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Graham Gardner - Im Schatten der Wächter
17.08.2024 um 15:19Der Zweck der Verfolgung ist die Verfolgung. Der Zweck der Folter ist die Folter. Der Zweck der Macht ist die Macht.Dieses Zitat aus Orwells 1984 ist das Leitmotiv des 2003 im Original erschienen Romans des britischen Sozialforschers und Autors Graham Gardner. Thema dieses Jugendbuchs ist Mobbing und Gewalt an Schulen, wobei der 15-jährige Elliot Sutton nach einem Schulwechsel vom Opfer zum Täter wird.
Bei einem Raubüberfall wird Elliots Vater zum Krüppel geschlagen und ist nur mehr fähig, stumpfsinnig vor dem Fernseher zu sitzen. Seine Mutter versucht die Familie durch zwei Arbeitsstellen (in einem Altersheim als Pflegerin sowie als Putzhilfe) über Wasser zu halten. Ein Wohnungswechsel zieht auch einen Schulwechsel nach sich.
In der alten Schule ist Eliott als "Verlierer" permanent von drei Typen verprügelt und gequält worden. In der neuen Schule hat er Angst, dass er wieder in diese Rolle gezwängt wird, er kann sich jedoch durch gute Schwimmleistungen bzw. ordentlichen Noten einen Respekt verschaffen, der sich verstärkt, als er ein gezieltes Verprügeln eines Ben beim Turnlehrer als Unfall darstellt, was dieser ihm abnimmt.
Die Mobbingsituation an der neuen Schule ist keine spontane, chaotische Gewalt, sondern eine von drei "Wächtern" organisierte. Opfer und Täter werden am Schwarzen Brett bekanntgegeben. Aufgrund des Respekts, den er erworben hat, wird er von den Wächtern als Nachfolger des Wächters aus der Abschlussklasse auserkoren und muss eine "Bestrafung" organisieren. Er wählt Opfer und Täter aus und lässt dies am Schwarzen Brett aushängen. Doch nach langen inneren Zweifeln klopft er am Morgen dieser Bestrafung an der Tür des Schuldirektors. Damit endet der Roman.
Abgesehen von der schwierigen Beziehung zu seiner Mutter, gibt es zwei Kontakte. Einen zu Ben, dem Daueropfer im Umkleideraum für die Rugbyspiele, der einer reichen Familie entstammt, künstlerisch fotografiert und sich darauf freut, die Schule zu wechseln. Etwas blasser ist seine Beziehung zu Louise, die Interesse an ihm hat und ihm, einen Vielleser, Orwell näherbringt. Sein ungelenkes stürmisches Verhalten beim Abschied nach dem ersten Kinobesuch ist aber ähnlich holprig umgesetzt. So richtig werden einem beide nicht nähergebracht.
Insgesamt ist eine gute Idee gestaltet worden, sie bleibt aber an wichtigen Punkten oberflächlich gestaltet. Es gibt Wächter, weil es sie schon seit dem 19. Jahrundert an der Schule gibt, aber warum sich - Täter und Opfer - diesem nie Gewalt anwendenden faschistischen Rat unterordnen, wird eigentlich nicht klar. Nur einmal wird die Wahl der Opfer angesprochen:
Sie machten Jagd auf andere.Die Selbstdefinition der Wächter als Institution der sozialen Stabilisierung wirkt aufgesetzt:
Auf den Jungen mit der wunden Nase.
Auf einen Schüler, der stotterte.
Auf einen anderen, dessen Frisur so aussah, als ließe er sich von seiner Mutter die Haare schneiden.
Auf zwei von Elliots Klassenkameraden, die in den Pausen immer zusammen waren.
Auf fette Kinder.
Auf kleine Kinder.
"Wir kümmern uns darum, dass die Leute ihren Platz im Leben nicht verlassen. Wenn sie vergessen, wo sie hingehören, erinnern wir sie daran, und wenn sie versuchen, sich von ihrem angestammten Platz zu entfernen ..."Auch würden die Wächter von den "Massen" nur etwas hervorholen, was sie in sich tragen:
Sie gieren nach Blut. Wenn das erste Halbjahr vorbei ist, betteln sie förmlich darum.2005 erhielt dieses Buch den Deutschen Jugendliteraturpreis.
"Beherrsche die Massen, Elliot. Das ist es, was du lernen musst. ... Die Gewalt, die Bestrafungen, die Opfer - all das war schon vor uns da. Egal, wie man es nennen will, es existierte bereits, bevor die Wächter auf der Bildfläche erschienen. Alles, was die Wächter tun, ist, sich dieses Etwas zunutze zu machen. Vergiss das nicht, Elliot. Wir haben die Macht, weil wir den Leuten zeigen, was sie sind. Wir zwingen niemanden.
Wir erschaffen nichts. Wir decken nur auf, was da ist."