EnyaVanBran
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Sari und Amadé
21.02.2023 um 18:43Sari und Amadé
Von EnyaVanBran & -joleen-
Sari
Das Leben besteht aus einer Abfolge von Ereignissen, die schön aber auch hässlich sein können. Mir hat es bis zu jenem Tag immer die Hässlichen vor die Füße gespuckt und ich musste sehen, wie ich damit zurechtkomme. Wen also wundert es, dass es mich immer und immer wieder zu jenem Felsen gezogen hat, den die Menschen den Todesfelsen nennen? Ein Abgrund, tief und schier unendlich, doch mit einem Ausblick über das Land, der schöner nicht sein könnte. Und dennoch taten Menschen immer diesen letzten Schritt, ließen sich fallen und setzen dem, was manche Leben nennen würden, sie selber jedoch als unendliche Qual betrachteten, ein Ende.
Fünf Mal war ich schon da. Fünf Mal stand ich am Abgrund, blickte über das Land unter mir und versuchte das kleine bisschen Hoffnung, welches in der hintersten Ecke meines Herzens langsam zu verglühen schien, zu ignorieren. Da ist doch nichts als Kummer und Schmerz, rief ich dem Glühen zu. Niemand, der es wert wäre, weiter zu leben, nichts, worauf man sich freuen kann, nur Angst und Dunkelheit. Und dennoch wollte die Hoffnung nicht verschwinden. Leise flüsterte sie mir zu, Geduld zu haben, stark zu sein, denn da wo Dunkelheit ist, gibt es immer auch Licht. Oft versteckt es sich oder benötigt eine lange Zeit um emporzukommen, doch es wird kommen. Also machte ich fünf Mal einen Schritt zurück statt nach vorne. Meistens weinte ich, weil ich mich für meine eigene Schwäche und Feigheit schämte. Und jedes Mal, wenn ich eine halbe Stunde später die Eingangstüre hinter mir abschloss, wurde mein Leben wieder zu dieser bleischweren, schwarzen Masse, die mich versuchte, zu Boden zu drücken und mir schier die Luft zum atmen nahm. Wo war sie dann, die Hoffnung, die mir zuvor noch versprochen hatte, dass alles gut wird? Fort war sie, als wäre sie nie da gewesen.
An jenem Tag, als das Kätzchen starb, welches irgendwann einmal vor meiner Türe gesessen hatte und welches der letzte Anker in dieser Welt für mich gewesen war, machte ich mich ein sechstes Mal auf den Weg zum Todesfelsen.
Wie immer ging ich den schmalen Pfad, der von Süden her an dem niederen Ginster und den wilden Himbeersträuchern vorbei nach oben führt, sehr langsam und mit Bedacht. So lächerlich es klingt, doch ich wollte mich auf meinem letzten Weg nicht verletzen, mir nicht den Knöchel an einer der Wurzeln verstauchen, die sich quer über den Weg schlängeln. Es war Abend, der Wind flüsterte im Laub der Bäume rings herum und die Vögel sangen mir zum Abschied ihre schönsten Lieder. Dieses Mal würde es passieren. Ich spürte, dass etwas anders war, als die fünf Mal davor. Da war dieses Gefühl von Endgültigkeit, das Wissen, am Ziel angekommen zu sein. Mit jedem Schritt, den ich tat, wurde ich stärker und zum ersten Mal seit unendlich langer Zeit lächelte ich.
Umso erstaunter war ich, ja eigentlich schon richtig erschrocken, als ich oben angekommen einen Mann erblickte. Mein Herz setzte für einen Schlag aus und ich wäre beinahe gestolpert. Er hatte mich noch nicht gesehen und für einen Lidschlag überlegte ich, wieder umzukehren. Nein, nicht heute. So blieb ich stehen und betrachtete ihn. Er war kaum älter als ich, Ende Zwanzig, Anfang Dreißig. Er war recht groß und schlank, sein blondes Haar war vielleicht eine Spur zu lang, doch mir gefiel, wie die untergehende Sonne seine Locken Orangerot färbte. Seine Augen konnte ich nicht wirklich sehen, da er den Blick in die Ferne gerichtet hatte, als würde er den Himmel studieren, der mittlerweile aussah, als würde er verglühen. Und dennoch spürte ich, dass er nicht wegen der schönen Aussicht hierhergekommen war. Die Traurigkeit, die von ihm ausging, war fast mit Händen zu greifen. Was sollte ich tun? Mich zurückziehen, um ihm diesen letzten Moment nicht zu zerstören und ihn in Ruhe und Frieden gehen lassen? Oder ihn ansprechen? Doch was sagt man zu einem Menschen, der sich in wenigen Momenten das Leben nehmen würde und man eigentlich hier war, um dasselbe zu tun? Da wandte er sich um und sah mich an. Wieder setzte mein Herz einen Schlag aus und ich sog erschrocken die Luft ein. Da stand er, kaum fünf Meter von mir entfernt und blickte mich stumm an. Wenn er sich über mein Erscheinen ebenfalls erschrocken hatte, so zeigte er es nicht. Seine Mine blieb völlig ausdruckslos. Ich wollte schon umkehren, da streckte er plötzlich die Hand aus. Eine stumme Aufforderung, diesen letzten Schritt mit ihm gemeinsam zu gehen. Eigentlich eine tröstliche Vorstellung, diese letzten Augenblicke auf Erden nicht alleine sein zu müssen, selbst wenn der Mensch an meiner Seite ein Fremder war. Wahrscheinlich dachte er genauso und da ich ja ohnehin nichts mehr zu verlieren hatte, ging ich auf ihn zu.
Für einen kurzen Moment registrierte ich seine Finger. Sie waren lang und schienen gepflegt zu sein. Ich streckte also langsam meine Hand der seinen entgegen. Ein Kribbeln erfasste meinen gesamten Körper, als meine Finger die seinen berührten. Sie waren warm, im Gegensatz zu meinen und sie fühlten sich ein wenig rau an. Dennoch gaben sie mir diesen festen Halt, den ich im Leben bisher nie gefunden hatte. Jetzt konnte ich auch seine Augen sehen. Sie waren groß und von einem wunderschönen, hellen Blau. Über dem rechten Auge verlief eine Narbe, die sich weit hinunterzog, wehalb das Lid ein wenig tiefer hing als das andere. Viele hätten dies als Makel gesehen. Das hängende Lid und dass seine Nase ein ganz klein wenig schief war. Doch für mich machten diese kleinen Fehler sein Gesicht erst richtig schön, denn sie verliehen ihm Einzigartigkeit und Charakter. Und plötzlich lächelte er. Sein Mund war perfekt, die Lippen nicht zu voll und dennoch wirkten sie weich und irgendwie sinnlich. Da merkte ich, dass ich auch lächelte. Das ich schon die ganze Zeit lächelte. Doch warum? Ich hatte noch nie viel für andere Menschen übrig gehabt doch dieser Mann erweckte in mir ein völlig neues Gefühl, welches ich bis dahin noch nicht gekannt hatte. Er nahm meine zweite Hand und zog mich näher an sich heran. Noch immer hatte keiner von uns ein Wort gesprochen. Wir standen einfach nur da, Hand in Hand, ganz nah und sahen einander in die Augen. Da neigte er langsam seinen Kopf, nicht viel, und beugte er sich schließlich zu mir herab. Das Universum schien die Zeit angehalten zu haben und mit ihr das gesamte Leben ringsherum. Es gab nur noch ihn und mich. Tief in mir war es, als würde sich ein Sturm zusammenbrauen. Meine Knie wurden etwas weich und ich schloss meine Finger fester um seine, um den Halt nicht zu verlieren. Näher und näher kamen sich unsere Lippen und als sie sich endlich berührten, schien mein Körper schier zu explodieren. Mein Herz schlug viel zu schnell und pumpte mein kochendes Blut in heftigen Stößen durch meine Adern. Es war natürlich nicht mein erster Kuss, doch nie zuvor hatte eine Berührung fremder Lippen diese Dinge in mir ausgelöst. Es fühlte sich an wie ein stechender Schmerz nur war er wunderschön und erfüllte mich durch und durch mit Glückseligkeit. Da spürte ich seine Zunge, die vorsichtig nach meiner suchte, dabei kurz meine Lippen streifte und schließlich in sanften Bewegungen damit zu spielen begann. Und noch einmal explodierten all meine Sinne. Mein Atem wurde etwas schneller und ich spürte, wie seine Finger sich jetzt fest mit den meinen verknoteten. Er schmeckte nach Kaffee und einem Hauch Schokolade und plötzlich wusste ich, dass ich auch ein sechstes Mal nicht springen würde, doch dieses Mal hatte ich einen guten Grund, am Leben zu bleiben.
Ich weiß nicht, wie lange unser Kuss gedauert hat. Eine Minute? Zehn? Wir hatten uns beide völlig darin verloren, doch als wir uns langsam und vorsichtig voneinander lösten, wussten wir, dass von nun an alles anders sein würde.
Fünfundvierzig Jahre ist es nun her. Fünfundvierzig Jahre bin ich nicht mehr hier gewesen, habe das Leben an der Seite dieses Mannes verbracht und jede Sekunde davon genossen. Wenn man, so wie wir eigentlich mit allem abgeschlossen hat, weiß man jeden einzelnen Moment, den man in Glück zu Zufriedenheit gemeinsam verbringen kann, sehr zu schätzen. Er hat mich nie enttäuscht, war mir Freund und Geliebter, war mein Halt und der Mittelpunkt meines Universums. Alleine durch seine Anwesenheit war mein Leben stets erfüllt von Glück und Zufriedenheit und in seinen Armen habe ich jedes Mal aufs neue gelernt, dass Liebe und Lust untrennbar miteinander verbunden sind.
Gestern früh hat er mich verlassen. Einfach so. So schnell, wie er damals in mein Leben getreten war, ist er wieder daraus verschwunden. Die Traurigkeit überwältigt mich dermaßen, dass ich nicht einmal in der Lage bin, zu weinen. Jetzt wo er weg ist, ist die Dunkelheit zurückgekehrt. Doch dieses Mal ist es anders. Denn heute bin ich eine alte Frau und nun, da ich das siebtente Mal am Abgrund stehe, gibt es auch diesen Hoffnungsschimmer nicht mehr, der mir früher das Leben gerettet hat. Heute weiß ich, dass ER der Grund war, warum ich stets gezögert habe und wieder nach Hause gegangen bin. Doch nun ist er fort, mein Zuhause leer und fremd und ich weiß, dass er nicht wiederkommen wird. Darum fällt es mir heute leicht. Wie damals taucht auch heute die untergehende Sonne den Himmel in die wunderschönsten Rosa- und Orangetöne. Und wie damals singen die Vögel ihr schönstes Lied. Ich schließe für einen kurzen Moment die Augen, dann hole ich tief Luft und mache meinen vorletzten Schritt, dann den letzten.
„Adieu Welt. Ich komme nun endlich heim.“
Amadé
‚Atme, Atme, Atme! Deine Gedanken sind falsch, sie machen dir was vor, nichts von alledem ist wahr.‘
Diese Worte gingen mir in einer Endlosschleife durch den Kopf, doch ich konnte mich nicht davon lösen, oder wollte nicht glauben, dass es auch anders sein kann. Wenn ich in meiner Traumwelt bin, sehe ich die Welt mit anderen Augen. Eine glückliche Welt, zufrieden, farbenfroh und voller Zuneigung gegenüber meinen Mitmenschen. Dort verstehen sie mich, zweifeln nicht an mir, sehen nicht den Mann, der immer nur kämpft und traurig ist. Sie sehen Stärke in mir, gönnen mir meinen Erfolg und sind immer da. Aber sobald ich erwache, merke ich, dass dies alles nur Wunschdenken ist, dann erkenne ich die Realität, denn da gibt es niemanden. Kein Mensch, der mich je verstanden hat oder es auch nur ansatzweise versucht hat. Man hört oft den Satz ‚Würdest du für mich sterben?‘ Ich würde gerne den Satz hören ‚Würdest du für mich leben?‘ Und so gerne würde ich ihn einer Person mit ja beantworten. Aber noch nie gab es diese Person, die mir wirklich so wichtig war, dass ich alles für sie aufgegeben hätte. Früher hatte ich mir nie Gedanken darüber gemacht, was andere von mir halten könnten. Doch mittlerweile sah das anders aus, meine Welt war zerbrochen und die Teile im ganzen Universum verteilt. Und selbst wenn man alle Teile findet und sie wieder zusammenklebt, sieht man weiterhin die Risse, sie verschwinden nicht, sondern hinterlassen Narben.
Lange habe ich darüber nachgedacht, mir eine Liste gemacht und abgewägt was richtig und was falsch ist. Doch gibt es eine klare Antwort darauf? Schon einige Male war ich auf dem Weg zu einem Felsen, die Menschen nannten ihn den ‚Todesfelsen‘, denn viele Menschen sind dort bereits in die Tiefe gegangen. Wieso ich gegangen und nicht gestürzt sage? Sie tun es freiwillig. Gehen von all den Qualen weg, suchen nach Frieden, Frieden mit sich selbst; so wie auch ich.
Noch nie habe ich es bis ganz nach oben geschafft, doch heute fühlte ich mich bereit. Ich ging den schmalen Pfad entlang, er war bewachsen mit Ginster und Himbeersträuchern. Es sah so friedlich aus und heute kamen mir keine Zweifel und so kam ich oben an. Der Ausblick hier, von wo aus man hinunter ins Land sehen konnte, war einfach atemberaubend, ich musste überlegen, ob ich je etwas schöneres gesehen hatte. Diese schiere unendliche Weite, der Sonnenuntergang, der das ganze Land in einem warmen Ton erstrahlen ließ. Waren dies die letzten Bilder, die ich sah? Wenn ja, so könnte man sich keine schöneren für seinen letzten Augenblick vorstellen. Ich musste schlucken und wischte mir mit einem Finger eine kleine Träne weg. Sie kam natürlich, weil ich traurig war, aber auch weil ich erleichtert war, darüber, es endlich geschafft zu haben, hier zu stehen und mit den richtigen Gefühlen gehen zu können. Es war die letzten Jahre so schwer um mein Herz herum, kaum ein Tag konnte ich aushalten, ohne nicht immer wieder daran zu denken, dem ganzen ein Ende zu setzen. Denn wenn dies das Leben war, was mir vorherbestimmt wurde, dann will ich es nicht.
Meine Sinne wurden in der ruhigen Umgebung geschärft. Ich sah Vögel, die wild umherflogen, als würden sie im Winde tanzen. Der Wind wehte zart durch die Baumkronen, sodass man ein leises Rauschen hörte. Ein Knistern hinter mir, ein Tier? Ich wusste es nicht, war aber zu starr mich umzudrehen. Doch in meinen Gedanken versunken, bemerkte ich, wie das Knistern lauter wurde, es kam näher; Stille, war es stehengeblieben? Und da gelang es mir mich umzublicken.
Einen Moment war ich innerlich geschockt. Da stand eine junge Frau. War sie auch hier, um zu gehen? Es erschien mir falsch sie danach zu fragen, also sah ich sie weiter wortlos an. Ihr dunkelbraunes, leicht gelocktes Haar, welches ihr bis knapp unter die Schulter ging, wehte ihr leicht ins Gesicht. Ihre Augen waren ebenfalls dunkelbraun, aber man sah, dass sie geweint hat. Und da war es mir klar, ja, sie ist aus dem selbigen Grund hier wie ich. Doch was nun? Wie sollte ich reagieren, sollte ich was sagen? Doch dann machte sie eine kleine Bewegung und es sah aus, als wolle sie wieder gehen. Intuitiv streckte ich ihr meine Hand entgegen, ich kann nicht sagen, warum ich dies tat, aber einmal im Leben in einer schwierigen Situation nicht allein zu sein, empfand ich erleichternd. Sie zögerte einen kurzen Augenblick und kam dann langsam auf mich zu, streckte mir ihre Hand entgegen und so griff ich nach ihr. Sie hatte kleine, sehr zarte Hände, und obwohl sie kalt waren, löste diese Berührung eine wohlige Wärme in mir aus. So standen wir uns ganz nah gegenüber, ihre Augen hatten so eine starke Tiefe, dass ich mich sofort darin verlor und mir so viele Fragen in den Sinn kamen. Wer war sie? Wieso war sie so traurig? Und wieso verzaubert sie mich direkt so sehr, dass ich bereits vergaß, weshalb ich hier war?
Kein Wort verlor unsere Lippen, wir standen einfach nur da und sahen uns tief in die Augen. Was um uns herum geschah, war nebensächlich. Die Welt hätte untergehen können, ich hätte es nicht bemerkt. Und wenn, so wäre ich in diesem Augenblick glücklich gegangen. Und so passierte es wie von allein, dass ich sie anlächelte. Sie musterte mein Gesicht und wenige Augenblicke später, lächelte sie auch. An ihren Wangen zeichneten sich kleine Grübchen ab, ihre Augen begannen zu funkeln und ich war so verzaubert, dass dieser Moment ewig hätte andauern können. War dies ein Zeichen, war sie die Person, für die es sich lohnte zu leben? Und ehe ich mir selbst darauf eine Antwort geben konnte, nahm ich auch ihre andere Hand, zog sie näher und beugte mich langsam zu ihr hinab. Wie in Zeitlupe näherten sich unsere Gesichter, tiefer und tiefer verschwand ich in ihrem Blick, ihre Augen zogen mich in eine andere Welt. Darin dachte ich nicht mehr daran sie zu verlassen, sondern malte mir aus, wie es sei, sie mit ihr zu verbringen, die Zeit, bis das Leben von selbst entschied zu gehen. Mein Herzschlag beschleunigte sich, ebenfalls mein Atem und als sich unsere Lippen ganz zart trafen, war es geschehen; die Zeit blieb stehen, wie so oft. Doch dieses Mal nicht durch negative Gedanken, sondern vor Glück und Zufriedenheit. Noch nie habe ich mich so frei und lebendig gefühlt, noch nie gab es einen Moment, der mir sagte dass es sich lohnt zu bleiben. Doch jetzt war er da! Ganz behutsam tastete ich mich mit meiner Zunge voran, traf auf ihre Lippen und wartete auf ihre Reaktion als sie sich trafen und zart umspielten. Meine Hände verkeilten sich mit ihren, ich wollte sie nie mehr loslassen. Und so dauerte unser Kuss an, jegliches Zeitgefühl war mir verloren gegangen, aber eines war mir in diesem Augenblick klar; für diese Frau möchte ich leben.
Wir hatten wundervolle Fünfundvierzig gemeinsame Jahre. In dieser Zeit machte ich mir nie wieder Gedanken über den Felsen und seine eigentliche Bedeutung, denn mir brachte er das Glück meines Lebens; Sari. Wir haben viele tolle Dinge erlebt, waren auf Reisen, sind ausgegangen, haben das Leben genossen, das, wonach wir uns so lange gesehnt hatten. Wenn man eigentlich schon mit seinem Dasein abgeschlossen hat, nimmt man die kleineren Erlebnisse viel intensiver wahr. Wir hatten nie einen großen Streit, haben den anderen geachtet und bedingungslos geliebt.
Doch nun bin ich auf der anderen Seite, ohne meine geliebte Sari und nun schaue ich auf sie, wie sie dort steht, so voller Traurigkeit, dort, wo unser Schicksal einst seinen Lauf nahm, am Felsen. Sie schaut hinab, ihr Blick ist leer und ich weiß was sie gleich tun wird, sie wird den letzten Schritt gehen und zu mir kommen, damit wir weiterhin vereint sind. Und an ihrer Stelle, hätte ich genau dasselbe getan, denn ein Leben ohne sie wäre mir nie möglich gewesen.
Sie atmet noch einmal tief ein und da ist sie; wieder bei mir, wieder Eins!
© by EnyaVanBran
© by -joleen-
Von EnyaVanBran & -joleen-
Sari
Das Leben besteht aus einer Abfolge von Ereignissen, die schön aber auch hässlich sein können. Mir hat es bis zu jenem Tag immer die Hässlichen vor die Füße gespuckt und ich musste sehen, wie ich damit zurechtkomme. Wen also wundert es, dass es mich immer und immer wieder zu jenem Felsen gezogen hat, den die Menschen den Todesfelsen nennen? Ein Abgrund, tief und schier unendlich, doch mit einem Ausblick über das Land, der schöner nicht sein könnte. Und dennoch taten Menschen immer diesen letzten Schritt, ließen sich fallen und setzen dem, was manche Leben nennen würden, sie selber jedoch als unendliche Qual betrachteten, ein Ende.
Fünf Mal war ich schon da. Fünf Mal stand ich am Abgrund, blickte über das Land unter mir und versuchte das kleine bisschen Hoffnung, welches in der hintersten Ecke meines Herzens langsam zu verglühen schien, zu ignorieren. Da ist doch nichts als Kummer und Schmerz, rief ich dem Glühen zu. Niemand, der es wert wäre, weiter zu leben, nichts, worauf man sich freuen kann, nur Angst und Dunkelheit. Und dennoch wollte die Hoffnung nicht verschwinden. Leise flüsterte sie mir zu, Geduld zu haben, stark zu sein, denn da wo Dunkelheit ist, gibt es immer auch Licht. Oft versteckt es sich oder benötigt eine lange Zeit um emporzukommen, doch es wird kommen. Also machte ich fünf Mal einen Schritt zurück statt nach vorne. Meistens weinte ich, weil ich mich für meine eigene Schwäche und Feigheit schämte. Und jedes Mal, wenn ich eine halbe Stunde später die Eingangstüre hinter mir abschloss, wurde mein Leben wieder zu dieser bleischweren, schwarzen Masse, die mich versuchte, zu Boden zu drücken und mir schier die Luft zum atmen nahm. Wo war sie dann, die Hoffnung, die mir zuvor noch versprochen hatte, dass alles gut wird? Fort war sie, als wäre sie nie da gewesen.
An jenem Tag, als das Kätzchen starb, welches irgendwann einmal vor meiner Türe gesessen hatte und welches der letzte Anker in dieser Welt für mich gewesen war, machte ich mich ein sechstes Mal auf den Weg zum Todesfelsen.
Wie immer ging ich den schmalen Pfad, der von Süden her an dem niederen Ginster und den wilden Himbeersträuchern vorbei nach oben führt, sehr langsam und mit Bedacht. So lächerlich es klingt, doch ich wollte mich auf meinem letzten Weg nicht verletzen, mir nicht den Knöchel an einer der Wurzeln verstauchen, die sich quer über den Weg schlängeln. Es war Abend, der Wind flüsterte im Laub der Bäume rings herum und die Vögel sangen mir zum Abschied ihre schönsten Lieder. Dieses Mal würde es passieren. Ich spürte, dass etwas anders war, als die fünf Mal davor. Da war dieses Gefühl von Endgültigkeit, das Wissen, am Ziel angekommen zu sein. Mit jedem Schritt, den ich tat, wurde ich stärker und zum ersten Mal seit unendlich langer Zeit lächelte ich.
Umso erstaunter war ich, ja eigentlich schon richtig erschrocken, als ich oben angekommen einen Mann erblickte. Mein Herz setzte für einen Schlag aus und ich wäre beinahe gestolpert. Er hatte mich noch nicht gesehen und für einen Lidschlag überlegte ich, wieder umzukehren. Nein, nicht heute. So blieb ich stehen und betrachtete ihn. Er war kaum älter als ich, Ende Zwanzig, Anfang Dreißig. Er war recht groß und schlank, sein blondes Haar war vielleicht eine Spur zu lang, doch mir gefiel, wie die untergehende Sonne seine Locken Orangerot färbte. Seine Augen konnte ich nicht wirklich sehen, da er den Blick in die Ferne gerichtet hatte, als würde er den Himmel studieren, der mittlerweile aussah, als würde er verglühen. Und dennoch spürte ich, dass er nicht wegen der schönen Aussicht hierhergekommen war. Die Traurigkeit, die von ihm ausging, war fast mit Händen zu greifen. Was sollte ich tun? Mich zurückziehen, um ihm diesen letzten Moment nicht zu zerstören und ihn in Ruhe und Frieden gehen lassen? Oder ihn ansprechen? Doch was sagt man zu einem Menschen, der sich in wenigen Momenten das Leben nehmen würde und man eigentlich hier war, um dasselbe zu tun? Da wandte er sich um und sah mich an. Wieder setzte mein Herz einen Schlag aus und ich sog erschrocken die Luft ein. Da stand er, kaum fünf Meter von mir entfernt und blickte mich stumm an. Wenn er sich über mein Erscheinen ebenfalls erschrocken hatte, so zeigte er es nicht. Seine Mine blieb völlig ausdruckslos. Ich wollte schon umkehren, da streckte er plötzlich die Hand aus. Eine stumme Aufforderung, diesen letzten Schritt mit ihm gemeinsam zu gehen. Eigentlich eine tröstliche Vorstellung, diese letzten Augenblicke auf Erden nicht alleine sein zu müssen, selbst wenn der Mensch an meiner Seite ein Fremder war. Wahrscheinlich dachte er genauso und da ich ja ohnehin nichts mehr zu verlieren hatte, ging ich auf ihn zu.
Für einen kurzen Moment registrierte ich seine Finger. Sie waren lang und schienen gepflegt zu sein. Ich streckte also langsam meine Hand der seinen entgegen. Ein Kribbeln erfasste meinen gesamten Körper, als meine Finger die seinen berührten. Sie waren warm, im Gegensatz zu meinen und sie fühlten sich ein wenig rau an. Dennoch gaben sie mir diesen festen Halt, den ich im Leben bisher nie gefunden hatte. Jetzt konnte ich auch seine Augen sehen. Sie waren groß und von einem wunderschönen, hellen Blau. Über dem rechten Auge verlief eine Narbe, die sich weit hinunterzog, wehalb das Lid ein wenig tiefer hing als das andere. Viele hätten dies als Makel gesehen. Das hängende Lid und dass seine Nase ein ganz klein wenig schief war. Doch für mich machten diese kleinen Fehler sein Gesicht erst richtig schön, denn sie verliehen ihm Einzigartigkeit und Charakter. Und plötzlich lächelte er. Sein Mund war perfekt, die Lippen nicht zu voll und dennoch wirkten sie weich und irgendwie sinnlich. Da merkte ich, dass ich auch lächelte. Das ich schon die ganze Zeit lächelte. Doch warum? Ich hatte noch nie viel für andere Menschen übrig gehabt doch dieser Mann erweckte in mir ein völlig neues Gefühl, welches ich bis dahin noch nicht gekannt hatte. Er nahm meine zweite Hand und zog mich näher an sich heran. Noch immer hatte keiner von uns ein Wort gesprochen. Wir standen einfach nur da, Hand in Hand, ganz nah und sahen einander in die Augen. Da neigte er langsam seinen Kopf, nicht viel, und beugte er sich schließlich zu mir herab. Das Universum schien die Zeit angehalten zu haben und mit ihr das gesamte Leben ringsherum. Es gab nur noch ihn und mich. Tief in mir war es, als würde sich ein Sturm zusammenbrauen. Meine Knie wurden etwas weich und ich schloss meine Finger fester um seine, um den Halt nicht zu verlieren. Näher und näher kamen sich unsere Lippen und als sie sich endlich berührten, schien mein Körper schier zu explodieren. Mein Herz schlug viel zu schnell und pumpte mein kochendes Blut in heftigen Stößen durch meine Adern. Es war natürlich nicht mein erster Kuss, doch nie zuvor hatte eine Berührung fremder Lippen diese Dinge in mir ausgelöst. Es fühlte sich an wie ein stechender Schmerz nur war er wunderschön und erfüllte mich durch und durch mit Glückseligkeit. Da spürte ich seine Zunge, die vorsichtig nach meiner suchte, dabei kurz meine Lippen streifte und schließlich in sanften Bewegungen damit zu spielen begann. Und noch einmal explodierten all meine Sinne. Mein Atem wurde etwas schneller und ich spürte, wie seine Finger sich jetzt fest mit den meinen verknoteten. Er schmeckte nach Kaffee und einem Hauch Schokolade und plötzlich wusste ich, dass ich auch ein sechstes Mal nicht springen würde, doch dieses Mal hatte ich einen guten Grund, am Leben zu bleiben.
Ich weiß nicht, wie lange unser Kuss gedauert hat. Eine Minute? Zehn? Wir hatten uns beide völlig darin verloren, doch als wir uns langsam und vorsichtig voneinander lösten, wussten wir, dass von nun an alles anders sein würde.
Fünfundvierzig Jahre ist es nun her. Fünfundvierzig Jahre bin ich nicht mehr hier gewesen, habe das Leben an der Seite dieses Mannes verbracht und jede Sekunde davon genossen. Wenn man, so wie wir eigentlich mit allem abgeschlossen hat, weiß man jeden einzelnen Moment, den man in Glück zu Zufriedenheit gemeinsam verbringen kann, sehr zu schätzen. Er hat mich nie enttäuscht, war mir Freund und Geliebter, war mein Halt und der Mittelpunkt meines Universums. Alleine durch seine Anwesenheit war mein Leben stets erfüllt von Glück und Zufriedenheit und in seinen Armen habe ich jedes Mal aufs neue gelernt, dass Liebe und Lust untrennbar miteinander verbunden sind.
Gestern früh hat er mich verlassen. Einfach so. So schnell, wie er damals in mein Leben getreten war, ist er wieder daraus verschwunden. Die Traurigkeit überwältigt mich dermaßen, dass ich nicht einmal in der Lage bin, zu weinen. Jetzt wo er weg ist, ist die Dunkelheit zurückgekehrt. Doch dieses Mal ist es anders. Denn heute bin ich eine alte Frau und nun, da ich das siebtente Mal am Abgrund stehe, gibt es auch diesen Hoffnungsschimmer nicht mehr, der mir früher das Leben gerettet hat. Heute weiß ich, dass ER der Grund war, warum ich stets gezögert habe und wieder nach Hause gegangen bin. Doch nun ist er fort, mein Zuhause leer und fremd und ich weiß, dass er nicht wiederkommen wird. Darum fällt es mir heute leicht. Wie damals taucht auch heute die untergehende Sonne den Himmel in die wunderschönsten Rosa- und Orangetöne. Und wie damals singen die Vögel ihr schönstes Lied. Ich schließe für einen kurzen Moment die Augen, dann hole ich tief Luft und mache meinen vorletzten Schritt, dann den letzten.
„Adieu Welt. Ich komme nun endlich heim.“
Amadé
‚Atme, Atme, Atme! Deine Gedanken sind falsch, sie machen dir was vor, nichts von alledem ist wahr.‘
Diese Worte gingen mir in einer Endlosschleife durch den Kopf, doch ich konnte mich nicht davon lösen, oder wollte nicht glauben, dass es auch anders sein kann. Wenn ich in meiner Traumwelt bin, sehe ich die Welt mit anderen Augen. Eine glückliche Welt, zufrieden, farbenfroh und voller Zuneigung gegenüber meinen Mitmenschen. Dort verstehen sie mich, zweifeln nicht an mir, sehen nicht den Mann, der immer nur kämpft und traurig ist. Sie sehen Stärke in mir, gönnen mir meinen Erfolg und sind immer da. Aber sobald ich erwache, merke ich, dass dies alles nur Wunschdenken ist, dann erkenne ich die Realität, denn da gibt es niemanden. Kein Mensch, der mich je verstanden hat oder es auch nur ansatzweise versucht hat. Man hört oft den Satz ‚Würdest du für mich sterben?‘ Ich würde gerne den Satz hören ‚Würdest du für mich leben?‘ Und so gerne würde ich ihn einer Person mit ja beantworten. Aber noch nie gab es diese Person, die mir wirklich so wichtig war, dass ich alles für sie aufgegeben hätte. Früher hatte ich mir nie Gedanken darüber gemacht, was andere von mir halten könnten. Doch mittlerweile sah das anders aus, meine Welt war zerbrochen und die Teile im ganzen Universum verteilt. Und selbst wenn man alle Teile findet und sie wieder zusammenklebt, sieht man weiterhin die Risse, sie verschwinden nicht, sondern hinterlassen Narben.
Lange habe ich darüber nachgedacht, mir eine Liste gemacht und abgewägt was richtig und was falsch ist. Doch gibt es eine klare Antwort darauf? Schon einige Male war ich auf dem Weg zu einem Felsen, die Menschen nannten ihn den ‚Todesfelsen‘, denn viele Menschen sind dort bereits in die Tiefe gegangen. Wieso ich gegangen und nicht gestürzt sage? Sie tun es freiwillig. Gehen von all den Qualen weg, suchen nach Frieden, Frieden mit sich selbst; so wie auch ich.
Noch nie habe ich es bis ganz nach oben geschafft, doch heute fühlte ich mich bereit. Ich ging den schmalen Pfad entlang, er war bewachsen mit Ginster und Himbeersträuchern. Es sah so friedlich aus und heute kamen mir keine Zweifel und so kam ich oben an. Der Ausblick hier, von wo aus man hinunter ins Land sehen konnte, war einfach atemberaubend, ich musste überlegen, ob ich je etwas schöneres gesehen hatte. Diese schiere unendliche Weite, der Sonnenuntergang, der das ganze Land in einem warmen Ton erstrahlen ließ. Waren dies die letzten Bilder, die ich sah? Wenn ja, so könnte man sich keine schöneren für seinen letzten Augenblick vorstellen. Ich musste schlucken und wischte mir mit einem Finger eine kleine Träne weg. Sie kam natürlich, weil ich traurig war, aber auch weil ich erleichtert war, darüber, es endlich geschafft zu haben, hier zu stehen und mit den richtigen Gefühlen gehen zu können. Es war die letzten Jahre so schwer um mein Herz herum, kaum ein Tag konnte ich aushalten, ohne nicht immer wieder daran zu denken, dem ganzen ein Ende zu setzen. Denn wenn dies das Leben war, was mir vorherbestimmt wurde, dann will ich es nicht.
Meine Sinne wurden in der ruhigen Umgebung geschärft. Ich sah Vögel, die wild umherflogen, als würden sie im Winde tanzen. Der Wind wehte zart durch die Baumkronen, sodass man ein leises Rauschen hörte. Ein Knistern hinter mir, ein Tier? Ich wusste es nicht, war aber zu starr mich umzudrehen. Doch in meinen Gedanken versunken, bemerkte ich, wie das Knistern lauter wurde, es kam näher; Stille, war es stehengeblieben? Und da gelang es mir mich umzublicken.
Einen Moment war ich innerlich geschockt. Da stand eine junge Frau. War sie auch hier, um zu gehen? Es erschien mir falsch sie danach zu fragen, also sah ich sie weiter wortlos an. Ihr dunkelbraunes, leicht gelocktes Haar, welches ihr bis knapp unter die Schulter ging, wehte ihr leicht ins Gesicht. Ihre Augen waren ebenfalls dunkelbraun, aber man sah, dass sie geweint hat. Und da war es mir klar, ja, sie ist aus dem selbigen Grund hier wie ich. Doch was nun? Wie sollte ich reagieren, sollte ich was sagen? Doch dann machte sie eine kleine Bewegung und es sah aus, als wolle sie wieder gehen. Intuitiv streckte ich ihr meine Hand entgegen, ich kann nicht sagen, warum ich dies tat, aber einmal im Leben in einer schwierigen Situation nicht allein zu sein, empfand ich erleichternd. Sie zögerte einen kurzen Augenblick und kam dann langsam auf mich zu, streckte mir ihre Hand entgegen und so griff ich nach ihr. Sie hatte kleine, sehr zarte Hände, und obwohl sie kalt waren, löste diese Berührung eine wohlige Wärme in mir aus. So standen wir uns ganz nah gegenüber, ihre Augen hatten so eine starke Tiefe, dass ich mich sofort darin verlor und mir so viele Fragen in den Sinn kamen. Wer war sie? Wieso war sie so traurig? Und wieso verzaubert sie mich direkt so sehr, dass ich bereits vergaß, weshalb ich hier war?
Kein Wort verlor unsere Lippen, wir standen einfach nur da und sahen uns tief in die Augen. Was um uns herum geschah, war nebensächlich. Die Welt hätte untergehen können, ich hätte es nicht bemerkt. Und wenn, so wäre ich in diesem Augenblick glücklich gegangen. Und so passierte es wie von allein, dass ich sie anlächelte. Sie musterte mein Gesicht und wenige Augenblicke später, lächelte sie auch. An ihren Wangen zeichneten sich kleine Grübchen ab, ihre Augen begannen zu funkeln und ich war so verzaubert, dass dieser Moment ewig hätte andauern können. War dies ein Zeichen, war sie die Person, für die es sich lohnte zu leben? Und ehe ich mir selbst darauf eine Antwort geben konnte, nahm ich auch ihre andere Hand, zog sie näher und beugte mich langsam zu ihr hinab. Wie in Zeitlupe näherten sich unsere Gesichter, tiefer und tiefer verschwand ich in ihrem Blick, ihre Augen zogen mich in eine andere Welt. Darin dachte ich nicht mehr daran sie zu verlassen, sondern malte mir aus, wie es sei, sie mit ihr zu verbringen, die Zeit, bis das Leben von selbst entschied zu gehen. Mein Herzschlag beschleunigte sich, ebenfalls mein Atem und als sich unsere Lippen ganz zart trafen, war es geschehen; die Zeit blieb stehen, wie so oft. Doch dieses Mal nicht durch negative Gedanken, sondern vor Glück und Zufriedenheit. Noch nie habe ich mich so frei und lebendig gefühlt, noch nie gab es einen Moment, der mir sagte dass es sich lohnt zu bleiben. Doch jetzt war er da! Ganz behutsam tastete ich mich mit meiner Zunge voran, traf auf ihre Lippen und wartete auf ihre Reaktion als sie sich trafen und zart umspielten. Meine Hände verkeilten sich mit ihren, ich wollte sie nie mehr loslassen. Und so dauerte unser Kuss an, jegliches Zeitgefühl war mir verloren gegangen, aber eines war mir in diesem Augenblick klar; für diese Frau möchte ich leben.
Wir hatten wundervolle Fünfundvierzig gemeinsame Jahre. In dieser Zeit machte ich mir nie wieder Gedanken über den Felsen und seine eigentliche Bedeutung, denn mir brachte er das Glück meines Lebens; Sari. Wir haben viele tolle Dinge erlebt, waren auf Reisen, sind ausgegangen, haben das Leben genossen, das, wonach wir uns so lange gesehnt hatten. Wenn man eigentlich schon mit seinem Dasein abgeschlossen hat, nimmt man die kleineren Erlebnisse viel intensiver wahr. Wir hatten nie einen großen Streit, haben den anderen geachtet und bedingungslos geliebt.
Doch nun bin ich auf der anderen Seite, ohne meine geliebte Sari und nun schaue ich auf sie, wie sie dort steht, so voller Traurigkeit, dort, wo unser Schicksal einst seinen Lauf nahm, am Felsen. Sie schaut hinab, ihr Blick ist leer und ich weiß was sie gleich tun wird, sie wird den letzten Schritt gehen und zu mir kommen, damit wir weiterhin vereint sind. Und an ihrer Stelle, hätte ich genau dasselbe getan, denn ein Leben ohne sie wäre mir nie möglich gewesen.
Sie atmet noch einmal tief ein und da ist sie; wieder bei mir, wieder Eins!
© by EnyaVanBran
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