Sabine Müller vom Hessischen Rundfunk ist tief enttäuscht über den unwürdigen Umgang Israels mit dem Holocaust. Fast möchte man annehmen, sie denkt: Dafür hat mein Land nicht sechs Millionen Juden umgebracht.

In einem Kommentar für das ARD-Hauptstadtstudio stellt Sabine Müller fest: „An Bundespräsident Steinmeier lag es nicht: Der Gedenktag in Yad Vashem wurde von den egoistischen Auftritten Israels und Russlands überschattet. Eine vertane Chance im Kampf gegen Antisemitismus.“

Sabine Müller ist „traurig“, dass es in Jerusalem mit dem „würdigen Gedenken“ nicht „geklappt hat“, erklärt aber auch, dass das mit dem Nichtklappen nicht an der deutschen Seite gelegen hat. Wenn Deutschland etwas macht, dann gründlich: „Ja, vieles war würdig und überzeugend, und dazu hat der deutsche Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier beigetragen.“

Ja, Deutschland weiß, wie es geht. Am deutschen Wesen soll die Welt genesen. Zu Deutschlands Beitrag sagt Sabine Müller: „Das war würdig.“

Israel aber benahm sich laut Frau Müller unwürdig: „Unwürdig war dagegen, wie Israel und Russland diesen Gedenktag teilweise kaperten. Wie sie vor der offiziellen Veranstaltung sozusagen ihre eigene politische und erinnerungspolitische Privatparty feierten.“

Sabine Müller behauptet, Israel habe das Gedenken „gekapert“ und eine unwürdige „Privatparty“ daraus gemacht. Sie erklärt, über 90-jährige Holocaust-Überlebende hätten eine Dreiviertelstunde lang in Yad Vashem warten müssen „wie bestellt und nicht abgeholt“. Ich bin mir sicher, in Deutschland wäre das nicht passiert. Wenn Deutschland was kann, dann Juden schnell abholen.

Benjamin Netanjahu habe zwar „immerhin“ seinen „Auftritt bei der Gedenkveranstaltung in Yad Vashem eklatfrei hinter sich“ gebracht, aber letztendlich war für Frau Müller dieser Gedenktag „leider auch eine vertane Chance.“

Wer ist diese Frau Müller, die so unverschämt über die Gedenkveranstaltung schreibt? Ist sie vielleicht verwandt mit dem Herrn Müller, dem einst das Rezept für ein französisches Kartoffel-Soufflé verraten wurde?


Man weiß es nicht. Allerdings scheint es notwendig, Frau Müller das Rezept für anständiges Verhalten zu verraten.

Frau Müller, es ist im hohen Maße respektlos, wenn eine deutsche Journalistin einer jüdischen Regierung in einem jüdischen Staat vorwirft, den Opfern des Holocausts nicht würdig zu gedenken und sogar unterstellt, aus dem Gedenken eine „Privatparty“ zu machen. Ihr Kommentar klingt in etwa so:

„Was erlauben Israel? Wir Deutschen haben nicht über sechs Millionen Juden ermordet, damit jetzt in einem Land, in dem über sechs Millionen Juden leben, so unwürdig damit umgegangen wird. Etwas mehr Respekt vor Deutschland. Wir nehmen die Dinge noch ernst! Wir haben den Holocaust ernstgenommen und jetzt nehmen wir das Gedenken ernst. Das lassen wir uns weder von Juden, noch von irgendwelchen dahergelaufenen Russen kaputt machen.“

Ja Frau Müller, so in etwa klingt Ihr Kommentar.

Es gibt zwei verschiedene Formen der Erinnerung. Die einen gedenken, weil sie nicht vergessen wollen und die anderen gedenken, weil sie nicht vergessen können. Wer nicht vergessen kann, weil es Teil der eigenen schmerzhaften Geschichte ist, gedenkt nicht, weil er sich davon etwas verspricht, er gedenkt, weil er nicht anders kann, weil das Erinnern ein Schrei ist aus Schmerz, Wut und Unverständnis. Wer aber nicht vergessen will, der erhofft sich aus dem Gedenken ein Profit und sieht die Erinnerung als Chance, etwas daraus zu lernen.

Was aber soll es aus dem Holocaust zu lernen geben? Dass Menschen zu grausamen Ungeheuerlichkeiten in der Lage sind? Dass man Menschen nicht millionenfach vergast? Dass Juden auch Menschen sind? Dass man lieb zueinander sein sollte? Dass man sich wehren darf, wenn man verfolgt wird? Dass man Menschen, die andere Menschen vergasen, den Krieg erklärt? Dass man wahnsinnige Menschen mit allen Mitteln entwaffnet? Dass man judenfeindliche Regime nicht im Namen des deutschen Volkes zum 40. Jubiläum gratuliert, wie es Bundespräsident Steinmeier mit dem iranischen Regime getan hat? All das sollte man auch ohne Holocaust wissen. Der Holocaust ist keine Nachhilfestunde für moralisch Sitzengebliebene. Das Gedenken an den Holocaust ist keine Chance auf eine Verbesserung der Welt. Der Holocaust ist ein unvergessbares und unverzeihliches Verbrechen, aus dem es nichts zu lernen gibt.

Menschen, die nicht vergessen wollen, sehnen sich aber nach einen Nutzen aus dem Verbrechen. Zu irgendwas muss der Holocaust ja gut gewesen sein. Diese Menschen sind dann ganz stolz, wenn es ihnen gelingt, aus dem Verbrechen eine Lehre zu ziehen. Sie sind die Herrenmenschen der Vergangenheitsbewältigung.

Ein Übersetzer der Rede Steinmeiers erklärte auf Facebook: „Das habe ich heut mit großem Stolz und tiefer Demut gedolmetscht.“ Ist es nicht anrührend, dass manche Deutsche wieder stolz sind auf den Holocaust, wenn auch nur auf den Umgang damit?

Manchmal ist es besser, einfach zu schweigen. Wenn aber Menschen, die nicht vergessen wollen auf jene treffen, die nicht vergessen können, dann sollten jene, die nicht vergessen wollen, aber auch nicht schweigen können, zumindest drauf achten, nicht jenen, die nicht vergessen können, zu erklären, wie es mit dem würdigen Gedenken „klappt“.
Tapfer im Nirgendwo