Wiegrefe

Am 19. August 1976 trafen sich Erich Honecker und Leonid Breschnew auf Breschnews Urlaubsdomizil auf der Krim zu einem informellen Gespräch. Breschnews Ritual war, dass er immer zu seiner Urlaubszeit die Parteichefs der verbündeten Staaten einzeln zu sich auf die Krim lud. Dieses Treffen ist besonders, weil davon Aufzeichnungen im Wortlaut existieren, die höchstwahrscheinlich von Honeckers Dolmetscher Walter Eberlein angefertigt und in der maschinschriftlichen Ausfertigung von Honecker mit Anmerkungen versehen wurde.

Auch wenn der Gesprächsduktus manchmal hölzern anmutet, Honecker ist ja von Breschnew, der ihn 1971 beim Sturz von Ulbricht favorisierte, mehr oder weniger an die Macht gehievt worden und dementsprechend unterwürfig, so werden doch eklige Witze besonders über zwei Personen gerissen: über Hans-Dietrich Genscher, den beide von der Physiognomie einem SA- oder SS-Typen gleichstellen, und über Nicolae Ceausescu, der damals einen nationalen Eigenweg gegangen ist und sein Land noch nicht ausgehungert hat. So wird moniert, dass Ceausescu sich mehr nach China, den Blockfreien und dem Westen als in Richtung Sowjetunion orientiere.

Breschnew macht sich zum Beispiel über die Sicherheitsmaßnahmen Ceausescus bei einem Treffen mit dem ZK-Sekretär Michail Suslow lustig. Im Wortlaut:
Genosse Suslow, der gerade von Pizunda aus dem Urlaub zurückgekommen ist, wo sich auch Ceausescu aufhielt, sagte mir, daß Ceausescu 28 Mann Begleitmannschaft mitgebracht hatte. Diese Leute waren im Garten hinter den Büschen versteckt. Sie haben sich an den Stacheln der Büsche ganz anständig zerkratzt.
[...]
... so einfach „mir nichts - dir nichts" fahre ich nicht zum Besuch nach Rumänien. Ceausescu ist ein richtiger Gauner (Shulik).
Honecker darauf:
Erinnere Dich, in Warschau auf der Tagung des Politischen Beratenden Ausschusses habe ich Ceausescu gesagt, daß er objektiv der NATO in die Hand arbeitet gewandt, und ich durfte ihm noch nicht einmal antworten.
Breschnew weiter:
Nebenbei gesagt, Ceausescu hat sich darüber beschwert, daß wir ihm nicht alles liefern, was er von uns haben will.
Dies wurde 1979 nach Verabschiedung des Plans, dass Rumänien die Staatsschulden im Westen zurückzahlen will, ein echtes Problem. Die Sowjetunion war nur bereit, Erdöl zum Weltmarktpreis an Rumänien zu liefern. Rumänien lief in eine massive Energiekrise.

Die skurrilste Äußerung Breschnews ist die über Gaddafi:
Ghadaffi muß noch manches lernen und Erfahrungen sammeln. Er soll auch zu einem offiziellen Besuch in die UdSSR kommen. Genosse Kossygin ist mit Ghadaffi in Libyen zusammengetroffen. Ghadaffi fragte Genossen Kossygin, ob er an Allah glaube. Darauf wußte Genosse Kossygin keine Antwort. Auf diese Frage kann selbst die DDR keine Antwort geben, was sollen wir da erst sagen.
Ein Hauptanliegen Honeckers war, dass die UdSSR 1,5 Mio Tonnen Getreide liefere, da wegen einer Dürre die DDR mit hohen Ernteausfällen rechne und massive Versorgungsprobleme im Bereich Lebensmittel drohen. Breschnew ist sehr zurückhaltend und spricht überaschenderweise die schlechte Ernte in der Sowjetunion an und dass die Sowjetunion selbst Getreide aus westlichen Ländern zukaufen müsse. Im Wortlaut:
Wir haben Euch alle Jahre Getreide in unterschiedlichen Mengen geliefert. Das hing auch der Lage bei uns ab. Wir selbst haben 32 Millionen Tonnen Getreide gekauft, aus den USA, aus Australien, Kanada und anderen Ländern.

Ich bitte Dich deshalb zu verstehen, daß ich Dir noch keine feste Antwort geben kann, wieviel wir Euch liefern können. Das kann zwischen nichts und 1,5 Millionen Tonnen liegen. Die USA haben ziemlich qualifiziert unsere Bruttoernte berechnet. Sie haben ausgerechnet, daß in der Welt dieses Jahr ca. 1,75 Milliarden Tonnen Getreide geerntet werden. Die Bruttoschätzung für die Sowjetunion beträgt 195 Millionen Tonnen. Verstehe also meine vorläufige Antwort nicht als Ablehnung. Ich kann Dir aber nichts versprechen. Wir haben Schwierigkeiten mit der Fleischversorgung in den Industriestädten und Industriezentren. Es gibt bei uns aber keinen all zu großen Lärm. Das Volk hat Verständnis für die Lage.
Die genauen Zahlen erhält Honecker aber nicht. Breschnew im Wortlaut:
Du siehst, Erich, ich habe in meinem Buch alle Ziffern über die Getreideernte in unserem Land eingetragen. Die darfst Du aber nicht sehen!
Selbstverständlich sind auch die deutsch-deutschen Beziehungen ein Thema und beide halten es für wichtig, dass es eine sozialdemokratische Regierung in der Bundesrepublik gibt. Dennoch blockt Honecker bei einigen Ansinnen ab. Breschnew moniert zum Beispiel die vielen Reisenden aus der Bundesrepublik:
Erich, ich habe Dir einmal gesagt: Die DDR hat 17 Millionen Bürger. Es kommen eine Menge Leute in die DDR. Die treiben Agitation für den Kapitalismus. Der Kreissekretär der Partei kann nicht alles wissen, was da gesagt wird, auch Genosse Mielke nicht.
Honecker antwortet nur mit der Zahl (8 Millionen Reisende aus der BRD) und bewertet nicht.

Der zweite Aspekt ist die Westverschuldung, die Breschnew deutlich kritisiert:
Noch eins: Ich habe Genossen Shiwkow und Gierek gesagt - ich möchte das auch Dir sagen, wenn auch nicht offiziell -, daß die Verschuldung der sozialistischen Länder gegenüber dem Westen wächst. Man muß selbstverständlich die Beziehungen nicht abbrechen, auch nicht mit der BRD. Aber man muß maßhalten und an diese Frage prinzipiell herangehen. Unsere Sünden haben sich angehäuft. [...]
Wir arbeiten daran und tun alles, damit wir nicht weiter verschulden.
Honecker geht darauf überhaupt nicht ein und wechselt zu einem Scherz.

Das Dokument ist in den Vierteljahrsheften für Zeitgeschichte 41 (1993) Heft 4 veröffentlicht worden und online frei zugänglich.

Hier ein Foto vom Treffen:

treffen-zwischen-honecker-und-breschnew-Original anzeigen (0,9 MB)
Bildquelle: Archiv der Onlinezeitschrift Der Trommler, Originalscan aus dem DDR-Geschichtsbuch der 10. Klasse, Stand 1981.