Kaiser-Blasmusikpop

2012 veröffentlichte die noch nicht 24-jährige österreichische Autorin Vea Kaiser ihren Debutroman über ein fiktives Alpendorf St. Peter am Anger, das nur durch eine einzige Straße erreichbar, ansonsten von den ebenfalls fiktiven Sporzer Alpen umgeben ist. Die etwa 500 Bewohner schotten sich seit Jahrhunderten von der Außenwelt ab, bis auf den Ersten Weltkrieg konnten sie sich um Kriegsteilnahmen drücken.
... festzuhalten gilt nur, dass die Krisenzeit des Kontinents eine Zeit der Blüte in St. Peter am Anger war. Die Bewohner organisierten sich autark und lebten glücklich ohne Kontakt mit der von Krisen geplagten Welt.
Fremdenverkehr gibt es kaum, Kontakte zu umliegenden Gemeinden sind selten. Dementsprechend ist die Inzuchtquote hoch, wer die Väter der Kinder sind, ist oft unklar. Haupteinnahmequelle ist der Verkauf von Adlitzbeeren.

Der Roman selbst durchläuft eine Zeitspanne von 1959 bis 2010 und ist in chronologischer Reihenfolge verfasst. Zwischen barocker Fabulierlaune und sentimentalem Kitsch wird eine große Bandbreite an Provinzliteratur abgeklappert. An Fantasie und Sprachfertigkeit mangelt es Vea Kaiser definitiv nicht.

Hauptfigur ist der Anfang der 1990er Jahre geborene Johannes A. Irrwitzer. Dessen Großvater, der Holzschnitzer Johannes Gerlitzen, verlässt, nachdem er an einem riesigen Bandwurm litt und dessen Tochter dem verhassten Nachbarn aus dem Gesicht geschnitten aussieht, das Dorf, zieht in die Hauptstadt, studiert nach Kauf einer Studienberechtigung Medizin mit Spezialgebiet Wurmforschung. Nach sieben Jahren zieht er nach St. Peter zurück, versöhnt sich mit seiner an Parkinson langsam sterbenden Frau und Tochter und arbeitet als Allgemeinmediziner im Dorf. Sein Herzensmensch wird sein Enkel Johannes, der wieder eine gewisse Ähnlichkeit mit ihm aufweist, und ihn führt er in Weltliteratur und Naturwissenschaften ein. Johannes (der Enkel) ist hochbegabt und erhält ein Stipendium für das Klostergymnasium im nächsten größeren Ort, in das er täglich mit dem Bus pendelt.

Ab nun wird es ein Initiationsroman mit vielen Episoden, die am Rande von Schenkelklopferwitzen sich bewegen. Am Gymnasium schließt sich Johannes einer Gruppe an, welche die antiken Werte hochhält, er selbst wird Fan des griechischen Historikers Herodot und dessen Methode, die Barbarenvölker zu beschreiben. Als die Klosterschule aus finanziellen Gründen einem Trägerverein überschrieben wird, beginnt der Abbau der humanistischen Bildung und der Ausbau von wirtschaftlichen Fächern. Die Gruppe geht in Widerstand und Johannes legt es sich mit dem neuen Direktor, der sein Geschichtelehrer wird, an und schafft die Reifeprüfung erst im zweiten Anlauf.

Im Dorf selbst verliebt er sich in die rothaarige Tochter eines Architekten, der am Ortsrand eine Villa errichtet hat (neben einem ehemaligen Fußballnationalspieler einer der wenigen Auswärtigen im Dorf), aber wie die Liebesgeschichte ausgeht, bleibt offen. Außerdem wird Johannes Schriftführer im Organisationskomitee für die Einweihung einer Flutlichtanlage am Fußballplatz, und ihm gelingt es, den FC St. Pauli für ein Freundschaftsspiel ins Alpendorf zu locken. Damit ist der ehemalige Sonderling nun ein Held und im Dorf integriert. Damit endet auch der Roman. Angedeutet wird noch, dass mit Entmachtung der vier senilen Alten im Ältestenrat geplant ist, das Gletschergebiet für den Skitourismus zu erschließen.

Eingebaut in den Roman ist ein schülerhaft geschriebener Text über die Geschichte der Bergbarbaren von St. Peter am Anger von der Christianisierung bis zur Gegenwart. Diesen wird wohl Johannes A. Irrwein verfasst haben.

Vor allem das erste Viertel des Romans ist brillant geschrieben, doch je mehr Schenkelklopferwitze eingebaut werden, desto mehr Längen weist er auf. Aber letztlich obsiegen Fantasie und Sprachwitz, sodass es eine witzige Lektüre war. Vea Kaiser selbst ist übrigens studierte Altphiloglogin (Latein und Altgriechisch), stammt jedoch nicht aus den österreichischen Bergen, sondern aus dem niederösterreichischen Flachland.