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Alexander Dumas - Die drei Musketiere
23.02.2023 um 00:25Mit diesem 1844 veröffentlichten Roman werden vielleicht Kindheitserinnerungen oder Degen-und-Mantel-Filme in Verbindung gebracht, aber hinter der heiteren Maske versteckt sich die brutale Welt Frankreichs unter Ludwig XIII. und seinem Regierungschef Richelieu, die hier um das Jahr 1628 vorgestellt wird. Es ist nicht nur eine Welt der Intrigen, es ist eine Welt, in der ohne Folgen gemordet werden kann, solange eine höherrangige Person die schützende Hand über eine oder einen legt. Wegen Kleinigkeiten werden Degenduelle ausgetragen, oftmals tödlich. Männer werden niedergemetzelt, Menschen werden erstochen, erschlagen, erschossen, vergiftet, gelyncht. Frauen wird der Hof gemacht, und wenn deren Männer einer Liebesaffäre im Weg stehen, kann es schon mal passieren, dass nachgeholfen wird, damit sie in der Bastille landen.
Wie wenig Menschenleben bzw. die körperliche Unversehrtheit Wert sind, wenn anscheinend Dringenderes zu erledigen ist, zeigt eine Raserei auf Pferd in London, und hier ist nicht ein "Böser" am Werk, sondern ein "Guter", Lord Buckingham:
... er verfolgte seinen Weg mit aller Hast und kümmerte sich nicht darum, ob er die Leute auf der Straße niederritt. In der Tat hatten sich auf diesem Ritt durch die Stadt mehrere Unfälle ereignet, allein Buckingham wandte nicht einmal den Kopf, um zu sehen, was mit denen geschah, die er niedergerannt hatte.Über die Machtwillkür von Gutsherrn äußert Athos dies, wie ein guter adeliger Freund mit einem sechzehnjährigen Mädchen hätte verfahren können:
Mein Freund, der Gutsherr war, hätte sie nach Belieben verführen oder gewaltsam fortschleppen können, denn er war der Gebieter; und wer hätte zwei Fremden, zwei Unbekannten Hilfe geleistet?Den Inhalt des Romans über die drei Musketiere Athos, Porthos und Aramis sowie den jungen Aspiranten D'Artagnan, der schließlich von Richelieu in den Leutnantsrang der Musketiere (der Garde des Königs) erhoben wird, will ich nicht wiedergeben, dies kann Wikipedia besser.
Immer wieder sind im Roman Passagen oder Erzählerkommentare eingestreut, welche betonen, wie sehr die Moralvorstellungen des frühen 17. Jahrhunderts den zeitgenössischen entfernt sind. So ist auch nicht eindeutig, ob nachdenkliche Reflexionen nur D'Artagnan zuzuschreiben sind oder doch nicht Dumas, wie diese hier über den Krieg:
[D'Artagnan] seufzte über das seltsame Schicksal der Menschen, vermöge dessen sie sich einander im Interesse von Leuten vernichten, die ihnen fremd sind, und von denen sie oft nicht einmal wissen, daß sie existieren.Beinahe schon skurril im Wandel von einem tödlichen Duell zu einer Freundschaft, die bis zum Ende des Romans anhält, mutet diese Beschreibung an:
Nach dem Austausch der Formalitäten ging man sofort zum Kampf über, der nach ungefähr zwanzig Minuten für die Engländer ausnahmslos mit Niederlagen beendet war. Athos' Gegner war durch einen Herzstoß getötet, der von Porthos kam mit einem Schenkelstich davon, wie der Copugnator Aramis' nach einem schweren Armhieb, den Kampf aufgebend. Lord Winter, d'Artagnans Gegner, mußte es sich gefallen lassen, daß ihm der Degen aus der Hand geschlagen wurde, wonach der Sieger die Spitze des seinen ihm auf die Brust setzte und sagte: »Ich töte Sie nicht, Ihrer Schwester zuliebe.« Die fünf Kavaliere reichten sich nunmehr kameradschaftlich die Hände und fanden gutes Einvernehmen.Lord Winter wird am Ende der Gute sein und seine Schwägerin (er nennt sie Schwester) mit den Musketieren lynchen. Seine Schwägerin lebte in Doppelehe mit Athos und mit dem Bruder von Lord Winter, den sie ermordete (nicht die einzige Person, die sie tötete oder töten ließ), gleichzeitig war sie Agentin für Richelieu, der sie für dreckige Aufgaben nutzte: einen Keil zwischen Ludwig XIII. und seiner Frau Anna zu treiben oder Lord Buckingham zu ermorden, da er aufständische Puritaner (Hugenotten) in La Rochelle militärisch unterstützte.
Die Belagerung von La Rochelle war ein reales Ereignis und den königstreuen Truppen gelang es, die Hafenstadt auch vom Meer abzuriegeln, sodass keine Möglichkeit mehr war, sie aus England zu unterstützen. Für die Mobilisierung der englischen Flotte war Lord Buckingham, ein Vertrauter der französischen Königin, verantwortlich. Im Roman hat Lady Winter den Auftrag, ihn ermorden zu lassen, damit die Flotte nicht mobilisiert werden kann. D'Artagnan hat den Auftrag von der Königin, diesen Mord zu verhindern. Es klappt nicht ganz. Obwohl von ihrem Schwager gefangen und in seinem Schloss festgesetzt, kann sie ihren Wächter, einen überzeugten Puritaner, durch Verführung und Lügengeschichten dazu bringen, Lord Buckingham zu erstechen (Felton ist eine reale Person, er hat ihn wirklich ermordet).
Die Belagerung in La Rochelle hat nicht nur ein militärisches Ziel, sondern es soll auch die Bevölkerung ausgehungert werden. Dumas schildert, wie innerhalb der Stadtmauern die Soldaten noch einigermaßen versorgt werden, dafür Kinder, Frauen, Alte sterben.
[Der Kardinal] fuhr fort in dem Bau des furchtbaren Dammes, der La Rochelle aushungern sollte. Als Heinrich IV. Paris belagerte, ließ er Brot und Lebensmittel über die Stadtmauer werfen. Der Kardinal aber ließ kleine Briefchen hinüber werfen, worin er den Rochellern vorstellte, wie ungerecht, selbstsüchtig und grausam das Verfahren ihrer Häupter sei. Diese Häupter hatten Getreide in Menge und verteilten dasselbe nicht. Ihr Grundsatz war - denn sie hatten Grundsätze - es liege wenig daran, ob die Weiber, Kinder und Greise umkommen, wenn nur die Männer, welche die Mauern zu verteidigen hatten, gesund und stark verbleiben.Das Ziel Richelieus ist offenkundig: Es sollen alle verhungern. Historisch ist berichtet, dass während eines Wachezyklus etwa hundert Wachesoldaten an Hunger gestorben sein sollen. Dumas bringt in diesem kurzen Absatz beides zur Sprache: die brutale Aushungerung der Stadt und das Aufhetzen der hungernden Belagerten gegeneinander.
Sehr gewöhungsbedürftig ist auch das christliche Vergebungsritual, als Lady Winter von den Musketieren und ihrem Schwager mit Hilfe eines echten Berufshenkers, dessen Bruder sie auf dem Gewissen hat, gelyncht wird. Die Taten werden vergeben, der Seele eine friedliche Totenruhe gewünscht. So sagt ihr Schwager Lord Winter:
»Ich verzeihe Euch die Vergiftung meines Bruder. Die Ermordung Sr. Herrlichkeit des Lord von Buckingham, ich verzeihe Euch den Tod des armen Felton, und verzeihe Euch das, was Ihr mir selber anzutun im Sinne gehabt. Sterbet in Frieden!«Also definitiv keine Unterhaltungslektüre, und mit den vielen Figuren in verschiedensten Szenen durchaus auch verwirrend. Gelesen habe ich die Übersetzung von Georg Karl Lehmann (1928), die beim Projekt Gutenberg auch online verfügbar ist.