Kafka-Blumfeld

Dieses Fragment einer Erzählung verfasste Kafka 1915, wurde aber erst nach seinem Tod veröffentlicht. Eigentlich ist sie mehr eine Skizze mit surrealen, aber auch sehr realen Elementen, die den Versuch darstellen, durch äußere Ereignisse in die Psyche eines Menschen vorzudringen. Inwiefern in Blumfeld auch Kafka selbst zu sehen ist, bleibt offen.

Blumfeld lebt alleine im sechsten Stock eines liftlosen Hauses und sein Haushalt wird von einer im selben Haus wohnenden älteren, verwachsenen Bedienerin besorgt. Seit 20 Jahren arbeitet Blumfeld in der Verrechnungsabteilung einer Wäschefabrik und jeden Abend ist sein Ritual, eine Pfeife zu rauchen und Kirschschnaps zu trinken. Manchmal überlegt er, sich einen Hund anzuschaffen, doch die Vorteile (die Anhänglichkeit, das zutrauliche Bellen) überwiegen nicht die Nachteile (das für den Reinlichkeitsfanatiker Blumfeld unerträgliche Schmutzen oder im schließlich alten und kränklichen Hund sein eigenes gebrechliches Alter gespiegelt zu sehen).

Eines Abends kommt Blumfeld nach Hause und wird von zwei kleinen springenden Zelluloidbällen (sowas wie Tischtennisbällen) empfangen. Wie sie in die Wohnung gekommen sind, ist ebenso unerklärlich wie ihr andauerndes Hüpfen, mit dem sie Blumfeld verfolgen. Nach einer Nacht unter dem Bett hüpfen sie am Morgen hinter Blumfeld weiter, dem es schlie0lich gelingt, mit Hilfe eines Täuschungsmanövers die Bälle in einen Kasten zu sperren. Er verspricht die Bälle dem ebenso verwachsenen Sohn der Bedienerin zu schenken und zwei Mädchen versprechen dem Begriffstutzigen, die Bälle aus dem Kasten zu holen. Blumfeld gibt ihnen die Wohnungsschlüssel und geht zur Arbeit. Von den Bällen lesen wir nichts mehr.

Die Arbeit wird als mühsam beschrieben. Blumfeld fühlt sich vom Besitzer der Firma nicht unterstützt, sondern in seiner Arbeit unterschätzt. Er ist für die Abrechnung von mehr als 50 Heimarbeiterinnen zuständig und nach langer Zeit werden ihm zwei Praktikanten zugewiesen, die für ihn nur Kinder sind und nicht die Arbeit im Kopf haben. Die wieseln um ihn herum, flirten mit den Arbeiterinnen, würden lieber den Boden kehren als kaufmännische Arbeiten erledigen. Bei einem Streit zwischen den beiden Praktikanten und einem Hausdiener um einen Besen zeigt sich, dass Blumfeld den beiden Praktikanten gegenüber genaus so unbeholfen ist wie bei den beiden Bällen.

Damit endet die Geschichte. Zu lesen ist sie wohl als Psychogramm eines Mannes um die 40 (schätze ich mal), der unfähig ist, sich gegenüber seiner Umwelt durchzusetzen und nur darauf wartet, dass eine Autoritätsperson (ein Über-Ich) ihn unterstützt. Denn erst dann würde er auch von den anderen, auch unter ihm stehenden Menschen gebührlich behandelt werden. Es gibt sogar Deutungsansätze, welche die beiden Bälle als weibliche Brüste interpretieren und so die großen Schwierigkeiten Blumfelds mit Frauen repräsentieren. Das große Problem, mit Kindern umgehen zu können, kann durchaus auch auf die Angst, eine Familie zu gründen, hinweisen. Es wäre nicht der erste Versuch Kafkas, sich selbst und seinen Gefühlen in einer fantastischen Welt Ausdruck zu verleihen (siehe Die Verwandlung). Bei dieser Geschichte könnte er jedoch den Faden verloren und sie absichtlich nicht weitergeführt haben.

Und ob Kafka Euthanasie-Ideen nachgegangen ist? Folgender Satz wirft ein eigenartiges Licht auf Blumfeld.
Blumfeld begreift es nicht, warum solche Menschen wie die Bedienerin auf der Welt gedeihen und sich fortpflanzen.
Trivia: Die Hamburger Band Blumfeld nannte sich nach der Hauptfigur dieser Erzählung.