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Gottfried Keller - Romeo und Julia auf dem Dorfe
12.08.2024 um 12:23In den 1850er Jahren schrieb der Schweizer Schriftsteller Gottfried Keller diese seine vermutlich bekannteste Novelle über zwei Kinder verfeindeter Bauern, die sich in ihrer aussichtslosen Liebe das Leben nehmen. Aufgenommen wird diese Novelle in Kellers Novellenzyklus über die fiktive Schweizer Kleinstadt Seldwyla.
Angeregt wurde Keller durch folgende am 3. September 1847 in der Züricher Freitags-Zeitung erschienene Kurznachricht:
Sachsen. – Im Dorfe Altsellerhausen, bei Leipzig, liebten sich ein Jüngling von 19 Jahren und ein Mädchen von 17 Jahren, beide Kinder armer Leute, die aber in einer tödtlichen Feindschaft lebten, und nicht in eine Vereinigung des Paares willigen wollten. Am 15. August begaben sich die Verliebten in eine Wirthschaft, wo sich arme Leute vergnügten, tanzten daselbst bis Nachts 1 Uhr, und entfernten sich hierauf. Am Morgen fand man die Leichen beider Liebenden auf dem Felde liegen; sie hatten sich durch den Kopf geschossen.Quelle: Zitiert nach Wikipedia
Abgesehen von der idyllisierten Darstellung des bäuerlichen Lebens und Arbeitens zu Beginn, dem ungelenk geschilderten Verhältnis der beiden Jugendlichen zueinander sowie dem nicht ganz durchargumentierten Entschluss der beiden, ins Wasser zu gehen, überzeugt die Novelle vor allem durch die Schilderung, wie die beiden Familien durch einen Rechtsstreit um ein Ackerstück in die Armut getrieben werden.
Zwischen den Äckern der Bauernfamilien Manz (Sohn Sali/Salomon) und Marti (Tochter Vrenchen/Vreni) gibt es ein Brachland, das eigentlich dem Sohn eines verstorbenen Musikers gehört, der aber ein heimatloses Leben als Geiger führt und seine Identität nicht durch Papiere nachweisen kann. Die beiden Bauern pflügen jedes Jahr ein Stück ins Brachland und bei einer Versteigerung durch die Gemeinde kauft Manz das Feld. Marti hat sich ein Stückchen Land dreiecksförmig "rausgepflügt" und weigert sich, dieses an Manz zu übergeben. Beide beginnen einen Rechtsstreit, der sie verarmen lässt. In Folge vernachlässigen sie ihre Höfe und werden zu Trinkern, und um schließlich überleben zu können, angeln sie ihre Nahrung aus dem Fluss gemeinsam mit anderen Verarmten aus Seldwyla. Manz muss den Bauernhof aufgeben und zieht in die Stadt, um ein heruntergekommenes Wirtshaus zu übernehmen.
Ein geheimes Treffen von Sali und Vrenchen wird von ihrem Vater entdeckt, er beginnt seine Tochter brutalst zu schlagen. Sali schreitet ein und schlägt den Bauern Marti mit einem Stein auf den Kopf. Nach sechs Wochen Koma wacht er als Idiot auf und wird in eine Anstalt gebracht, Vrenchen muss innerhalb von zwei Tagen den Hof verlassen, da auch ihre Mutter verstorben ist. Ihre Perspektive ist, sich als Dienstmagd durchzuschlagen. Beide schweigen über den Hergang der Tat und so entscheidet das Gericht, dass Marti im Suff gefallen und mit dem Kopf gegen einen Stein geprallt sein muss.
Die nun 17-jährige Vreni und der nicht ganz 20-jährige Sali, der von seinen Eltern davonläuft, gehen gemeinsam fort, um ein letztes Mal auf einem Kirchtag zu tanzen und eine gute Zeit zu haben. Das Angebot des Geigers (dem eigentlichen Eigentümer des Brachfelds), mit seinen Leuten in den Wald zu ziehen, lehnen sie ab. Da beide perspektivlos sind und doch die Tat von Sali die Beziehung der beiden belasten könnte, entscheiden beide in der Nacht nach dem Kirchtagfest, gemeinsam in den Tod zu gehen. Sie besteigen ein Boot im Fluss und stürzen sich an einer Tiefen Stelle in denselben.
Wie schon geschrieben, sind manche Stellen etwas ungelenk geschrieben, aber dass Keller den Shakespear'schen Konflikt in das Lebensumfeld einfacher Menschen und derer Konflikt wie Verarmung überzeugend geschrieben ist, hat diese kleine Novelle zurecht einen Platz in der Weltliteratur gefunden.
Der Geiger, wie er um das Erbe seines Feldes gebracht wurde:
ich habe mich zwanzigmal gemeldet, aber ich habe keinen Taufschein und keinen Heimatschein, und meine Freunde, die Heimatlosen, die meine Geburt gesehen, haben kein gültiges Zeugnis, und so ist die Frist längst verlaufen, und ich bin um den blutigen Pfennig gekommen, mit dem ich hätte auswandern können! Ich habe eure Väter angefleht, dass sie mir bezeugen möchten, sie müssten mich nach ihrem Gewissen für den rechten Erben halten; aber sie haben mich von ihren Höfen gejagt, und nun sind sie selbst zum Teufel gegangen!