Boehmer-Hesmat

Der österreichische Journalist Wolfgang Böhmer hat im Jahr 2002 im Innsbrucker SOS-Kinderdorf einen zwölfjährigen Flüchtling aus der nordafghanischen Stadt Mazar kennengelernt und dessen packende Flucht von Afghanistan über Tadschikistan, Usbekistan, Kasachstan, Russland, die Ukraine, Ungarn und die Slowakei nach Österreich in einem Radiobeitrag der Öffentlichkeit bekanntgemacht und 2008 in Form einer Dokufiktion als Roman veröffentlicht.

Der elfjährige Hesmat beschließt Ende 2000, aus dem von den Taliban regierten Afghanistan nach London zu fliehen, da sein Onkel dort Kontakte habe. Seine Mutter ist an einer Krankheit verstorben, sein Vater, der in den 1980er Jahren dem kommunistischen Regime diente, wurde ermordet. Bei seinem fundamentalistischen Großvater will er nicht bleiben. So plant er mit 7.000 USD, die er vom Verkauf des elterlichen Hauses hat, mit Hilfe eines befreundeten Apothekers die Flucht.

Zu Fuß geht er über den Hindukusch, trifft auf gegen die Taliban kämpfende Mudschahedin, die jedoch auch eine Gefahr darstellen, da viele von ihnen junge Knaben vergewaltigen. Schmuggler und Schlepper, auf die er trifft, können auch Menschenhändler sein. Er befreundet sich mit einem sechzehnjährigen Fahid, mit dem er zunächst dessen wohlhabenden Onkel Hanif in Duschanbe aufsucht, der wiederum die Schlepper nach Moskau organisiert. Mit dem Zug machen sie sich auf den Weg, müssen sich in den Zügen verstecken, werden jedoch in Usbekistan aufgegriffen und landen im Gefängnis. In Kasachstan wird Fahid in einem Schacht zwischen Außen- und Innenwand des Zuges versteckt, worin er elendiglich erstickt. Die Leiche wird aus dem Fenster geworfen. Hesmat überlebt in einer sargähnlichen Kiste. In Russland kommt er wieder ins Gefängnis, doch der organisierende Schlepper hat so große Angst vor Hanif, dass Hesmat wirder freigekauft werden kann.

In Moskau wird er afghanischen Bekannten übergeben, er zahlt Schlepper, um ihn in den Westen zu bringen. In der Ukraine hängen mehrere Flüchtlinge fest, aber dass der Bekannte die zweite Hälfte des Schlepperhonorars erst nach bestätigter Ankunft im Westen bezahlen will, ist für Hesmat eine Lebensversicherung und er wird bis nach Ungarn gebracht, dort jedoch gelegt. Bei einem Zaun in der Nähe von Budapest behaupten die Schlepper, dass dies der Grenzzaun nach Österreich sei. Hesmat signalisiert nach Durchschreiten dieses Zauns, dass er in Österreich sei. Er landet in einem ungarischen Flüchtlingslager, in dem es ihm gut geht, aber eine Flüchtlingsgruppe flieht weiter in die Slowakei, da sie eine Rückabschiebung in die Ukraine befürchten. Von der Polizei aufgegriffen, wird die Gruppe nicht sonderlich daran gehindert, mit Hilfe von Schleppern die winterliche Donau zu überschreiten.

Im österreichischen Auffanglager Traiskirchen fühlt Hesmat sich doppelt bedroht. Einerseits von der nüchternen Bürokratie der Anträge mit der Angst, abgeschoben zu werden, andererseits im Lager selbst, das gefährlicher sei als jedes Gefängnis zuvor, eben weil es kein Gefängnis ist und keine Wächter gibt. Das Lager wird von Banden beherrscht, Frauen und Kinder sind ständig in Gefahr, vergewaltigt zu werden.
In der Nacht versuchten sich die Frauen vor den alteingesessenen Männern zu schützen, draußen patrouillierten Man-ner mit Hunden, während drinnen Tschetschenen mit Messern aufeinander losgingen. Sobald die Türen der Häuser geschlossen waren, ließ jeder seinen Angsten, seinem Hass, seiner Wut freien Lauf. Niemand stellte sich ihnen entgegen, es gab keine Wärter, die die Wehrlosen schützten, keine Einzelzellen, in denen man sicher gewesen wäre.
So flieht er weiter über Wien und Tirol Richtung Italien, wird aber auf der Brennerstrecke im Zug aufgegriffen. In Tirol kommt er in ein SOS-Kinderdorf, wo Wolfgang Böhmer ihn kennenlernt. Mittlerweile sind die Taliban von US-Truppen verjagt und es besteht die Möglichkeit, dass er nach Afghanistan zurück abgeschoben wird. Nach der Radiosendung erhält er vom österreichischen Innenminister Strasser die Genehmigung, in Österreich bleiben zu dürfen.

Die Ausgabe von 2022 schildert weiter, dass Hesmat nunmehr die österreichische Staatsbürgerschaft besitzt, als ausgebildeter Elektrotechniker arbeitet und Familienvater mit zwei Kindern ist.

Schwer zu durchschauen ist, warum die Organisatoren der Flucht (Hesmat ist am Ende seine gesamten Dollar los) große Teile der Fluchtstrecke ihm nachfahren, um ihn aus Schwierigkeiten zu holen. Der Schlepper Bachtabat aus Duschanbe, der sich vor Hanif fürchtet, fährt ihm bis nach Usbekistan nach. Auch Sayyid, der die Flucht von Moskau aus in den Westen mit Hesmats Geld bezahlt, hält bis nach Ungarn Kontakt zu dem Schlepperboss Musa. Dass es auf der ganzen Strecke ein Netzwerk an Schleppern und Drogenkurieren gibt, geht aus dem Buch eindeutig hervor, deren Tiefe wird nicht ausgelotet. Sie ist wohl Hesmat wie auch Böhmer nicht bekannt.