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Johann Wolfgang Goethe - Torquato Tasso
12.10.2019 um 00:59Vorlage für dieses Stück ist wohl die Zeit des etwa dreißigjährigen Torquato Tasso, der als Hofdichter der Este in Ferrara ab ca. 1575 an Verfolgungswahn litt. Goethe macht aus ihm einen Jüngling und legt die Handlung in das Landgut Belriguardo, auf dem neben Tasso Herzog Alphons, seine Schwester Prinzessin Leonore (Tasso liebt sie), ihre Freundin Gräfin Leonore von Scandiano und dazukommend der Staatssekretär Antonio Montecatino weilen.
Tasso wird von den Adeligen scheinbar geliebt, aber wohl nur ausgehalten. Im Stück heißt es auch, dass Italien nur deswegen so groß sei, weil die Duodezfürsten um die Geistesgrößen wetteifern, um sie an den eigenen Hof zu binden.
Die Handlung ist eigentlich sehr schnell erzählt: Zu Beginn wird Tasso mit Lorbeer bekränzt und Ariost, dessen Statue im Garten steht, gleichgesetzt, doch bei einem Streit mit Antonio, von dem Tasso sich beleidigt fühlt, zieht Tasso das Schwert, wird aus diesem Grund von Alphons zu Zimmerarrest verurteilt und sieht sich zum Kind degradiert, da er keine Chance hat, sich zu rechtfertigen. Antonio versichert ihm bei einer späteren Annäherung, dass aus einer späteren Sicht des Erwachsenen diese Züchtigung des Jünglings eine Wohltat sei.
Die angebliche Beleidigung ist nichtig (Goethe greift die Paranoia des wirklichen Tasso auf), doch führt sie Tasso dazu, nachdem Prinzessin Leonore seine Liebe zurückweist, schließlich zu verstummen, da er seine Abhängigkeit von adeligen Mäzenen als Unfreiheit zu erkennen beginnt, ohne jedoch einen Weg zu einem freien Dichter zu finden. Seine Pläne, nach Rom zu gehen, sind auch nur Luftschlösser, da er sich auch dort wieder in Abhängigkeit begeben würde. Ausweg gibt es keinen, das Stück endet offen.
Goethe wäre nicht Goethe, wenn er in dem mit langen Dialogen und Monologen versehenen, nicht sehr handlungsreichen Stück nicht Passagen geschrieben hätte, die sehr tief in die soziale und psychische Welt eindringen würde (schon im Werther war er ein Großmeister darin).
Sehr früh im Stück wird angemerkt, dass sowohl Mächtige als auch Kluge (das sind diejenigen, die sich mit dem Herrschaftssystem arrangieren) sich alles erlauben; auf Kosten der von ihnen Abhängigen. Tasso erkennt, dass Gehorchen sein Los sei und nicht das Denken. Am Ende wird ihm auch sein Manuskript gestohlen, ohne dass er dagegen einschreiten kann.
Immer mehr wendet er sich von seinem Mäzen ab, zunächst respektiert er ihn noch als Ernährer und anerkennt ihn als einzigen, dem er gehorchen will, aber schließlich verdammt er auch diesen:
Schon lange kenn' ich diese TyranneiDie Mäzenatenidylle der scheinbaren Freundschaft entpuppt sich als Überwachungsgesellschaft, es gibt "erbrochene Schlösser, aufgefangene Briefe". Goethe spürt schon Jahrzehnte vor Metternich den Überwachungsstaat des Deutschen Bundes.
Der Freundschaft, die von allen Tyranneien
Die unerträglichste mir scheint.
Auch Antonio, in dem Tasso am Ende nicht mehr den Feind erkennt, sondern denjenigen, der sich in einer ähnlichen Lage findet wie er selbst, sieht in diesen Lebensbedingungen ein Vernichtungspotenzial des Selbst:
Das Übel wird sich stets mit Übeln häufenDer verstummende Tasso sieht am Ende seine Idylle zerbrochen und sieht sich als Opfer von Tyrannen und ihren willfährigen Werkzeugen. Sein Dasein auf dem Hof der Este von Ferrara reflektiert er mit diesen Worten:
Und, wenn es euch nicht töten kann, nur mehr
Und mehr mit jedem Tag Euch quälen.
So seh' ich mich am Ende denn verbannt,Sein Scheitern ist für den jungen Tasso eine Vernichtung, das Stück endet mit diesen seinen Worten:
Verstoßen und verbannt als Bettler hier!
So hat man mich bekränzt, um mich geschmückt
Als Opfertier vor den Altar zu führen!
So lockte man mir noch am letzten Tage
Mein einzig Eigentum, mir mein Gedicht
Mit glatten Worten ab, und hielt es fest!
Zerbrochen ist das Steuer, und es krachtDas Stück ist auch online zu lesen:
Das Schiff an allen Seiten. Berstend reißt
Der Boden unter meinen Füßen auf!
Ich fasse dich mit beiden Armen an!
So klammert sich der Schiffer endlich noch
Am Felsen fest, an dem er scheitern sollte.
http://www.gutenberg.org/ebooks/10425 (Archiv-Version vom 07.10.2019)