Boie-Alhambra

Dies ist ein Zeitreisekinderroman von Kirsten Boie aus 2007. Eine Schülergruppe fährt nach Granada und der 14-jährige Boston verschwindet im Nichts, als er im Bazar des ehemaligen Judenviertels eine Fliese mit der Aufschrift "Allah siegt" angreift. Um diese Fliese rankt der Mythos, dass sie ein Zeitportal öffnet. Und so ist es auch, Boston landet im April 1492 in Granada, als von einem betrunkenen Soldaten diese Fliese aus einem Saal der Alhambra ausgebrochen wurde.

Boie verwebt geschichtliche Ereignisse mit einem Abenteuerroman, wobei ein didaktischer Impetus erkennbar ist, doch nicht allzusehr mit dem Zeigefinger. Die historischen Kernereignisse sind die ab Jänner beginnende Zwangskonvertierung der Juden und wer nicht zum Christentum übertreten will, muss das Land ohne Vermögen verlassen. Wer bleibt, wird der Inquisition übergeben. Das arabische Fürstentum ist zerschlagen, der arabische Fürst Boabdil erhielt in den kargen Bergen der Alpujarras ein Zwergfürstentum. Die Vertreibung der Muslime beginnt erst im Oktober, liegt also im Roman noch in der Zukunft. Gleichzeitig versucht ein Genuese namens Colón von Königin Isabella und König Ferdinand eine Finanzierung einer Westreise nach Indien zu erhalten, die aber wegen seiner hirnrissigen Vorstellung einer kleinen Erde sowie seiner maßlosen Forderungen abgelehnt wird.

Boie fügt mehrere Aspekte zu einer eigentlich spannenden, wenn letztlich unlogischen Geschichte zusammen:

Suche nach der Fliese. Boston schließt korrekt, dass er nur mit der Fliese zurückkehren kann. Er muss sie unbedingt finden und den Modus, wie das Zeitportal geöffnet wird, entdecken. Gesehen wird sie bei einem Soldaten, auf den er bei verschiedenen Kontrollen und Durchsuchungen trifft. Als dieser sie am Ende wegwirft, Boston sie aufgreift und sie in ein Loch in einem Fliesensaal der Alhambra steckt, reist er wieder zurück in seine Gegenwart.

Reise des Kolumbus. Boston wird zunächst wegen seiner blonden Haare für den Habsburger Philipp von Burgund gehalten, der die 13-jährige Prinzessin Johanna heiraten soll. Diese findet den kleingewachsenen Boston unattraktiv, aber er verliert ein eigentümliches Säckchen: eine Ketchuptüte aus einem Burgerladen. Da sie herausfinden will, was das ist, hilft sie Boston mehrfach zur Flucht und als ihr klar wurde, dass die Flüssigkeit kein Blut, sondern etwas Fremdartiges ist, schafft sie es, den jüdischen Konvertiten und Schatzmeister König Ferdinands, Santángel, zu überzeugen, dass Boston die Wahrheit sprechen könnte und im neu entdeckten Land Unmengen von Gold zu finden sind. Er stattet Colón mit dem Notwendigen aus und Königin Isabel willigt in die eigentlich wegen der Entfernungen unmögliche Reise nach Indien ein. Die Zukunft wird nicht verändert.

Vertreibung der Juden. Boston freundet sich nach Ankunft mit dem muslimischen Jungen Tariq an, der als Bote Kontaktmann zu dem reichen jüdischen Kaufmann Isaak ist, der mittels eines muslimischen Kapitäns illegal jüdisches Vermögen außer Landes bringen soll. Der hohe Lohn dieses Schmuggels soll einen muslimischen Aufstand finanzieren. Tariq, der Handy und Reiseführer vorgestellt bekommt, nimmt Boston zu einem Treffen bei Isaak mit. Dessen Haus wird aber in dieser Nacht durch eine Razzia überfallen. Tariq, Boston und Salomon (Isaaks Sohn) können fliehen, der Vater wird festgenommen, das Haus abgebrannt, die Schätze werden requiriert. Damit beginnt die abenteuerliche Flucht, die Boston wegen der Fliese immer wieder nach Granada bringt und bei Kontrollen den Soldaten mit der Fliese sehen lässt.

Inquisition. Diese gibt vor, Seelen retten zu können, und eine Methode ist die körperliche Vernichtung einer vom Teufel besessenen Person. Boston weiß von Tariq, dass sein eiförmiges Handy (wohl ein 2007 übliches Klapphandy), das auch Fotos zeigen kann, sowie sein Reiseführer mit Bildern aus Granada zu Beginn des 21. Jahrhunderts und Geschichten über Königin Isabella, Kolumbus sowie die Juden- und Moslemvertreibung als Teufelszeug gesehen wird. Er versteckt daher seinen Rucksack an der Stadtmauer von Granada, der jedoch gefunden und als seiner identifiziert wird. Handy und Buch werden als Teufelszeug gesehen, Boston als Teufelsbündner verfolgt, gefangengesetzt und schließlich von Johanna befreit. Dies gibt den Weg frei, die Fliese ins Mauerloch zu setzen und zurück in seine Gegenwart zu reisen.

Zeitreise. Zeitreisen sind letztlich unlogisch, da sie Vergangenheit und somit die Zukunft wie eigene Gegenwart verändern können. Dies wird im Roman auch angesprochen und Boston ist klar, Kolumbus muss reisen und es darf keinen erfolgreichen muslimischen Aufstand geben, sonst wäre er in der Vergangenheit gefangen, da es ihn in seiner Gegenwart wohl gar nicht geben würde. Hier jedoch ist sie Mittel, eine spannende Geschichte zu erzählen.

Nach Rückkehr zum Verkaufsstand und dem verzweifelten wie dauerbetrunkenen Händler Manuel bringt dieser Boston an einen einsamen Ort außerhalb der Stadt und Boston erzählt eine Geschichte von einer Entführung, die niemand so richtig glaubt, aber er kann seine wahre Geschichte der Zeitreise nicht erzählen, da diese noch viel unglaubwürdiger ist.

Worum geht es Boie? Neben einer spannenden Geschichte wohl auch um das Zusammenleben von Menschen unterschiedlichen Glaubens, verkörpert in Tariq, Salomon und Boston. Al-Andalus wird etwas blauäugig gesehen, auch wenn Judenpogrome wie Sondersteuern für Christen und Juden angesprochen werden. Aber letztlich ist es ein spannendes Kinderbuch auf hohem Niveau. Auch mir hat die Lektüre zumeist Spaß gemacht.