Richter

Da mir irgendwas am Nachfolgeroman Der Verdacht nicht passte, habe ich doch nochmal nachgelesen, und es ist doch eindeutig. Hier gibt es keinen moralisch Guten. Die Grundvoraussetzung ist vielleicht bekannt: Kommissar Bärlach und Gastmann kennen sich seit Istanbuler Tagen und einer Wette:

Bärlach: Wegen des Zufalls gibt es kein perfektes Verbrechen. Jedes kann aufgeklärt werden.
Gastmann: Wegen des Zufalls gibt es ein perfektes Verbrechen, das nicht aufgeklärt werden kann.

Gastmann stößt einen Passanten in den Bosporus und kann nicht verurteilt werden. Bärlach jagt ihn seit 40 Jahren. In der Gegend von Bern im November 1948 wird Bärlachs Assistent Schmied erschossen und Gastmann empfängt Schweizer Industrielle, Politiker und Repräsentanten einer "fremden Macht", um geheime Geschäfte auszuhandeln. Bärlach möchte den Mord an Schmied Gastmann anhängen, obwohl er ahnt, dass sein neuer Kollege Tschanz diesen Mord begangen hat, um sich eine Polizeikarriere freizuschießen. Somit haben Bärlach und Tschanz das gleiche Interesse, den Mord einem toten Gastmann anzudrehen. Bärlach fädelt es ein, dass es zum Schootdown kommt, Tschanz erschießt Gastmann und seine beiden Leibwächter, Bärlach hat seine Rache und in einem letzten Treffen in Bärlachs Wohnung wird Tschanz das Spiel Bärlachs offenbart und er soll verschwinden. Bärlach werde schweigen.

Es gibt keine Guten:

- Bärlach ist rachsüchtig
- Tschanz mordet für Karriere, Auto und Sex
- Gastmann geht (als Nihilist) sein Leben lang über Leichen
- Der Polizeichef ist der Politik unterwürfig
- Politiker und Industrielle sind korrupt

Im Verdacht wird dieses Setting relativiert, indem Bärlach gegen das ultimativ Böse ankämpft, einen Nazi-Folterarzt. In so einem Kontext wird auch Bärlach ein Guter.

Ich ziehe nach wie vor diesen Roman vor. Er ist immer wieder eine Freude zu lesen.