Churchill-Crossing

Dies ist nicht ein Roman des britischen Premierministers Winston S(pencer) Churchill, sondern des gleichnamigen Romanciers aus den USA, den der Brite wegen der Namensgleichheit sogar kontaktiert hat, wie die Veröffentlichungen namentlich geregelt werden sollen. Die Lösung war, dass der US-Bestsellerautor unter Winston Churchill firmiert, der Brite unter Winston S. Churchill.

Dieser Roman wurde 1904 veröffentlicht und schildert aus der Sicht eines David Ritchie die Besiedelung Kentuckys ab 1776 bis zum Kauf Lousianas von Napoleon im Jahr 1803. Stilistisch erinnert mich dieser 700-Seiten-Schmöker an das viel modernere Genre des Doku-Dramas: Sehr eng an realen historischen Ereignissen, aber eine platte Handlung mit zweidimensionalen Charakteren. Was jedoch heute noch der Fernseh-Renner ist, war vor über 100 Jahren auch ein Verkaufsschlager am Buchmarkt. Churchills Romane verkauften sich in Millionen von Exemplaren.

In diesem Roman begleiten wir einen David Ritchie von seinem zehnten Lebensjahr an. Er wächst in den Wäldern North Carolinas mit seinem schottisch-stämmigen Vater auf, wird jedoch seiner Gentry-Familie überlassen, als sein Vater in den Kampf gegen die von den Briten angestachelten Cherokee zieht. Dabei lernen wir von den komplexen politischen Verhältnissen: Die Briten bestechen die Indigenen im Kampf gegen die Kolonisten, welche um die Unabhängigkeit kämpfen, die koloniale Gentry hält sich afrikanische Sklaven, ist aber selbst zwischen Loyalität zu den Briten bzw. Unterstützung der nach Unabhängigkeit strebenden Aufständischen gespalten.

David ist kurz bei einem Verwandten in Charlestown, der jedoch als britischer Agent nach Eroberung der Stadt durch die Aufständischen flieht. Er kommt zu einer Tante am Land, die ausschließlich ihren eigenen sexuellen Trieben nachhängt und sowohl ihren Sohn (Nick) als auch dessen Cousin David bei ihrer Flucht mit einem Liebhaber alleine zurücklässt. David wird von einem Liebespaar als Waise aufgenommen und schließt sich Georges Clark an, der Kentucky für die US-Föderation erobert und indigene Stämme von den Briten loslösen sowie französische Siedler für die Belange der USA gewinnen konnte. Nach den Kriegen baut David bei seinen Zieheltern eine Mühle auf und geht schließlich mit Hilfe Clarks nach Virginia, um Jura zu studieren.

Bis hierhin ist der Roman spannend, aber danach verliert er den roten Faden. David wird Jurist in Lousville, erhält den Auftrag, den Betrug Genral Wilkinsons an Kentucky in New Orleans (damals spanisch) zu verfolgen. Dies zerfranst sich aber: Wilkinson war auch in Realität bestrebt, Kentucky an Spanien anzuschließen, aber im Roman gelingt der Konnex nicht. David lernt in New Orleans eine royalistische französische Familie kennen. Sein Cousin Nick, ein Dandy, wird die Tochter des Hauses heiraten, David selbst nach einer Gelbfieberinfektion eine französische Adelige, deren Ehemann in Wien verstorben ist. Mit ihr zieht er nach Kentucky auf ein erworbenes Grundstück.

Der erste Teil des Romans hat definitiv Elemente, die später Cormac McCarthy aufgreifen wird (einen seiner Romane nennt McCarthy The Crossing, hier ist die Grenze zum spanischen Mexiko Thema). Bei aller Liebe für die US-Föderation werden auch die Schwächen präsentiert. So werden diejenigen, die für ein US-Kentucky sich als Pioniere eingesetzt haben, mikrig abgespeist und französische Krediteure wie der Händler Vigo aus Kaskaskia nie ausbezahlt. Die Pioniere selbst werden oft von Nachkommenden aus ihrem Land vertrieben.

Aber auch eine imperialistische Politik der jungen USA wird kritisiert, wenn auch von französischen Charakteren.
When they [die Leute aus den USA] get to Lousiana, they will take it, as they take everything else.
Bezogen auf die Französische Revolution, aber anwendbar auch auf das Abschlachten der indigenen Bevölkerung:
"Have you heard of the thousands of innocents who are slaughtered, of the women and children who are butchered in the streets in the name of Liberty?"
Weit nach vorne blickend:
"Is your nation to overrun the earth?"
Schließlich die zukünftige französische Ehefrau zu David:
She laughed, and said that I belonged to a young nation which had done much harm in the world to
everybody but themselves.
Auch wenn der Roman nicht die Tiefe auslotet, die möglich gewesen wäre, war ich letztlich doch nicht geneigt, die Lektüre abzubrechen.

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