Gregorovius-Leitartikel

In diesem Band sind 92 Leitartikel gesammelt, die der junge Historiker Ferdinand Gregorovius, der in späteren Jahren ein Standardwerk über die Geschichte des mittelalterlichen Rom verfasste, in der liberalen Neuen Königsberger Zeitung von Mitte 1848 bis Mitte 1850, dem Verbot der Zeitung, veröffentlichte.

Mit Detailkenntnissen und historischen Bezügen verfolgt Gregorovius die Ereignisse der Revolutionsjahre in Deutschland, Österreich und Europa, wobei er seinen Standpunkt durchgehend betont. Er ist national-liberal in einem noch fortschrittlichen und nicht reaktionären oder gar chauvinistischen Sinne. Er steht ein für einen deutschen Bundesstaat, in dem nicht mehr Preußen oder Österreich diktiert, sondern der auf einer Verfassung zu beruhen hat, die den Volkswillen zum Ausdruck bringt. Das deutschsprachige Österreich habe sich aus der Habsburg-Monarchie zu lösen, und dies sei erreichbar durch die Lostrennung von Ungarn, Norditaliens und der Schaffung eines panslawischen Bunds. Nicht nur aus diesem Grund verfolgt er die Sezessionskriege in Ungarn und Norditalien mit großer Sympathie.

Die ideologische Basis mutet heutzutage befremdlich an, da er ein Europa von mehr oder weniger sprachlich und ethnisch homogenen Staaten wünscht, und wo es "blutsverwandte Stämme" gäbe wie im deutschsprachigen Gebiet, habe ein Bundesstaat gegründet zu werden. Europa selbst solle durch einen Völkerbund eine Union werden.

Akribisch, jedoch mit steigernder Resignation verfolgt er die Ereignisse von 1849/50, durch die sich immer mehr herauskristallisiert, dass sowohl Österreich und Preußen als dominante Fürstenstaaten sich retten konnten und Österreich in einer Verfassung im März 1849 die Unteilbarkeit der Monarchie festschreibt. Die Nationalversammlung in Frankfurt wird immer mehr marginalisiert, militärisch von Österreich und Preußen belagert, sodass sie schließlich nach Stuttgart auswandert, wo sie in Bedeutungslosigkeit versinkt. Italien ist von Österreich geschlagen, Ungarn von Österreich und Russland. Die Welt ist nicht "demokratisch geworden", wie er noch 1848 in großer Hoffnung geschrieben hat.

Beeindruckend ist der Anmerkungsapparat der Herausgeber Dominik Fugger und Karsten Lorek, in dem sich zum Teil längere historische Abhandlungen finden, welche Zusammenhänge, die für Gregorovius selbstverständlich waren, der heutigen Leserschaft näher bringen.