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Erich Hackl ist bekannt geworden durch sein Buch Abschied von Sidonie über ein Roma-Mädchen aus Oberösterreich und seine regionale Heimat lässt ihn nicht wirklich los, obwohl er seinen Lebensmittelpunkt in Madrid und Wien hat.

Als Sechzigjähriger hat er ein Buch über seine Mutter veröffentlicht, in dem er seiner Mutter, die im Norden Oberösterreichs an der Grenze zu Böhmen aufgewachsen ist, eine Stimme gibt. Kompositorisch einer gebundenen Rede mit Strophen nachvollzogen, ist der Text aber letztlich ein prosaischer Monolog. Wir lernen das oberösterreichische Land- und Dorfleben zwischen Erstem Weltkrieg und Zweiter Republik nach dem Zweiten Weltkrieg kennen, lesen von Autounfällen, sexuellen Abenteuern, tödlich verlaufenden Abtreibungen und ... puh ... hab's schon wieder vergessen ... ach ja, die nationalsozialistische Zeit, auf die Hackl in seinen Büchern fixiert ist. Da sind seine Mutter und das Dorf froh, dass es vor der Nazizeit auch keine Juden im Dorf gab, also blieb es unbefleckt und muss sich nicht schämen.

Das Problem an diesem sprachlich schönen Buch ist, dass zwar der Mutter eine Stimme gegeben wird, aber sie nie über sich schreibt, immer über andere und Anderes oder ihre Beziehung zur Außenwelt. Als ob sie keine Seele hätte.

Dies liegt wohl auch am kompositorischen Problem, das Hackl in seinem Nachwort anspricht:
Ich nehme mir aber die Freiheit, ihr Einsichten zu gestatten, die sie nicht auszudrücken vermochte oder zu denen sie nie gelangt ist. Die Freiheit, ihr mein Gewissen anzudichten.
Es spricht also nicht die Mutter, es spricht Hackl, wie er gerne seine Mutter hätte sprechen hören. Und genau das ist das Problem dieses Textes, das ich hatte. Auch wenn ich die Gegend gut kenne und auch die Charaktere, über die erzählt wird, es ist alles irgendwie empathische Rückschau, und die wird - auch wenn das Buch kurz ist - irgendwann langweilig. Und mehrmals beim Lesen rüttelte es mich: Mutter! Mutter! Es ist die Mutter und nicht der Sohn, die hier spricht.

Wenn ich dann vergleiche mit Peter Handkes Wunschloses Unglück, in dem er den Selbstmord seiner Mutter zum Thema machte ... puh ... man mag über die Verleihung des Nobelpreises denken, wie man will, aber das ist das Buch der Wahl, wenn es um Frauen in der Armut der österreichischen Provinz geht. Damit kann sich der nette Hackl nicht messen.

Infolinks im Spoiler

Verlagsinfo:
https://www.diogenes.ch/leser/titel/erich-hackl/dieses-buch-gehoert-meiner-mutter-9783257068665.html

Rezensionen:
https://www.spiegel.de/kultur/literatur/das-buch-von-erich-hackl-dieses-buch-gehoert-meiner-mutter-a-929320.html
https://www.wienerzeitung.at/nachrichten/kultur/literatur/595775-Wenn-die-Kuehe-wispern.html (Archiv-Version vom 25.09.2020)
https://literaturkritik.de/id/18799