Achille-Mbembe
egs.edu

Dieser Beitrag bezieht sich auf den Essay in Public Culture15(1): 11-40 und nicht auf das gleichnamige Buch.

Necropolitics ist für Mbembe die Unterordnung des Lebens unter die Macht des Todes. Gegenstand seiner philosophischen Überlegungen sind koloniale und postkoloniale Gesellschaften, wobei Mbembe vom Postulat ausgeht, dass Souveränität eine Entscheidungsmacht über Leben und Tod bedeute.

Während europäische Gesellschaften von Rechtsgleichheiten sowohl ihrer Bürger als auch völkerrechtlich der Staaten ausgingen und ausgehen, inklusive Machtmonopol (nach innen) bzw. als territorial begrenzte Souveränitätsentitäten kriegs- und friedensfähig, ist dies in Kolonialgebieten weder der Bevölkerung (rechtlich keine gleichberechtigten Menschen, sondern belebte Dinge wie Tiere; rassistische Ideen waren die ideologische Basis dieser Bio-Macht [Foucault]) noch dem Territorium selbst zugestanden worden.

Mit Hannah Arendt wird argumentiert, dass der Nationalsozialismus diese rassistische und Menschen animalisierende Scheidung nach Europa transferiert hat, Menschen in Europa auf Basis einer rassistischen Ausgrenzung straf- und hemmungslos ermordet werden konnten, der nationalsozialistische Staat zu einem archetypisch rassistischen, mörderischen und auch suizidalen Staat wurde.

Mbembe sieht jedoch im "Othering", auf welcher koloniale wie rassistische Ideen und Ideologien beruhen, einen "ever presend shadow in Western political thought and practice". Sprich: Rassismus bis hin zum exterministischen Rassismus der Nationalsozialismus wurzelt in der politischen Philosophie des "Westens". Konkretisiert wird nicht, welche Denkrichtung er meint, diese Aussage bleibt diffus, wenn nicht platitüd.

Im zweiten Teil werden Beispiele der postkolonialen Gesellschaft präsentiert: die Veränderung der Kriegsführung der imperialen Macht USA, die nicht mehr auf klassische Annexion aus ist, sondern auf "Hit and Run" mit Hilfe von präzisen Waffen und computergesteuerten Waffen. Die Soldaten sehen ihre Opfer nicht mehr. Genannt werden der Golfkrieg 1991 und der Kosovo-Krieg 1999.

Der Kontinent Afrika erfährt eine Entstaatlichung, territoriale Grenzen werden aufgeweicht, innerterritoriale Staatsmacht aufgelöst. Das Machtmonopol von Staaten verlagert sich in nichtstaatliche Machtgruppen, welche Territorien übernehmen, wirtschaftlich ausbeuten, deren Bevölkerung terrorisieren, zur Flucht treiben und die Menschen willkürlicher Gewalt aussetzen. Die Souveränität ist dem Staat entzogen.

Mit den Townships und Homelands des Apartheidstaats Südafrika führt er den Begriff der territorialen Fragmentierung und vertikalen Souveränität ein. Zwei Gesellschaften leben nicht nur parallel, sondern auch übereinander gelagert, mit eigenen Infrastrukturen im selben Raum. Die entrechteten Beherrschten befinden sich in permanentem Belagerungszustand, die Souveränität wird disziplinierend, biopolitisch (= rassistisch) und nekropolitisch (Herrschaft über Leben und Tod) ausgeübt.

Ähnliche Strukturen erkennt Mbembe auch bei der israelischen Herrschaftspraxis in Gaza und im Westjordanland. Die vertikalen Strukturen äußern sich auch architektonisch, wenn - wie er schreibt - ein Feldweg für Palästinenser unter einer Autobahn geführt wird, die für Bürger Israels reserviert ist.

Disziplinierend und nekropolitisch seien die Aktionen der israelischen Armee, die einen Krieg gegen die Infrastruktur in Gaza führt (wie auch die USA gegen Serbien) und damit die Lebensgrundlagen der Menschen untergrabe. Der Text selbst verlässt hierbei jedoch das Wissenschaftliche, indem angebliche Aktionen der israelischen Armee in einem Stakkato gelistet werden, ohne eine einzige Quelle oder gar einen Zusammenhang anzuführen. Ob dies für Philosophen wissenschaftlich ausreichend ist, kann ich nicht beurteilen, als historische Arbeit wäre dieser Abschnitt erbärmlich.

Staatsphilosophisch sieht Mbembe Israel von zwei Narrativen begründet. Der eine ist, dass dieser Staat ein "göttlich" (divine) begründeter sei, der andere sei der "terror of the Holocaust". Die Mentalität des von ihm beschriebenen Vorgehens zieht Mbembe aus den Werken von Elias Canetti. Er nennt es "Logik des Überlebens". Jeder getötete Feind gäbe dem Überlebenden mehr Sicherheit.

Das Handeln der Palästinenser entspräche einer "Logik des Martyriums", das er nach Heideggers Postulat, dass der Mensch in der Nähe des Todes und mit der Erkenntnis des nahenden Todes der Freiheit am nächsten sei. Womit zur Philosophie des Selbstmordattentats geschritten wird, welches die Verkörperung dieser Logik und Philosophie sei. Nicht nur dass der Körper zur Einheit von Mord und Suizid werde, sondern es werde auch Zukunft und Gegenwart Eins. Terror, Tod und Freiheit werde zum ekstatischen Symbol der Temporalität ("ecstatic notion of temporality"), die Gegenwart zum Zukunftsbild der Freiheit, die noch nicht gekommen ist ("vision of the freedom not yet come").

Dass aus diesen Abschnitten des Textes interpretiert werden kann, dass es sich um eine philosophische Begründung und nicht Beschreibung von Selbstmordattentaten, die aus ihrem historischen Zusammenhang abstrahiert sind, handeln könne, ist nicht von der Hand zu weisen. Daher ist es für mich durchaus nachvollziehbar, wenn Kolleg*innen aus der Akademia sich weigern, an einer Konferenz teilzunehmen, zu der Mbembe geladen ist, wie es die heftige Diskussion des letzten Jahres in Deutschland gezeigt hat. Offen bleibt immer die Frage: Drückt dieser Text in seiner Radikalität gegenüber Israel auch den Standpunkt des Autors aus oder ist er eine philosophische Abstraktion? Manche Passagen, die durchaus nicht mehr einer wissenschaftlichen, sondern eher einer manipulativen Textsorte entsprechen (Häufungen zur Verstärkung ohne Quellennennung, beinahe zur Platitüde verkommene Verallgemeinerungen), lassen Zweifel offen.