f7c7cc63720d3f56 Moische-Kulbak
Moische Kulbak. Bild: edition.foto TAPETA/FU Berlin
Lied eines armen Mannes

Auf dem Boden sitzt bei Nacht ein armer Mann
mit einem dünnen Lächeln auf dem Gesicht.
Er singt, wie sowas, hör mal, leben kann,
denn überall hilft man sich schon und braucht ihn nicht.

Er streckt den langen Leib, wird länger und schwächer
er klagt und singt sein armundgraues Lied
und der gehörnte, der stechende Mond auf den Dächern
kriecht herum wie ein weißer Wurm und glüht.

O die gilbe Stimm des Armen voller Schrecken
in allen Winkeln dieser grauen Welt.
Stimm eines Menschen, angetan mit Säcken –
wie schwer sie sich aus ihrer Trauer schält.

Er singt die dünne Freud, die er aus Qual gewann
wie kühles Wasser unter nackten und verbrannten Steinen.
Auf dem Boden singt bei Nacht ein armer Mann
und rührt den Mond, doch weiter keinen keinen …
Gedichtquelle: Lyrikzeitung


Moische Kulbak war weißrussisch-litauscher jiddischer Dichter, der 1936 verhaftet und 1937 in einem sibirischen Arbeitslager verstarb.

Dies war beileibe kein Einzelschicksal von (jüdischen) Intellektuellen in der Sowjetunion unter Stalin. In der unbekannten sowjetischen Geschichte gibt es mindestens zwei "Nächte der ermordeten Dichter".

Am 29. Oktober 1937 wurden unzählige Mitglieder der weißrussischen Intelligenzia, darunter Dichter und Schriftsteller ermordet, unter ihnen Anatol Wolny, Platon Golovatsch (Galawatsch), Ales Dudar, Michail (Michas) Sarezkij, Wasil Kawal (Kowal), Mosche (Moische) Kulbak, Jurka Ljawonny, Waleri Marakoj, Wasil Staschewski und Michas Tscharot.

Ich gehe davon aus, dass das Waldstück Kurapaty bei Minsk der Ort der Massenmorde war. In diesem Waldstück wurden bis jetzt mehr als 500 Massengräber mit je etwa 200 Leichen gefunden.

https://www.spiegel.de/spiegel/print/d-20849263.html
http://www.sciencespo.fr/mass-violence-war-massacre-resistance/en/document/kurapaty-1937-1941-nkvd-mass-killings-soviet-belarus
https://www.youtube.com/channel/UCOUXDbqgRn79R9JiwiZlpxw (Virtuelles Museum)

Bis heute ein heikles Thema in Belarus, auch ehemalige Opfer des Stalin-Regimes werden bei Demonstrationen inhaftiert:
https://belsat.eu/en/news/protests-in-kurapaty-continue-former-political-prisoner-elderly-activist-detained/ (Archiv-Version vom 12.04.2019)

Am 12. August 1952 wurden auf Befehl Stalins zahlreiche jiddische Dichter aus der Ukraine erschossen, darunter David Bergelsson, David Hofstein, Lejb Kwitko, Perez Markisch und Itzik Fefer.

https://www.zeit.de/1992/34/trauertag-der-literatur/komplettansicht
https://de.rbth.com/geschichte/79876-stalin-gegen-sowjetische-juden-repressionen