Die Grabplatte von Palenque.
11.03.2005 um 00:03
Fürst Pacal von Palenque
Eine der gelungensten bildhaften Darstellungen des schamanischen Kosmos der Maya zeigt die Grabplatte von Palenque. Sie liegt auf dem Sarg, in dem Pacal, ein König von Palenque, beigesetzt wurde. Pacal selbst trug ein Stirnband mit dem Symbol für König sowie ein Amulett mit dem Bildzeichen für Baum. In eben dieser Doppelfunktion als Herrscher und Weltenbaum ist er auch auf der Grabplatte abgebildet.
Das Relief auf der Grabplatte zeigt Pacal, der im weit aufgerissenen Rachen der Unterwelt Xibalba liegt. Die Grabkammer selbst gilt dabei als Teil der Unterwelt, da die Grabpyramide ja ein heiliger Berg ist, befindet sich Pacals Sarg sozusagen "unter der Erde", in Xibalba. Unter Pacal liegt ein Totenschädel, auf dem sich eine Opferschale mit dem Sonnensymbol befindet - der bildhafte Ausdruck der Hoffnung, Pacal möge, wie die Sonne, die Finsternis des Todes überwinden. Über Pacal richtet sich kreuzförmig der Weltenbaum auf, auf dem der Himmelsvogel sitzt. Um den Weltenbaum ringelt sich die Visionsschlange in ihrer Darstellung als doppelköpfiger Schlangenstab. Diesen Schlangenstab, eines der Symbole für das Königtum, halten Mayakönige auf den Reliefdarstellungen stets als Legitimation in der Hand: Sie sind es, die in Trance fallen und mit den Göttern reden. Auf diese Weise zeigt die Grabplatte also Pacal zum Zeitpunkt der Kommunikation mit den drei Ebenen des Daseins auf seinem Weg zu den Ahnen nach dem Tode. Offenbar erwartet man, dass Pacal die Götter der Unterwelt überlisten wird, um von ihnen neues Leben zu erzwingen (Schele und Freidel, S. 255). Am Rande der Platte sind Pacals Ahnen mit ihren Namensgylphen aufgeführt, an den Seitenteilen des Sarges als bildliche Ahnengalerie, die zeigt, wie die Vorfahren aus der Unterwelt, aus Xibalba, heraussteigen (Schele und Freidel, S.252).
Lösen wir die einzelnen Bildelemente auf: Pacal sinkt zu Füßen des Weltenbaumes in den offenen Rachen der Unterwelt (Xibalba) hinab. Xibalba ist in Form eines Schädels mit großen Reißzähnen und weit ausladenden Kinnbacken dargestellt, dessen Rachen den Tod bzw. den Eingang nach Xibalba symbolisieren (Schele und Freidel, S.484). Im aufgesperrten Rachen liegen ein Totenschädel, die Opferschschale und das die Hoffnung auf Wiedergeburt ausdrückende Sonnenzeichen (Schele und Freidel, S. 255).
Über Pacal reckt sich der Weltenbaum nach oben. Dieser Weltenbaum (Schele und Freidel, S.489) ist die Zentralachse der drei Welten, und wird gemeinhin, wie auch auf Pacals Grabplatte, als Kreuz mit den integrierten Schriftzeichen für "göttlich" oder "heilig" dargestellt. Die Arme des Baumes enden in kaum erkennbaren stilisierten Schlangenköpfen, die das Blutopfer symbolisieren. Die Darstellung des Weltenbaums im Kreuztempel von Palenque, von Pacals Sohn in Auftrag gegeben, wiederholt die Darstellung auf der Grabplatte bis ins Detail. Da der Weltbaum dem König entspricht, stellt er sowohl Pacals Kommunikation mit den Ahnen als auch seinen eigenen Abstieg ins Totenreich dar. Pacal selbst wurde ein Amulett mit dem Symbol für Baum umgehängt, bevor man ihn ins Grab legte. Oben auf Weltenbaum sitzt der Himmelsvogel mit seinem langen Federschwanz (Schele und Freidel, S. 480).
Um den Weltbaum ringelt sich zwischen den Zweigen der doppelköpfige Schlangenstab. Er ist - als eine Art Szepter - das Maya-Symbol für Königtum, gleichzeitig auch die Repräsentation der Visionsschlange, also der Kommunikation mit Ahnen und Göttern in Trance (Schele und Freidel, S.485,488). Wieder einmal wird ein Symbol verwendet, das gleichzeitig Pacals weltliche wie geistliche Funktion ausdrückt.
Sämtliche auf dem Sargdeckel und Sarg Pacals verwendeten Symbole deuten also auf die Funktion des Maya-Herrschers als Bindeglied zwischen Diesseits und Jenseits, zwischen dem Hier und der Unterwelt der Ahnen hin. Damit verbunden ist auch die Hoffnung, dass Pacal - wie die Urzwillinge im Maya-Mythos - die Herrscher von Xibalba überlisten und ihnen ewiges Leben abluchsen kann, damit er seinen Nachkommen in Palenque stets zur Seite stehen wird. Um diese Botschaft auszudrücken, haben die Maya-Bildhauer auf der Grabplatte bevorzugt Zeichen verwendet, die sowohl den Herrschaftsanspruch des Königs wie seine Rolle als Vermittler zwischen den Welten betonen. Zusätzlich wurde Pacals Sarg in der Unterwelt durch einen kunstvollen "Seelenkanal", der vom Sarg bis zum Pyramidenausgang führt, mit der Oberwelt, wo seine Nachkommen lebten, verbunden (Schele und Freidel, S.258). So war Pacal nach seiner Wiedergeburt stets unter seinen Nachkommen präsent.
Die prä-astronautische Interpretation
Im Gegensatz zu dieser Deutung der Grabplatte von Palenque, die nicht nur jedes einzelne Detail der Grabplatte erklären kann, sondern auch die Darstellungen am Rande der Platte und auf dem Sarkophag, und die zudem in Übereinstimmung mit allen anderen Darstellungen, Inschriften und kosmologischen Konzepten der Maya ist, bestehen Prä-Astronautiker auf der Deutung, die Grabplatte zeige in Wirklichkeit eine stilisierte Rakete. Dabei werden natürlich sämtliche Darstellungen der Visionsschlange, des Weltenbaums oder der Unterwelt Xibalba, die nicht oberflächlich einer Rakete gleichen, aber identisch sind mit der Darstellung auf der Grabplatte von Palenque, einfach ignoriert.
Zum ersten Mal wurde die Raumschiffdeutung in dem italienischen Magazin "Clypeus" 1966 von Guy Tarade und Andre Millou vorgeschlagen (nach Dopatka, S. 267). Erich von Däniken hat sie in seinem Erstlingswerk "Erinnerungen an die Zukunft" übernommen (S. 99-100); in Pacal erkennt er den Gott "Kukulkan", der unzweifelhaft in Raumfahrerpose in einer "Rakete" sitzt. In seinem Kinderroman "Das Erbe von Kukulkan" wiederholt er diese Identifizierung des Toten mit Kukulkan, einem Herrscher, der rund 300 Jahre nach Pacals Tod geboren wurde. Vermutlich waren die Maya Hellseher! Aber Däniken kümmert die Wahrheit ohnehin nicht: So wiederholt er immer wieder die vollkommen falsche Angabe, Pacal sei "der letzte Maya-Herrscher" gewesen, obwohl Pacals Nachkommen weiter in Palenque regierten und andere Maya-Staaten auch nach dem Untergang von Palenque weiterbestanden.
Spätere Theoretiker fanden für jedes piktografische Element, für jedes Schriftzeichen eine technische Interpretation. Bei dem Ingenieur Toth werden die Köpfe der Visionsschlange zu Radarantennen, aus dem Schriftzeichen für Sonne wird ein Sessel in der Raumkapsel, die Ahnengalerie Pacals zur Darstellung der "Bewegungsabläufe des Raumschiffs" bei der "Richtungsänderung ... durch Verschiebung des Massenmittelpunktes aus der Drehachse" (Toth, S.197, 189, 191)!
Zwei Dinge wurden bei der Interpretation von Pacals Grabplatte von prä-astronautischen Interpreten stets missachtet:
1. Es gibt auf dem Bild keine Verbindung zwischen "Oberteil" und "Unterteil" der Rakete. Das Ding würde auseinanderfallen. Die einzige Verbindung zwischen beiden Elementen stellt Pacal dar - ganz so, wie es die Kosmologie der Maya verlangt.
2. Es gibt unter den Abertausenden von Maya-Bildern kein einziges, das einen Gegenstand - so wie es auf der Grabplattenrakete der Fall sein soll - im Querschnitt zeigt: Alle Mayabilder sind entweder in Aufsicht, von der Seite, als Halbrelief oder als Statue gesehen. Daher müssen Prä-Astronautiker - wenn Palenque als Querschittsdarstellung betrachtet werden soll - zumindest weitere Beispiele für diese Darstellungsweise aus der Welt der Maya zitieren können. Die gibt es aber nicht.
Ohnehin hat sich gezeigt, dass Menschen, die mit der Prä-Astronautik nicht vertraut sind, Probleme haben, auf der Grabplatte ein Raumschiff zu erkennen: Ohne Erklärung und ohne Einweisung können Laien die angeblich so "offensichtliche" Rakete gar nicht erkennen (vgl. Discover 3/1994, S.30).
Heute kann man sich nicht mehr, wie noch vor wenigen Jahren (vor der Entzifferung der Maya-Schrift), mit der Entschuldigung herausreden, man wisse zu wenig von den Maya, die Raumschiff-Interpretation sei zumindest denkbar. Peter Fiebag hat daher jüngst versucht, die gesicherte wissenschaftliche Erkenntnis mit der prä-astronautischen Spekulation zu verbinden. Er räumt ein, dass die Grabplatte Pacal und den Weltenbaum zeigt, doch dessen Maya-Bezeichnung "heiliger, heller Baum" soll nun auf eine Rakete hindeuten. Zudem gehe die Reise des toten Pacals nach Xibalba, das Jenseits, das man mit dem Weltall gleichsetzen könne (Fiebag, S. 11-12). Es seien daher zwischen der Darstellung der Reise des toten Pacals entlang des Weltbaums nach Xibalba und der Deutung als "stilisiert dargestelltes Raumschiff" "keine Widersprüche".
Zählen wir, Fiebag zum Trotz, hier nur einmal die gröbsten Widersprüche auf. Zwar kann Xibalba auch mit der Milchstraße gleichgesetzt werden, doch ist die Milchstraße der Maya nicht identisch mit der Milchstraße unserer Astronomen. Xibalba ist - auch am Sternenhimmel - die "jenseitige Parallelwelt", "in die Könige und andere Schamanen in der ekstatischen Trance überwechselten" (Schele und Freidel, S.53). Xibalba ist tagsüber die Unterwelt, die sich nachts in den Sternenhimmel verwandelt (Schele und Freidel, S. 66). Xibalba ist eine außergeographische Welt, keine physikalische Region, sondern ein Bewusstseinszustand, der in Symbolen wie dem "schwarzen Meer" der Unterwelt oder der Milchstraße der Nacht ausgedrückt wird. Die Reise dorthin ist keine physikalische Fahrt, für die man eine Rakete braucht, es ist eine Trancereise (Schele und Freidel, S. 504).
Um den Unterschied noch einmal klarzumachen: Nach Xibalba kommt man, indem man sich die Zunge oder den Penis mit dem Stachel eines Rochens durchbort oder indem man stirbt. Zur Milchstraße kommt man, indem man ein Raumschiff baut. Beide Konzepte haben nichts miteinander zu tun. Falls doch - ein bisschen Piercing und die NASA kann sich die Produktionskosten für das Space Shuttle sparen.
Das kybernetische Äquivalent von Logik ist Oszillation.
Ganz unten auf dem Grunde des Lebendigseins treffen wir auf die Metapher. (Gregory Bateson)