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Georg Heym - Der Krieg (1911)
01.10.2019 um 00:20Georg Heym. Bild: vbb/
Georg Heyms Gedicht Der Krieg aus dem Jahr 1911 zählt wie Georg Trakls Vorkriegsgedichte zu den expressionistischen Werken, welchen die Vorahnung der Brutalitäten des industrialisierten Volkskriegs zugeschrieben wird. Die Trochäen (betonte, unbetonte Silben Wechsel) hämmern einen unnachgiebigen Rhythmus.
Der KriegImmer wieder wird dieses Werk des 24-Jährigen als Antikriegsgedicht misinterpretiert, vor allem im Schulzusammenhang. Ich zitiere mal aus abipur.de:
Aufgestanden ist er, welcher lange schlief,
Aufgestanden unten aus Gewölben tief.
In der Dämmrung steht er, groß und unerkannt,
Und den Mond zerdrückt er in der schwarzen Hand.
In den Abendlärm der Städte fällt es weit,
Frost und Schatten einer fremden Dunkelheit,
Und der Märkte runder Wirbel stockt zu Eis.
Es wird still. Sie sehn sich um. Und keiner weiß.
In den Gassen faßt es ihre Schulter leicht.
Eine Frage. Keine Antwort. Ein Gesicht erbleicht.
In der Ferne wimmert ein Geläute dünn
Und die Bärte zittern um ihr spitzes Kinn.
Auf den Bergen hebt er schon zu tanzen an
Und er schreit: Ihr Krieger alle, auf und an.
Und es schallet, wenn das schwarze Haupt er schwenkt,
Drum von tausend Schädeln laute Kette hängt.
Einem Turm gleich tritt er aus die letzte Glut,
Wo der Tag flieht, sind die Ströme schon voll Blut.
Zahllos sind die Leichen schon im Schilf gestreckt,
Von des Todes starken Vögeln weiß bedeckt.
Über runder Mauern blauem Flammenschwall
Steht er, über schwarzer Gassen Waffenschall.
Über Toren, wo die Wächter liegen quer,
Über Brücken, die von Bergen Toter schwer.
In die Nacht er jagt das Feuer querfeldein
Einen roten Hund mit wilder Mäuler Schrein.
Aus dem Dunkel springt der Nächte schwarze Welt,
Von Vulkanen furchtbar ist ihr Rand erhellt.
Und mit tausend roten Zipfelmützen weit
Sind die finstren Ebnen flackend überstreut,
Und was unten auf den Straßen wimmelt hin und her,
Fegt er in die Feuerhaufen, daß die Flamme brenne mehr.
Und die Flammen fressen brennend Wald um Wald,
Gelbe Fledermäuse zackig in das Laub gekrallt.
Seine Stange haut er wie ein Köhlerknecht
In die Bäume, daß das Feuer brause recht.
Eine große Stadt versank in gelbem Rauch,
Warf sich lautlos in des Abgrunds Bauch.
Aber riesig über glühnden Trümmern steht
Der in wilde Himmel dreimal seine Fackel dreht,
Über sturmzerfetzter Wolken Widerschein,
In des toten Dunkels kalten Wüstenein,
Daß er mit dem Brande weit die Nacht verdorr,
Pech und Feuer träufet unten auf Gomorrh.
Ich denke, der Autor des Gedichts möchte dem Leser aufzeigen, dass der Krieg, egal zu welchem Zeitalter und in welchem Größenverhältniss, immer die gleichen Folgen nach sich zieht und der Mensch, trotz der schon so oft gemachten Erfahrung, sich nicht bessert und eines Tages sogar eventuell durch sein eigenes Handeln zerstört wird.Heym war jedoch dem Krieg zugetan, da er sein Leben in Schlesien als "langweilig" empfand, wie er es ein Jahr zuvor in seinem Tagebuch niederschrieb:
Ach, es ist furchtbar. Schlimmer kann es auch 1820 nicht gewesen sein. Es ist immer das gleiche, so langweilig, langweilig, langweilig. Es geschieht nichts, nichts, nichts. Wenn doch einmal etwas geschehen wollte, was nicht diesen faden Geschmack von Alltäglichkeit hinterläßt. Wenn ich mich frage, warum ich bis jetzt gelebt habe. Ich wüßte keine Antwort. Nichts wie Quälerei, Leid und Misere aller Art. [...] Geschähe doch einmal etwas. Würden einmal wieder Barrikaden gebaut. Ich wäre der erste, der sich darauf stellte, ich wollte noch mit der Kugel im Herzen den Rausch der Begeisterung spüren. Oder sei es auch nur, daß man einen Krieg begänne, er kann ungerecht sein. Dieser Frieden ist so faul ölig und schmierig wie eine Leimpolitur auf alten Möbeln.Das Gedicht ist Wort gewordener Vernichtungswille.
Heym selbst erlebte den großen Krieg nicht mehr. Er ertrank 1912 beim Eislaufen auf der Havel, als er das Leben eines am Eis eingebrochenen Freund retten wollte.
Texte von Heym aus dem recht ansprechenden Wikipedia-Artikel:
Wikipedia: Der Krieg (Heym)
Die Universitätsbibliothek Heidelberg hat übrigens ein interessantes Sammelwerk von Dietrich Harth mit dem Titel Finale! Das kleine Buch vom Weltuntergang aus dem Jahr 1999 online und als PDF erhältlich, in dem Weltuntergangstexte aus der Weltliteratur gesammelt sind.
Das Gedicht von Heym ist auf Seite 107:
https://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/harth1999/0106/image