Drvenkar-Kai

Der letztes Jahr von der Kritik wohlwollend aufgenommen Kinderroman des deutsch-kroatischen Schriftstellers Zoran Drvenkar konfrontiert einen auf kreative Weise mit Lügengeschichten der Kriegsgeneration. Angesiedelt ist der Roman in einer fiktiven Vergangenheit, in einem fiktiven 32-jährigen Krieg.

Der Großvater ist 100, er will sterben und leidet an Demenz. Sein ganzes Leben hat er Heldengeschichten aus dem Krieg erzählt. Als er nun alles vergisst, nimmt der 11-jährige Kai ihn auf einen Road-Trip zu seinen Vergangenheitsstationen mit. Beide durchleben den Krieg im Schnelldurchlauf.

Drei Kernerlebnisse des Großvaters sind nun ganz anders.


  1. Seine Kompanie hat an einer Brücke nicht den Feind geschlagen, sondern sie ist getürmt, nachdem die Hälfte ihr Leben verloren hat. Der Großvater hat sich tot gestellt und ist mit der anderen Hälfte der Kompanie gefangen und vier Jahre in ein Lager gesteckt worden.
  2. Sein Auge hat er nicht verloren, als er durch seinen Körper einen Kameraden vor Armbrustpfeilen geschützt hat, sondern er hat am Eingang zu einem Fluchttunnel die Explosion einer Handgranate so unwirksam machen können, dass der Tunnel, in dem 52 Leute waren, nicht eingestürzt ist.
  3. Die sieben Orden sind ihm nicht verliehen worden, sondern am Ende des Krieges hat ihn ein General gezwungen, dessen ordengeschmückte Uniform anzuziehen, dass er selbst als "einfacher Soldat" hat fliehen können. Der Kompass des Generals, der sich in der Brusttasche befindet, rettet ihm am Ende das Leben, da die Kugel eines Scharfschützen an diesem abprallt.


Letztlich stellt sich die Frage, warum der Großvater sein Leben lang Lügengeschichten aufgetischt hat. Selbsttäuschung? Hat er seiner Familie seine eigene Rolle im Krieg verschweigen wollen? Wohl beides.
Ich dachte, wenn ich mich freiwillig zum Krieg melde, verändere ich die Welt. Alle meine Kameraden haben das gedacht, frag sie ruhig. Wir dachten, wir würden eines Tages Helden sein, wir dachten, was wir auch taten, wir würden immer recht haben. Das haben wir wirklich gedacht. Und dann fanden wir sehr schnell heraus, dass der Feind genau dasselbe dachte. Und dann sah ich meine Kameraden einen nach dem anderen sterben und es war vorbei mit dem Heldentum. Einfach vorbei. Und ich konnte nichts dagegen tun. Das ist das Schlimmste, wenn du begreifst, wie hilflos du bist. Wenn du begreifst, dass du das Blut nicht stoppen und die Kanonen nicht zum Verstummen bringen kannst. Egal, wie laut du rumschreist. Alles wird dir im Krieg aus der Hand genommen, und am Ende stehst du mit nichts da und bist ein feiger Held, dem ein Auge fehlt und der sich schämt, nach Hause zu gehen.
Über seine erfundene Lebensgeschichte:
Ich konnte der sein, der ich gerne gewesen wäre: ein stolzer Mann, der Großvater und Held zugleich ist. Jemand, der sich nicht fürchtet und in den Nächten ruhig schläft.
Die Geschichten, die ich dir erzählt habe, haben mich auf eine ganz eigene Weise geheilt. Deswegen erfand ich mein Leben neu.
Am Ende der Geschichte zieht der Großvater in ein Pflegeheim.