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Andre Heller - Das Buch vom Süden

2 Beiträge ▪ Schlüsselwörter: Rezension, Österreich, Gegenwartsliteratur ▪ Abonnieren: Feed E-Mail
Seite 1 von 1

Andre Heller - Das Buch vom Süden

19.04.2019 um 00:11
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Heller mag ich, und dem Buch ist am Episodenhaften wie der schwankenden Qualität (von großartig bis dahinplätschernd) anzukennen, dass es eine lange Schreibzeit hinter sich hat.

Die Geschichte des Julian Passauer umfasst drei Teile:

1. Seine Kindheit bis zur Reifeprüfung (eigentlich durchgehend großartig)
2. Seine 20er-Jahre als Profi-Pokerspieler (mau)
3. Seine Zeit als Hausbesitzer am Gardasee (streckenweise sehr gut)

Julian wächst in der Nachkriegszeit als Sohn des Vizedirektors des Naturkundlichen Museums Wien in einer Dienstwohnung in Schönbrunn auf, also wohlbehütet und gutsituiert, aber diese Welt ist von Matrixrissen durchsetzt.

Da ist der von seiner Mutter hochgeschätzte junge jüdische ungarische Oboist, der es geschafft hat, dem Holocaustwahnsinn in Ungarn mit seinem kleinen Bruder zu fliehen, den er aber auf der Flucht mit der Blausäure von Zwetschkenkerninnerem tötete, damit er nicht dem Leiden der Welt ausgesetzt ist. Am Ende des Romans - etwa 40 Jahre später - trifft Julian ihn bei der Beerdigung seiner Mutter wieder. Verarmt.

Und da ist der Wienerlied-Sänger Hermann Leopoldi, der seinen Vater als Lagerhäftlingskamerad von Dachau und Buchenwald wieder erkennt. Die beiden waren Spezi (Freunde). Er holt ihn auf die Bühne und singt zum Schluss das Buchenwaldlied (Leopoldi und das Buchenwaldlied sind echt).

Alleine diese beiden Episoden sind zum Heulen gelungen.

Zur Reifeprüfung erhält Julian von seinem Vater, der den Süden verehrt und nicht überwinden kann, dass Österreich die Gebiete in Italien und am Balkan mit dem Ersten Weltkrieg verloren hat, eine Reise mit einem zypriotischen Frachter um Afrika herum geschenkt. Von dieser Reise kehrt Julian mehr oder weniger nicht mehr zurück, und von einem alten Kleinstadtpokerspieler, der übersetzt Ruhigblütl heißt, lernt er die Psychologie des Pokerspiels und die Grundwerte es Lebens (Dankbarkeit, kein Egoismus, bedingungslose Liebe).

Mit ersterem bespielt er über 10 Jahre lang die westeuropäischen Kasinos und wird mit dem Pokerspiel reich. Das Geld legt er an und kauft sich am Westufer des Gardasees eine Villa mit Garten. Damit wird es wohl autobiographisch, Hellers Garten in Gardone ist immer noch zu besichtigen.

Julian lebt dort mit einer äthiopischen Haushälterin, die er platonisch liebt, und seiner Geliebten. Ab da plätschern die Seiten dahin, es geht hauptsächlich um das Liebesleben eines "fleißigen Taugenichts". In guten Momenten schafft es Heller jedoch das Ambiente des Gardasees fast im Stile eines Peter Handke einzufangen.

Am Ende wird ihm alles zu langweilig und Julian beginnt wieder den "perfekten Süden" zu suchen, diesmal zieht es ihn nach Marokko, und damit bricht der Text ab. Dass er für Heller weitergeht, ist bekannt, denn er lebt nicht mehr am Gardasee, sondern bei Marrakesh, wo er auch wieder einen Garten gestaltet hat.

Streckenweise wirklich grandios das alte Österreich einfangend, auch die Motivation der Sehnsucht nach der Ferne sehr gut psychologisierend gestaltet, die Nabelschau der Zeit am Gardasee ist aber langweilig. Ob es Absicht ist, um die Langeweile Julians, die ihn wieder weg treibt, nachvollziehbar zu machen? Keine Ahnung. Heller ist kein unbegabter Künstler. Aber ob er in seinem einzigen Roman so ausgefuchst ist?

Die Rezensionen des Romans sind dementsprechend gemischt: von ihn feiernd bis ihn ablehnend (hauptsächlich wegen Kitsch-Alarms ... was ich so schlimm nicht finde). Ich selbst habe den ersten Teil verschlungen, den Rest wohlwollend gelesen. Ob je noch wieder wer so altösterreichisch-erzählend veröffentlichen wird, dessen bin ich mir nicht sicher. Irgendwie scheint Heller mit diesem Text auch eine Literaturepoche abzuschließen.

Infolinks im Spoiler

Verlagsinfo:
https://www.hanser-literaturverlage.de/buch/das-buch-vom-sueden/978-3-552-05775-3/

Leseprobe:
https://files.hanser.de/Files/Article/ARTK_LPR_9783552057753_0001.pdf

Interview:
https://www.profil.at/shortlist/kultur/andre-heller-buch-vom%20sueden-marokko-6357297 (Archiv-Version vom 01.09.2019)

Rezensionen:
https://derstandard.at/2000036007202/Andre-Heller-In-den-Duftbezirken-der-Fluechtigkeit
https://www.zeit.de/2016/19/andre-heller-das-buch-vom-sueden-romandebuet
https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buecher/in-andre-hellers-debuetroman-ertrinkt-man-im-zuviel-14213946.html
https://www.vienna.at/zaubrisches-und-autobiografisches-das-buch-vom-sueden-von-andre-heller/4711841
https://www.deutschlandfunkkultur.de/andre-heller-das-buch-vom-sueden-weisheiten-eines.950.de.html?dram:article_id=356841
https://oe1.orf.at/artikel/438408
https://www.nzz.ch/feuilleton/buecher/andre-hellers-roman-das-buch-vom-sueden-jenseits-der-verlorenheit-ld.81971 (Archiv-Version vom 15.03.2018)
https://www.srf.ch/kultur/literatur/absonderliche-einsichten-andre-hellers-buch-vom-sueden
https://volltext.net/texte/andre-heller-das-buch-vom-sueden-daniela-strigl-klaus-nuechtern/
https://www.wienerzeitung.at/nachrichten/kultur/literatur/815832-Suche-nach-Klarheit-und-Seele.html
https://www.sueddeutsche.de/kultur/belletristik-ins-licht-1.2982450



André Heller liest aus seinem Buch (das hat wirklich was):

Youtube: André Heller, Das Buch vom Süden
André Heller, Das Buch vom Süden
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Vom Buchenwaldlied gibt es keine Aufnahme von Hermann Leopoldi (Text übrigens vom Lehár-Librettisten Fritz Löhner-Beda, der als jüdischer Österreicher auch ins KZ verfrachtet und in Auschwitz ermordet wurde, Leopoldi als "Politischer" wurde "freigekauft" und überlebte). Hellers Textauszug mit Liedtext, der auch im Roman abgedruckt ist, in diesem Spoiler

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Wenn der Tag erwacht, eh’ die Sonne lacht,
die Kolonnen ziehn zu des Tages Mühn
hinein in den grauenden Morgen.
Und der Wald ist schwarz und der Himmel rot,
und wir tragen im Brotsack ein Stückchen Brot
und im Herzen, im Herzen die Sorgen.

O Buchenwald, ich kann dich nicht vergessen,
weil du mein Schicksal bist.
Wer dich verließ, der kann es erst ermessen,
wie wundervoll die Freiheit ist!
O Buchenwald, wir jammern nicht und klagen,
und was auch unser Schicksal sei,
wir wollen trotzdem ja zum Leben sagen,
denn einmal kommt der Tag: dann sind wir frei!

Und das Blut ist heiß und das Mädel fern,
und der Wind singt leis, und ich hab’ sie so gern,
wenn treu sie, ja, treu sie nur bliebe!
Und die Steine sind hart, aber fest unser Tritt,
und wir tragen die Picken und Spaten mit
und im Herzen, im Herzen die Liebe.

O Buchenwald, ich kann dich nicht vergessen …

Und die Nacht ist kurz, und der Tag ist so lang,
doch ein Lied erklingt, das die Heimat sang:
wir lassen den Mut uns nicht rauben.
Halte Schritt, Kamerad, und verlier nicht den Mut,
denn wir tragen den Willen zum Leben im Blut
und im Herzen, im Herzen den Glauben.

O Buchenwald, ich kann dich nicht vergessen …





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Andre Heller - Das Buch vom Süden

19.04.2019 um 12:47
Interessant informativer Beitrag, Danke.


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