Millikan-Language

Die US-amerikanische Philosophin Ruth Garrett Millikan legte 2005 eine Sammlung von älteren Essays zu Sprache vor. Ein vom Verlag angelegtes "biologisches Modell" der Sprache lässt sich nur indirekt ableiten, auch wenn im Vorwort konstatiert wird, dass Denken und Sprache einer "biologischen Norm" folgen.

Kernpunkt ihrer Thesen ist, dass Sprache konventionell, also eine Übereinkunft ist, die auf zufällige Art und Weise Lösungen anbietet, die gelernt und reproduziert wird, aber auch auf anderem Weg zum Ziel führt wie Konventionen in der realen Welt, deren Beispiele immer wieder wiederholt werden, so das Fahren auf der rechten Seite, bestimmte Dekorationen zur Weihnachtszeit oder Dress-Codes. Konventionslösungen folgen nicht ihrer Funktion. Dies jedoch ermögliche menschliche Kommunikation, da nicht ständig neue Kommunikationslösungen präsentiert werden, sondern gebräuchliche wiederholt angewendet werden.

Dies betrifft auch die Struktur einer Sprache (Grammatik, Wortschatz, Phrasen), sodass mit einem begrenzten, jedoch vor allem im Wortschatzbereich erweiterbaren Repertoire unbegrenzte Äußerungsmöglichkeiten gegeben sind. Für Kinder seien Konventionen im Sprachgebrauch unerlässlich, um eine Sprache zu erwerben. Die These ist: Ohne Konventionen könnte ein Kind keine Sprache erwerben, da Bezugspunkte zur Außenwelt nicht hergestellt werden könnten.

Sprache selbst vermittelt sowohl Beschreibendes (Wiedergabe der Außenwelt) wie auch Deklarierendes (wie die Außenwelt gestaltet werden soll). Das Besondere ist, dass beide Aspekte in Aussagen vorhanden sein können, zum Teil müssen, um wirksam zu sein. Angeknüpft wird an den Bienentanz: Dieser zeigt an, wo eine Nektarquelle ist (Beschreibung) und fordert die Bienenarbeiterinnen auf, dorthin zu fliegen, um Nektar zu sammeln (Deklaration). Falls die Beschreibung falsch wäre (sich dort ein See befindet), wäre die Aufforderung ohne Sinn. Die menschlichen Kommunikation funktioniere genauso. Eine Aufforderung im Badezimmer, Butter zu reichen, wäre sinnlos. Aber auch das menschliche Denken beinhalte beide Seiten: Ein sich selbst gesetztes Ziel muss mit der Außenwelt übereinstimmen und erreichbar sein. Sonst bleibt diese Zielsetzung ohne Verwirklichungsmöglichkeit. Diese zweiseitige Bedeutung nennt Millikan "Pushmi-pullyu"-Repräsentationen (PPRs).

Intentionen seien PPRs, aus diesem Grund seien sie keine konzeptionelle Wahrheit, sondern eine biologische und neurologische Wahrheit. Für Kleinkinder sei durch experimentelle Beobachtungen erwiesen, dass für sie sprachliche Beschreibungen (Deskriptionen) genauso wahr seien wie durch die Sinne Wahrgenommenes. In einem frühen Entwicklungsstadium sei sprachlich Wahrgenommenes genauso real wie durch Sinne Wahrgenommenes.

Eine Besonderheit der menschlichen Kommunikation seien "Thick Concepts" (Dichte Begriffe) wie Beleidigung, Dankbarkeit, Metaphern, Ironie, Sarkasmus. Diese ließen sich ausschließlich durch die situative Außenwelt, den Kontext ableiten. "Hals und Beinbruch" zu wünschen, funktioniert nur in einem Wunschkontext, nicht wörtlich genommen. Aus diesem Grund sind diese Sprachkonventionen anfällig für Missverständnisse: Entweder verwendet sie die Sprecher:in falsch, oder sie werden falsch aufgefasst.

Sprache sei aufgrund ihrer Konventionalität eine evolutionär stabile Lösung ("evolutionary stable solution"), die nicht leicht durch falschen Sprachgebrauch kompromittiert werden kann (Missverständnisse, falsches oder gar kein Verstehen) und es bedarf einer Kooperation der Sprecher:innen einer Sprache, um diese zu erweitern oder zu ändern (Bedeutungswandel, Sprachwandel, neue lexikale oder grammatische oder Aussprachenormen), was wiederum zu neuen Konventionen führen kann.

Aufgrund der Konventionalität ist es auch möglich, dass in stehenden Wendungen (Chunks) gesprochen werden kann, deren Einzelwortbedeutung nicht notwendig ist. Ein Beispiel funktioniert auch auf Deutsch: "nächste Woche", "nächstes Jahr" ist ohne Probleme verständlich, aber "nächsten Tag" statt "morgen" kaum bis nicht. "*Ich gehe nächsten Tag ins Kino."