@raploverin Ich sehe Musik als einen Stimmungsverstärker.
Es geht nichts über todtraurige irische Balladen über unerfüllte Liebe und sterbende Helden bei trübem Novemberwetter. Da macht die Herbstdepri so richtig Spass. Man fragt sich dann schon mal, ob man genügend Schlaftabletten im Hause hat, bzw. wie noch mal der Knoten geht.
Auch schön: Bei Sonnenschein im offenen Jaguar durch Nordfriesland brettern und Radfahrer oder Wandernde mit lauter Punk-Mucke erschrecken. Upperclass-Car & Underdog-Music geht gut zusammen. Vive le Widerspruch!!!
Musik ist eine Kunstform und hat mit Emotionen zu tun. Was mir im Moment gefällt, muss mir in anderen Momenten nicht gefallen. Was mir gefällt, muss anderen nicht gefallen. Wer bin ich, dass ich mich zum Geschmacksrichter aufschwingen wollte? Wenn meine Frau tränentriefende irische Rebellen-Balladen singt, dann muss mir das nicht gefallen, obwohl mir die "Sängerin" gefällt. Wenn sie gröligen Punk hört, kann ich das unterhaltsam finden oder nervig, je nach Laune. Sie findet im Gegenzug, Hendrix höre sich an wie ein Kind, das eine Gitarre kaputt macht. Ich kann Blues hören, bis ich schwarz werde, sie wirft mir das "komische Frauenbild" in den Texten vor. Doch, Musik ist ausschliesslich Geschmackssache, so wie jedes andere Kunstwerk.
Nicht vergessen: Jeder 2. in der BRD verkaufte Tonträger gehört nach wie vor zur Sparte der sogenannten "volkstümlichen Musik", hollodriho!
Das Volk ist halt tümlich bis es dümmlich wird.
Ich fand es immer wieder erschreckend, wenn andere meiner Generation (Jg. '54) auf Heintje standen, als ich Cream und Hendrix hörte. Und das Schlimmste: Sie tun es immer noch - ich allerdings auch. So prägt einen der Musikgeschmack offenbar lebenslänglich.
Auch schrecklich: Musik, die schon Gustav Schwab (1792-1850) beschrieb:
Urahne, Großmutter, Mutter und Kind
In dumpfer Stube beisammen sind;
Es spielet das Kind, die Mutter sich schmückt,
Großmutter spinnet, Urahne gebückt
Sitzt hinter dem Ofen im Pfühl -
und dazu tönt deutsches Schlager-Gebrüll
Musik hat auch immer etwas mit Selbstfindung und Opposition zu tun. Da müssen die Alten den Jungen schon zurufen: "Mach' den Krach aus!" und die Jungen den Alten: "Hörst Du schon wieder Schnarchmusik?"
Wenn meine Frau irische Balladen hört - oder schlimmer noch - singt, und ich mir die Texte übersetze, dann überkommt mich das Grauen. So viel Märtyrertum und Heldentod von bilderbuchtapferen Rebellen - auf Arabisch würde es dem IS gefallen und auf Deutsch der AfD. Aber bitte: Sie ist damit aufgewachsen und mag es. Hört sich ja auch schön an, vor allem, wenn ich meine Englischkenntnisse spontan vergesse.
Ich unterscheide gern zwischen Backgroundgedudel, konzentriertem Zuhören und Mitgrölen. Für gute Texte lasse ich auch schon mal musikalisches Gestümper durchgehen, für grossartige Musik auch schon mal dumpfe Texte.
Mein Musikkonsum ist situations- und stimmungsabhängig.
Ein Blick in mein CD bzw. LP-Regal zeigt:
Klassische Musik (Vivaldi, Bach, Beethoven, Brahms, Händel, Grieg...)
Jazz (alte Sachen)
Blues (sehr viel, meist 30er bis 50er Jahre)
Rock 'n' Roll (Klassiker wie Little Richard, Chuck Berry und Co.)
Singer/Songwriter (Dylan, Mitchell, Cale, Reed)
französische Chansons (Piaf, Greco, Brel)
deutschsprachige "Liedermacher" (Hirsch, Wecker, Degenhardt)
Nicht hitparaden-kompatible Rock-Musik der 60er und 70er (Cream, Zappa, Hendrix)
Klassiker des Rock-Genres (Stones, Ten Years After, Led Zeppelin, Pink Floyd)
irische Folklore (dank meiner Liebsten)
Punk, Ska (dto.)
"Weltmusik" (obskure japanische Trommler, arabische Flötisten und dergl.)
Experimentelle Musik (zweifelhafte "Töne" von Cage, Stockhausen, Ligety)
Hauptsache, nicht langweilig!