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Lockdown
19.06.2022 um 00:25Lockdown. Wie Deutschland in der Coronakrise knapp der Katastrophe entkam
Noch 2020 schrieben die drei SPIEGEL-Journalisten Christoph Hickmann, Martin Knobbe und Veit Medick diese Chronologie über den ersten Corona-Lockdown vom 20. Dezember 2019 bis in den Sommer 2020 aus der Sicht politischer Entscheidungsträger in Deutschland. Es ist immer noch spannend zu lesen, wie Bundes- und Landespolitik in Kommunikation mit Fachleuten hin- und herdiskutierten und sich bezüglich Maßnahmen sehr unsicher waren. Einerseits waren es wenige Infizierte (auch im Vergleich zu den aktuellen Omikronzahlen), andererseits hatte niemand eine Idee, wie tödlich dieses Virus wirklich ist. Aus China kamen die exponentiell steigenden Fallzahlen mit auch jungen Opfern, aus Norditalien Horrorzahlen. Die chronologische Darstellung ermöglicht eine Rekonstruierung des Frühjahrs 2020, ohne einen Rückblick zu haben (ganz selten gibt es Vorausblicke). Dazu kommt ein offenbar sehr gutes SPIEGEL-Archiv, das tief in die politischen Diskussionen eindringt.
Am Ende wird ein interpretativer Ausblick getätigt, wie die Coronakrise der ersten Welle Politik in Hinkunft beeinflussen kann. Konstatiert wird, dass in Krisenfällen die EU nicht funktioniert, die Staaten in nationalstaatliches Denken zurückfallen (Exportverbote, Grenzschließungen) sowie die Exekutive (Bundes- und Länderregierung) übernimmt und aufgrund von schnell geforderten Entscheidungen die Legislative (Parlamente) übergeht, was einerseits zum Teil erwartet wird, andererseits in funktionierenden demokratischen Rechtsstaaten zu Aufhebungen von Exekutiv-Verordnungen durch Gerichte führt. Auffallend sei auch, dass liberale Politiker bereit sind, zu Maßnahmen zu greifen, die ansonsten nur einer extremen Linken zugeschrieben werden: Eingriffe in die Wirtschaft bis zu Enteignungsandrohungen sowie Überwachung des Privatbereichs der Bevölkerung.
Problematisch wird gesehen, dass die Kommunikation nicht funktioniert hat und eher unpolitische Menschen bereit waren, mit einem radikalen rechten Rand gegen die heftigen Maßnahmen auf die Straße zu gehen und sich von diesem instrumentalisieren zu lassen (Augustdemos in Berlin mit zehntausenden Teilnehmern).
Bezüglich Homeoffice wird festgestellt, dass es die Büromittelschicht zu einem nicht unerheblichen Teil freuen könnte, gemütlich von zuhause aus arbeiten zu können, jedoch werden damit auch Arbeitszeiten aufgeweicht und die Firmen entbunden, Arbeitsorte zur Verfügung zu stellen. Außerdem schreite eine Vereinzelung voran, die solidarisches, gewerkschaftliches Handeln unterbinde. Auf der anderen Seite weite sich die Kluft derjenigen, die nicht zuhause arbeiten können (angeführt werden Arbeitende in der Produktion, im Handel, im Dienstleistungsbereich, im Gesundheitswesen), noch stärker zu den mit größeren Privilegien ausgestatteten Angestellten im Bürobereich. Diese Kluft nicht zu groß werden zu lassen, sei eine der Herausforderungen, welche auf die Gesellschaft zukomme.
Definitiv nach zwei Jahren immer noch eine interessante Lektüre. Nicht nur in Deutschland (ich bin kein Deutscher).
Noch 2020 schrieben die drei SPIEGEL-Journalisten Christoph Hickmann, Martin Knobbe und Veit Medick diese Chronologie über den ersten Corona-Lockdown vom 20. Dezember 2019 bis in den Sommer 2020 aus der Sicht politischer Entscheidungsträger in Deutschland. Es ist immer noch spannend zu lesen, wie Bundes- und Landespolitik in Kommunikation mit Fachleuten hin- und herdiskutierten und sich bezüglich Maßnahmen sehr unsicher waren. Einerseits waren es wenige Infizierte (auch im Vergleich zu den aktuellen Omikronzahlen), andererseits hatte niemand eine Idee, wie tödlich dieses Virus wirklich ist. Aus China kamen die exponentiell steigenden Fallzahlen mit auch jungen Opfern, aus Norditalien Horrorzahlen. Die chronologische Darstellung ermöglicht eine Rekonstruierung des Frühjahrs 2020, ohne einen Rückblick zu haben (ganz selten gibt es Vorausblicke). Dazu kommt ein offenbar sehr gutes SPIEGEL-Archiv, das tief in die politischen Diskussionen eindringt.
Am Ende wird ein interpretativer Ausblick getätigt, wie die Coronakrise der ersten Welle Politik in Hinkunft beeinflussen kann. Konstatiert wird, dass in Krisenfällen die EU nicht funktioniert, die Staaten in nationalstaatliches Denken zurückfallen (Exportverbote, Grenzschließungen) sowie die Exekutive (Bundes- und Länderregierung) übernimmt und aufgrund von schnell geforderten Entscheidungen die Legislative (Parlamente) übergeht, was einerseits zum Teil erwartet wird, andererseits in funktionierenden demokratischen Rechtsstaaten zu Aufhebungen von Exekutiv-Verordnungen durch Gerichte führt. Auffallend sei auch, dass liberale Politiker bereit sind, zu Maßnahmen zu greifen, die ansonsten nur einer extremen Linken zugeschrieben werden: Eingriffe in die Wirtschaft bis zu Enteignungsandrohungen sowie Überwachung des Privatbereichs der Bevölkerung.
Problematisch wird gesehen, dass die Kommunikation nicht funktioniert hat und eher unpolitische Menschen bereit waren, mit einem radikalen rechten Rand gegen die heftigen Maßnahmen auf die Straße zu gehen und sich von diesem instrumentalisieren zu lassen (Augustdemos in Berlin mit zehntausenden Teilnehmern).
Bezüglich Homeoffice wird festgestellt, dass es die Büromittelschicht zu einem nicht unerheblichen Teil freuen könnte, gemütlich von zuhause aus arbeiten zu können, jedoch werden damit auch Arbeitszeiten aufgeweicht und die Firmen entbunden, Arbeitsorte zur Verfügung zu stellen. Außerdem schreite eine Vereinzelung voran, die solidarisches, gewerkschaftliches Handeln unterbinde. Auf der anderen Seite weite sich die Kluft derjenigen, die nicht zuhause arbeiten können (angeführt werden Arbeitende in der Produktion, im Handel, im Dienstleistungsbereich, im Gesundheitswesen), noch stärker zu den mit größeren Privilegien ausgestatteten Angestellten im Bürobereich. Diese Kluft nicht zu groß werden zu lassen, sei eine der Herausforderungen, welche auf die Gesellschaft zukomme.
Definitiv nach zwei Jahren immer noch eine interessante Lektüre. Nicht nur in Deutschland (ich bin kein Deutscher).