in denen selbst die Stunde im Alltag als Zeitmaß keine große Relevanz besitzt, leben die Menschen oft langsamer. Ich weiß dies von Südafrika, speziell von Menschen aus dem ländlichen Südafrika. Selbst Südafrikaner aus ner dortigen Großstadt wunderten sich, wieso wir hier in Deutschland auf der Straße so schnell laufen würden. Und ne Kommilitonin, die regelmäßig in Südafrika in sozialen Projekten arbeitete, fand es verstörend, daß jemand, der sich mit ihr verabredet hatte, erst drei Tage später kam und nicht verstand, was sie mit "pünktlich" meine; er sei doch gekommen.
Aber all das erklärt eigentlich nicht, daß Menschen in ihrem eigenen Leben den Eindruck haben, die Zeit würde immer schneller fließen. Wer schon immer in der stressigen Großstadt lebt, wer schon als Kind die Millisekunde kannte und als Gymnasiast die Plancksekunde, wer schon immer der Reizüberflutung von TV, PC, Werbung usw. ausgesetzt war, für den sollte sich doch eigentlich nichts groß ändern. Aber auch junge Menschen kennen das Phänomen der immer schnelleren Zeit. Dafür hab ich mir schon vor langer Zeit ne Erklärung ausgedacht.
Zeit ist das Maß der Summe des von mir Erlebten. Ich kann mich noch daran erinnern, wie ich mit 4 oder 5 Jahren in der Vorweihnachtszeit dachte, daß das letzte Weihnachten so unvorstellbar ewig her gewesen wäre. Auch erinnere ich mich, wie ich mit 10 oder 11 Jahren darüber wunderte, daß die Zeit zwischen zwei Weihnachten gar nicht mehr so ewig lang dauere wie früher. Und in jedem weiteren Jahr kam es mir wieder kürzer vor. Irgendwann kam ich drauf: Als ich vier Jahre alt war, hatte ich ja erst vier Jahre erlebt. Die Zeit bis zum nächsten Weihnachten dauerte da also 25% meines gesamten bisherigen Lebens. Das ist verdammt lange! Aber mit 40 dauert das folgende Jahr nur 2,5% der Zeit, die ich schon hatte. Zweieinhalb Prozent? Na das Bißchen sitz ich doch auf der rechten Pobacke ab!