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Ämilian Kloiber. Screenshot von zobodat.at


Österreichische Museen haben auch den Auftrag, Wissenschaftsgeschichte zu archivieren, und so bin ich auf einen Text des Rasseforschers Aemilian Kloiber mit dem Titel "Die Rassen in Niederdonau" gestoßen. Während der deutschen Annexionszeit 1938-1945 war dies der Name für Niederösterreich. Die Publikationsplattform Zobodat ist ein Gemeinschaftsprojekt des Oberösterreichischen Landesmuseums und des Biologiezentrum Linz.

Dieser Text wurde Anfang September 1938 verfasst und bereits im ersten Absatz wird ein Hohelied auf die deutsche Annexion gesungen. Wichtig für diesen Rassekundler war, die alten österreichischen Ergebnisse dieser skurrilen "Wissenschaft" zu relativieren, denn 1922 schrieb der Rassekundler Hans F. K. Günther:
„Österreich ist dunkel gegen Bayern und Böhmen, heller gegen Mähren und überhaupt gegen Osten zu. Das fällt auf. Der Schluß ergibt sich, Österreich sei nicht von Bayern aus nordisch besiedelt worden, und — um einen Augenblick zur Geschichte hin abzuschweifen — dieser Schluß trügt nicht: Markomannen und Bajuwaren sind von Osten her über Böhmen und Mähren eingewandert. Daher ist heute noch Niederösterreich heller als Oberösterreich." (S. 14/254)
So ein Ergebnis einer "österreichischen Rassekunde" darf nicht Bestand haben und muss den Vorstellungen der neuen Herren gemäß falsifiziert werden. Niederösterreich muss umgevolkt werden. Und so lautet das rassenkundliche Ergebnis von 1938 auch:
Nach dem Stande der Erforschung von 1938 kann ausgesagt werden, daß die Bevölkerung im Gau Niederdonau etwa zu 55 v. H. nordisch (fälisch), zu 15 v. H. dinarisch, zu 10 v.H. atlantisch, zu 10 v. H. ostisch, zu 5 v. H. baltisch angegeben werden kann, wozu noch 5 v. H. andere Rassen zu rechnen sind (Karte 2).
55ccc67b67b87ba9 Niederdonau RassenOriginal anzeigen (0,3 MB)
Niederösterreich musste nordisch sein. Bildschirmfoto S. 20 (260)

Die Grundlagen der Einteilung waren banal:

- Augenfarbe
- Haarfarbe
- Gesichtsform
- Körpergröße

Auf den Seiten 21-25 finden sich Tafeln mit Charakterköpfen der nordischen, fälischen, dinarischen, baltischen, atlantischen und ostischen Rassen (Porträt und Profil, wie bei Fahndungsfotos), die sattsam aus der nationalsozialistischen Rassenkundeliteratur bekannt sind.

Dennoch möchte ich auf einen Aspekt dieses Textes eingehen, den ich historisch interessant finde und nichts mit der fraglichen Zeit der deutschen Annexion zu tun hat. Auffällig scheint mir die Kleinheit der niederösterreichischen Männer, die bei der militärischen Stellung im Jahr 1892 erhoben wurde, zu sein.

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Körpergröße der niederösterreichischen Männer bei der Musterung 1892. Bildschirmfoto S. 9 (249)

Ich habe mir den Spaß erlaubt, den Median zu berechnen. Er liegt bei 167 Zentimeter. n=3135

Die Durchschnittsgröße österreichischer Männer Jahrgang 1996 lag 2014 bei 177 Zentimeter. Das sind nach knapp über 100 Jahren zehn Zentimeter mehr.

Quelle: http://www.ncdrisc.org/height-mean-map.html


Nun zum Autor, der zum Zeitpunkt der Abfassung dieses Textes 28 Jahre alt war und 1989 verstarb. Sein Lebenslauf ist so typisch für Kontinuitäten:

Er studierte an den Universitäten Wien und Prag Zoologie (Spezialgebiet Vogelkunde) und Anthropologie.

- 1942 Habilitation in Prag (als "Soldat im Feld")
- 1949-1973 Direktor der Biologischen Abteilung des Oberösterreichischen Landesmuseums in Linz
- ab 1965 ao. Professor für Anthropologie an der Universität Graz

Quellen zur Biographie:
https://www.zobodat.at/personen.php?id=6959&bio=full
https://www.zobodat.at/biografien/Kloiber_Aemilian_JOM_134b_0003-0010.pdf
https://www.zobodat.at/biografien/50_Jahre_Ornith_Arge_Oberoesterreich.pdf

Textquelle:
https://www.zobodat.at/pdf/ANNA_49_0241-0261.pdf


Und jetzt ein Zeitsprung ins 21. Jahrhundert und in die Haplogruppen-Genomprojekte, und für Europa ergibt sich folgendes Ergebnis:

e8c4d6bd92efa382 Haplogruppen EuropaOriginal anzeigen (0,2 MB)
Haplogruppen in Europa. Bild: Robert Gabel/wikimedia.org Lizenz: Gemeinfrei

Und hier Informationen zum Humangenetikprojekt für Europa:
https://www.eupedia.com/europe/origins_haplogroups_europe.shtml
https://www.uncnri.org/wp-content/uploads/2018/05/Jef-French_ALF_021218.pdf

Was ich zeigen will. Laut diesem Projekt ist sowohl in Norddeutschland als auch in Österreich R-U106 dominant. Die Genomanthropologie bestätigt Kloiber, vor allem da der tschechische Raum überwiegend von der Gruppe Rb1 dominiert ist.

Bis heute bin ich mir nicht sicher, ob die Genomanthropologie vielleicht nicht doch nur eine moderne Variante der Schädelvermessungsanthropologie ist.