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Wartime American Plans for a New Hungary
16.08.2021 um 00:16Der ungarische Historiker Ignác Romsics hat Anfang der 1990er Jahre in den Archiven des US-Außenministeriums gestöbert und einen Band der Protokolle eines Komitees des US-Außenministeriums herausgegeben, das sich von 1942 bis Mitte 1944 mit Ostmitteleuropa nach Ende des Krieges (ein Sieg der Alliierten vorausgesetzt) auseinandersetzte, um der US-Regierung eine fundierte Handlungsanleitung zu geben. Das Komitee war mit hochkarätigen Historikerinnen und Historikern sowie Mitgliedern des diplomatischen Dienstes mit Europaerfahrung bzw. dem Herausgeber der offiziösen außenpolitischen Zeitschrift Foreign Affairs besetzt.
Zu beobachten ist, dass in der Frühphase mehrere Spielarten einer ostmitteleuropäischen Föderation von Finnland bis Griechenland durchgespielt wurden (von einer geschlossenen Föderation bis zu einer mehrteiligen Föderation), selbst Otto Habsburg, der enge Kontakte zu Regierungsvertretern der USA pflegte, war im Gespräch. Je länger die Beratungen andauerten, desto mehr wurden Kriegsrealitäten berücksichtigt, darunter nicht nur das Faktum, dass westliche Truppen kaum das Gebiet vor oder gemeinsam mit sowjetischen Truppen erreichen würden, aber auch dass Stalin darauf insistierte, dass die Vorkriegsgrenzen Ausgangspunkt der Nachkriegswelt zu sein hätten. Mit einer Ausnahme, die Eroberungen der Sowjetunion bis 1941 (Ostpolen, Baltikum) und der Westverschiebung Polens an die Oder-Neiße-Linie.
Durchgehend interessant ist, dass das Komitee Ungarn gegenüber sehr freundlich gesinnt war, obwohl Kriegsgegner. Es zieht sich durch die Beratungen, dass die Grenzziehungen von 1920 nach dem Ersten Weltkrieg geschlossene ungarische Siedlungsgebiete abtrennten. Besonders berücksichtigt wurde das Gebiet der Szekler, einem ungarischsprachigen Volk im Osten Siebenbürgens. Das Komitee hält die Szekler für eine Ethnie, die noch vor den Ungarn in diesen Raum kamen, die Rumänen sehen sie als magyarisierte Rumänen. Erstmals dokumentarisch bekannt sind sie aus dem 11. Jahrhundert. Das Problem, welches das Komitee erkannte, war, dass die Szekler keine Verbindung zu den Ungarn haben, dazwischen leben mehrheitlich Rumänen. Auch ist das Szeklergebiet gemischt besiedelt (Szekler eher in den Tälern, Rumänen im Hügelland). Womit zunächst sogar eine Autonomie für Siebenbürgen vorgeschlagen, aber mit der Zeit fallengelassen worden ist.
Hier eine Karte der ethnischen Verteilung in Ungarn und Siebenbürgen nach 1941:
Original anzeigen (0,4 MB)
Karte: ArnoldPlaton / Wikimedia / CC-BY-SA 3.0 Unported
Der Endvorschlag Mitte 1944 ist schließlich, dass zunächst einmal die Vorkriegsgrenzen von 1937 als Basis herangezogen werden sollen, die USA jedoch Gebietszusprechungen auf Verhandlungsbasis wegen der mehrheitlich ungarischen Besiedlung nicht ablehnen würden: Die Große Schüttinsel nördlich der Donau östlich von Bratislava, weitere Teile der Kleinen Tiefebene nördlich der Donau, rumänische Gebiete nördlich von Arad. Realität war schließlich nach Ende des Krieges, dass es zu keinerlei Grenzänderungen kam und Ungarn nach einer kurzen demokratischen Phase zu einer kommunistischen Diktatur wurde.
Interessant ist der beinahe ethnopluralistische Zugang des Komitees, Grenzziehungen sollen auf Basis ethnischer Mehrheiten vorgenommen werden und auch von Umsiedelungen zehntausender von Menschen wurde gesprochen, als ob dies das Normalste auf der Welt wäre. Mitberücksichtigt sollen aber auch wirtschaftliche und verkehrstechnische Gründe werden (zum Beispiel die Ost-West-Verbindung in der Slowakei sollte nicht unterbrochen werden und Rumänien sollte nicht vom Eisenbahnnetz mit Westanschluss ausgeschlossen werden). Nur einmal wird beinahe emotional dieser ethnopluralistische Ansatz durchbrochen, der für Siebenbürgen schlichtweg nicht umsetzbar war: Ungarn und Rumänen sollten vielleicht lernen miteinander zu leben und ihre nationalistischen wie irredentitistischen Anwandlungen hintenan stellen.
Auch politisch änderten sich die Positionen im Laufe der Zeit. So wird 1944 kategorisch abgelehnt, dass Otto Habsburg in irgendeiner Form politisch in Ungarn oder Österreich tätig wird.
Ob der Ungarnschwerpunkt der Protokolle auf eine selektive Auswahl zurückzuführen ist oder ob das Komitee über das restliche Ostmitteleuropa von Finnland bis Griechenland weniger informiert war oder ob kein Standpunkt im Detail hat erarbeitet werden sollen, kann ich nicht beurteilen.