DeadPoet
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Hereditary
06.03.2019 um 21:08Als die ersten Berichterstattungen von Hereditary über die einschlägigen Medien rieselten, sich dort in einem Gemisch aus Neugier und Euphorie niederschlugen konnte man ( leider ) schon ahnen was da im Kinojahr 2018 auf das Arthouse/ Genrekino losgelassen wird. Gerade wenn noch A24 drauf steht ist der Hype schon in den Startlöchern.
Nun überfordert dieser mediale Tumult gerade jene Menschen, die ganz vorbehaltlos und unvorbereitet an das Medium Film gehen möchten. Nicht die Verpackung, das Marketing, die Trailer, die Background-Stories zu Darstellern, die Situation bei Dreh und viele andere Faktoren spielen für diese Art Publikum eine Rolle, sondern der reine Filminhalt.
Was ich damit schreiben will ist - Am besten sieht man solche Filme völlig unvorbereitet, ohne zuviel Erwartungshaltung, Trailer, Vorbesprechung Gezwitschere in den sozialen Netzwerken.
Ari Aster inszeniert mit diesem Award-Abstauber einen Horrorfilm der nicht nach den klassischen Genreregeln und auf mehreren Meta-Ebenen funktioniert. Sein anfängliches gemächliches Pacing baut er beständig auf, und nimmt sich Zeit um den Figuren Hintergrund zu verleihen und insgesamt Spannung aufzubauen. Bemerkenswert ist, das Ari Aster mit Hereditary jederzeit bemüht ist nicht in die klassischen Fettnäpfe des Genrekinos zu treten. So kann und braucht er sich auch nicht zwingend in ein Genre pressen lassen, würde aber sicherlich mühelos zwischen den Stühlen Familiendrama und Horror Platz finden.
Toni Cholettes Annie
Wenn Spannung aufgebaut wird, so geschiet das meist auf mehreren Ebenen. Wenn bspw. die begnadete Künstlerin & Mutter Annie, genial wirrer Charakter mit Hang zum Wahnsinn von Toni Cholette verkörpert, Scham und Schuld empfindet so hat man das Gefühl auf ihrem Gesicht ihre Seele abgebildet zu sehen. Ihre Gesichtszüge fallen dabei regelrecht in sich zusammen, und verlieren sich in einer Art fiebrigen Emotionalität.
Zur Handlung:
Nachdem die Patrarchin des Hauses Ellen Tapper-Leigh nach einer langen Zeit unter einer dissoziativen Identitätsstörung leidet und verstirbt, wird die Familie auf eine Probe gestellt. Es ist ein sichtlich schwerer Akt und Zäsur für die Familie, deren Mitglieder alle ihre Bürde zu tragen haben. Die familiäre Situation scheint zuerst gewöhnlich zu sein. Vater Steve, der versucht zu moderieren und den richtigen Ton zu treffen, um die familiäre Ordnung aufrecht zu erhalten, Annie als Mutterfigur die zu Selbstvorwürfen neigt und sich ihre eigenen Handlungen nicht verzeihen kann, der verschlossene Teenagersohn Peter, der seine Gitarre mit ins Bett nimmt, und insgeheim einem Mädchen aus seiner Klasse nachschwärmt. Das Kücken des Hauses, die 13 Jährige Charlie, stark aufgespielt von Milly Shapiro, das in seiner eigenen Welt lebt und auf die intakte familiäre Ordnung angewiesen ist.
Ihre wirtschaftlich äusserst komfortable Situation erlaubt der Familie in einer Welt zu leben, die sich scheinbar abseits von Straßenlärm und Alltagsstress befindet. Eine prosperierende alte Familie, eine durch und durch amerkanische Familie. Man hat fast den Eindruck, hier stünde man mit dem Teufel im Bunde, als wäre diese hermetisch isolierte Idylle teuer erkauft. Dieses amerikanische Vorstadtmärchen wirkt jedoch scheinbar genauso wie Annies Miniaturen, die sie anlässlich einer geplanten Austellung baut – starr und leblos.
Nach der Einführung der Charakter erfahren wir also, wie die Mitglieder der Familie ihre persönlichen Bürden zu tragen haben, erfahren immer mehr über die Geschichte der Familie und die emotionalen Brüche werden offensichtlicher. Sie kulminieren in wortlosen Anschuldigungen, und missmutigen Blicken, in unklarenVisionen und zu deutlichen Erscheinungen. Dies alles kann dem Zuseher bis zum zweiten Drittel des Filmes wie ein klassisches Familiendrama vorkommen, mit dem sicher viele Menschen in gewisser Weise verbunden fühlen.
Wenn jedoch die Handlung Fahrt aufnimmt, und sich Ereignisse überschlagen, erhält man alsbald den Eindruck man hätte doch an vielen Stellen Verbeugungen vor großer Erzählkunst vorgenommen und E.A Poe, H.P Lovecraft sowie den Ausführungen von Aleister Crowley ziemlich genau zugehört. Denn durch jede knarrenden Treppenstufe, durch jede Holzdiele dieses postmodernen Puppenhauses sickert die unheilvolle Stimmung, das elende vielköpfige Grausen, dass diese armen Gestalten Marionettengleich innerhalb ihrer determinierten Welt lenkt.
Immer mehr manifestiert sich das Seelenleben in der „realen“ häusslichen Situation der Familie,
und so wird aus einer anfänglichen Seelenschau ein sich überschlagendes Vexierspiel.
Wenn man Filme wie The Witch, Babadook oder It Follows mag wird man bei dieser Perle fündig.