Narrenschiffer
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Jean-Jacques Rousseau - Emile oder Über die Erziehung
29.07.2017 um 20:56
Diese 1000 Seiten sind eigentlich kein Roman, sondern eine Abhandlung über Erziehung mit religiösen und philosophischen Reflexionen.
Die ersten vier Bücher handeln von der Erziehung eines männlichen, französischen Kindes mit ausreichend Vermögen, um nie arbeiten zu müssen, zu einem eigenverantwortlichen Bürger und Ehemann, der den Gesellschaftsvertrag erfüllt.
Rousseaus Erziehungsideale dürften in ihren Grundzügen bekannt sein: das Kind soll tätig sein und immer dann etwas lernen, wenn es Einsicht hat, warum etwas zu erlernen ist. Da sich Rousseau dessen bewusst ist, dass es auch Grenzen für Kinder gibt, legt er viel Wert darauf, dass ein Kind bzw. ein Jugendlicher nicht die Erwachsenenwelt stört. Wie ist das zu erlangen? Von Anbeginn seien Entscheidungen des Erziehers unumstößlich, damit hört das Kind rasch auf zu quengeln und lernt sich einzufügen, ohne dass physische oder psychische Gewalt angewendet werden soll.
Am Ende heiratet der Idealzögling Emile das Idealmädchen Sophie, und das Buch endet mit der werdenden Vaterschaft Emiles.
Irgendwie ist der Text sehr ausschweifend, konstruiert und hölzern, Emile erscheint wie ein zu programmierender Roboter, der Dank der Erziehungsmaßnahmen genau das tut und sagt, was der Erzieher sich vorstellt.
Rousseau scheint dessen (unbewusst?) gewahr zu sein, und an einer Stelle lässt er Emile dieses sagen:
"Man sollte meinen, wir errichteten unser Gebäude von Holz und nicht von Menschen ..."Dass wegen dieses Buches Rousseau strafrechtlich verfolgt wurde und nach England floh bzw. dass Exemplare des Buches in Paris verbrannt wurden, kann man sich eigentlich nicht vorstellen, aber da gibt es noch einen Exkurs: Glaubensbekenntnis des savoyischen Vikars
Dieser lehnt alle Offenbarungsreligionen (Judentum, Christentum, Islam) ab, da sie sowieso nur an einen einzigen Gott glauben und wegen ihrer unterschiedlichen Religionslehren nur zu Streitigkeiten und Kriegen geführt haben. Der einzelne Mensch soll zu seinem persönlichen Gott finden. Dies war Häresie.
Im sechsten und letzten Teil stellt Rousseau kurz auch seine Idee des Gesellschaftsvertrags vor, der das Volk als gesetzgebenden Souverän sieht. Interessant auch seine Definition von Demokratie, Aristokratie und Monarchie:
Demokratie: mehr als die Hälfte des Staatsvolks ist in Regierungs- und Verwaltungsarbeit eingebunden
Aristokratie: weniger als die Hälfte des Staatsvolks ist in Regierungs- und Verwaltungsarbeit eingebunden
Monarchie: nur eine Person ist in Regierungs- und Verwaltungsarbeit eingebunden
Sehr lesenswert sind der oben genannte Exkurs sowie die Ausführungen zum Gesellschaftsvertrag im letzten Kapitel. Die Erziehungspassagen (doch gut 900 Seiten) sind wegen der Ausschweifungen und des sehr konservativen Menschen- und Geschlechterrollenbilds (die Frau muss dem Mann gehorchen) langatmig zu lesen.