Oertel-China

Janka Oertel leitet das Asien-Programm des European Council on Foreign Relations (ECFR) und hat vor kurzem ein Buch über China unter der Führung von Xi Jinping veröffentlicht.

Xi wurde im November 2012 Generalsekretär der Kommunistischen Partei Chinas und bereits im März 2013 war er Staatspräsident und Oberbefehlshaber der Streitkräfte. Deng Xiaoping hatte im Vergleich nie diese drei Ämter gleichzeitig inne.

Nach einem kurzen historischen Abriss über Maos Großen Sprung nach vorn sowie seine Kulturrevolution sieht Oertel in der Niederschlagung der Demonstrationen im Juni 1989 eine Zäsur. Die Demonstrationen waren die Folge von Preisliberalisierungen, Preiserhöhungen sowie hoher Korruption. Trotz Sanktionen im Militärbereich nahm die EU Ende 1990 normale wirtschaftliche und diplomatische Beziehungen auf, ab 1992 wurden Sonderwirtschaftszonen eingerichtet.

Abgesehen von Protesten in Hongkong waren die Proteste 2022/23 nach einem Feuerunfall in Urumqi, Xinjiang, bei der eine wegen eines totalen Corona-Lockdowns in ihre Wohnung eingesperrte Familie verbrannte, die ersten relevanten nach 1989. In vielen Städten protestierten Menschen mit weißen Schreibmaschinblättern. Obwohl China die Einfuhr von westlichen Impfstoffen verweigert, stellte Xi binnen zwei Wochen die Corona-Politik auf den Kopf: von der Null-Covid-Strategie zum Ende aller Corona-Maßnahmen.

Die Jahre unter Jang Zemin und Hu Jianto (1993 bis 2012) waren Jahre der Liberalisierung, der Gleichstellung von Privatunternehmen mit Staatsunternehmen, aber auch extremer Umweltverschmutzung wie Ausbeutung im Niedriglohnsektor.

Dass Xi einen anderen Weg fährt, wurde der Parteielite bewusst, als Zhou Yongkang, Mitglied des Ständigen Ausschusses des Politbüros, wegen Korruption angeklagt und zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt wurde. Ein seit Mao nicht mehr stattgefunden habendes Verfahren.

Xi stärkt wieder die Staatsunternehmen, auch wenn 2017 der Anteil am Bruttoinlandsprodukt von der Weltbank auf etwa 25 Prozent geschätzt wird. Staatsmonopole sind Unternehmen im Bereich Energie, Infrastruktur, Bergbau, Schiffs- und Bahnverkehr. Unternehmen wie COSCO, State Grid oder CRRC haben mittlerweile eine weltweite Bedeutung wie Siemens oder Airbus erlangt.

Bezüglich Binnenwirtschaft setzt Xi auf Erhöhung des Konsumanteils. 2016 lag dieser in Bezug auf das BIP bei 40 Prozent (in den USA bei 70 Prozent, in Deutschland bei 50 Prozent). Da es sehr wenig soziale Absicherung, kaum eine Altersversorgung und wenn sehr teuer gibt, ist die Sparquote in China eine der größten weltweit. Xi will dies aufbrechen und steht für die Förderung von Privatkrediten. Der Kontext jedoch ist, dass immer noch etwa 50 Prozent der chinesischen Bevölkerung weniger als 10 US-Dollar pro Tag zur Verfügung haben. 2023 protestierten in Wuhan Rentner:innen nach Kürzungen im Gesundheitssystem.

Um die heimische Produktion zu schützen, sind ausländische Unternehmen vom Bergbau (inkl. Seltener Erden), dem Bau von zivilen Flughäfen, der Energieversorgung, der Filmproduktion wie dem Filmverleih ausgeschlossen. Hintergrund ist eine Made in China 2025-Strategie aus dem Jahr 2015 (wohl sowas wie "Make America Great Again" von Trump - eine Kopie?). Xi möchte die Welt von China abhängiger machen und im Bereich von 5G und Windkraftanlagen ist dies bereits beeindruckend gelungen. Mit Natrium-Ionen-Batterien könnte China der Durchbruch weg von Lithium-Ionen-Batterien gelungen sein. Wirtschaftlich dominiert China bereits den Markt für Batterien und Fotovoltaik. Elektrofahrzeuge könnten folgen. Aber nicht alles kann ersetzt werden, dazu zählen die Halbleiter-Technologie und der internationale Finanzmarkt.

Die Diversifizierung des Energieimports, die auch heute noch beobachtbar ist, gründet laut Oertel auf dem Ziel, im Falle einer US-Blockade zentraler Seewege nicht von wichtigen Rohstofflieferungen ausgeschlossen zu sein. Auch beim Waffenimport soll diversifiziert werden. Seit der Krim-Annexion 2014 verkauft Russland auch die modernsten Systeme an China (Su-35, S-400 Boden-Luft-Raketensysteme).

Seit 2017 unterhält China in Dschibuti am Horn von Afrika ihre erste Militärbasis außerhalb von China. Der Ort ist von strategischer Bedeutung, außerdem sind in diesem Gebiet auch Militärstützpunkte der USA, Japans, Frankreichs, Italiens. Auch ein guter Ort zur Spionage. Seit 2021 unterhält China im ehemaligen Gebiet der Sowjetunion eine Militärbasis, in Tadschikistan an der Grenze zu Afghanistan. Als Rüstungsexporteur liegt China nach den USA, Russland und Frankreich an vierter Stelle.

Dass politisch nicht an eine Demokratisierung gedacht wird, zeigt eine skurrile Passage aus der gemeinsamen Erklärung Russlands und Chinas vom 4. Februar 2022: "Das Recht zu beurteilen, ob ein Staat demokratisch ist, hat nur sein Volk." (Zitat der Dokumentation auf slub.qucosa.de). Universal gültige Richtlinien gibt es nicht. Oertel übersetzt noch radikaler: "Es ist allein Sache des Volkes eines Landes, zu entscheiden, ob sein Staat ein demokratischer Staat ist."

Für China heißt dies, es gibt zwar Beratung, aber keine Gewaltenteilung, keine unabhängigen Gerichte, keine Mitbestimmung. Der Rechtsstaat stehe nicht über, sondern unter der Partei. Auch ist die Überwachung enorm. Auf 1000 Einwohner kommen 370 Überwachungskameras (in London 13), Bewegungsprofile werden erstellt, Chat- und Suchverläufe gespeichert, DNA-Datenbanken angelegt, Stimmproben gesammelt.

Nachdem die Neue Seidenstraße heimlich wieder eingestellt wurde, versucht China es nun mit der Globalen Entwicklungsinitiative (GDI), der sich bereits etwa 50 Staaten angeschlossen haben. Themen sind "Armutsbekämpfung, Ernährungssicherheit, globale Gesundheit, Entwicklungsfinanzierung, Klimawandel und grüne Entwicklung, Industrialisierung, aber auch Fragen der digitalen Wirtschaft und Konnektivität". Ende der Zehnerjahre ist versucht worden, in wichtigen UNO-Organisationen wie der WHO, FAO, ITU, ICAO und UNIDO den Vorsitz zu erlangen. Seit 2022 hat China keinen mehr inne (2020 waren es vier).

Abschließend umreißt Oertel Chinas Politik unter Xi mit folgenden Zielen:

  • Wirtschaftliche Dominanz
  • Konflikt mit Europa wird im Wettstreit mit den USA in Kauf genommen
  • Chinas Militär strebt nach globaler Macht
  • Drohgebärden gegen Taiwan werden stärker
  • China wird Mitbewerber bei grünen Technologien
  • Internationale Regeln und Abkommen werden zu den eigenen Gunsten verschoben


Der letzte Punkt erschwere die Zusammenarbeit mit China und Oertel tritt für signifikante Sanktionsmechanismen bei Vertragsbruch ein, aber auch für Anreizstrukturen, damit China Regeln einhält.