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Anneliese Brandt:
Schwierigkeiten mit der Gleichberechtigung

Interesse für Tiere, Ferienaufenthalte und Evakuierung auf dem Lande waren für mich als Großstadtkind aus Berlin Gründe, Landwirtschaft zu erlernen.

Mutter war nicht begeistert. Ich sollte ja „was Besseres“ werden. Vater überließ mir die Entscheidung; Großmutter war entsetzt, sie stammte aus einer Kleinbauernwirtschaft und kannte die schwere Landarbeit. Großvater meinte schließlich: „Da hat sie wenigstens satt zu essen“ - es war das Jahr 1949. Meine Lehrer äußerten alle Unverständnis, da ich ja gute Zensuren hatte. Gängige Redensart war noch: „Die dümmsten Bauern haben die größten Kartoffeln“.

Nach dem erfolgreichen Abitur suchte ich durch Vermittlung von Bekannten eine Lehrstelle zu finden. Jedesmal bekam ich zur Antwort, daß es für Mädchen nur die Hauswirtschaftslehre mit Geflügelzucht gebe. Mich interessierten aber besonders Großtiere, und ich wollte die komplette Landwirtschaft erlernen.

Der Untermieter meiner Großeltern arbeitete bei der Deutschen Wirtschaftskommission (DWK), verantwortlich für Kohle und Energie. (Die DWK war praktisch Vorläuferin der späteren Staatlichen Plankommission und der Fachministerien der DDR.) Dieser Funktionär vermittelte mir ein Gespräch mit dem Verantwortlichen für Landwirtschaft. Der war recht erstaunt, als er sich mit solch einem Problemchen konfrontiert sah, war aber bereit, bei der nächsten Beratung mit den Leitern der Gebietsvereinigungen Volkseigener Güter (GVVG) mein Problem zu klären.

Tatsächlich erhielt ich von ihm Nachricht, daß ich mich bei der GVVG in Torgau melden könne. Ich fuhr gleich mit meinem Koffer los. Der Leiter der GWG war allerdings erstaunt, daß da ein Mädchen ankam; das war ihm nicht gesagt worden. Er faßte sich aber schnell, rief im Volkseigenen Gut Köllitsch an und avisierte mich; ebenfalls ohne zu erwähnen, daß er ein Mädchen schickte. Sicher wollte auch er Ausreden des Direktors vermeiden.

Ich schleppte mich also mit meinem Koffer nach Köllitsch. Dem Direktor sah ich an, daß er nicht gerade begeistert war, er hatte natürlich mit einem Jungen gerechnet. Es stand für drei Lehrlinge ein Zimmer bereit. Ein Junge war schon da, der aber in der Nähe wohnte und nach Hause geschickt werden konnte. So hatte ich erst mal ein Nachtquartier.

Am nächsten Tag wurde im Gutshaus ein kleiner Raum hinter dem Wohnzimmer des Direktors für mich hergerichtet: Bett, Nachttisch, Schrank, Kommode mit Keramikwasserkrug und -waschschüssel. Es war Oktober, der Raum war nicht heizbar, und im Laufe des Winters zerfror erst der Krug und dann die Schüssel. Sie wurden durch Emailleeimer und -schüssel ersetzt.

Ich besaß einen alten Wecker, der aber nicht weckte. So schlief ich unruhig und zündete nachts mehrmals ein Streichholz an, um nach der Uhr zu sehen (eine Nachttischlampe gab es nicht), ich wollte ja nicht verschlafen. Eines Tages bemerkte der Nachtwächter meine „Lichtsignale“ und versprach, mich täglich rechtzeitig zu wecken.

Inzwischen waren wir 6 Lehrlinge, ich das einzige Mädchen. Die Frau des Direktors war Küchenchefin, wie das in vielen VEG üblich war. Es wurde gemeinsam gegessen: der Direktor, der Kulturleiter, ein Gehilfe und wir Lehrlinge. Die Zeremonie spielte sich nach Gutsherrenmanier folgendermaßen ab: Wir standen hinter den Stuhllehnen bis der Chef kam; er setzte sich, dann wir. Beim Mittagessen erhielt er die Schüssel zuerst, dann der Reihe nach die anderen; ich war die vierte. Wenn die Schüssel beim letzten Lehrling ankam, waren die besten Stücke rausgefischt. Der Chef war mit dem Essen schon fast fertig, und die Jungen schlangen das Essen schnell hinunter, weil die anderen darauf warteten, daß sie fertig würden. Daraufhin sprachen wir älteren Lehrlinge uns mit dem Gehilfen ab, ganz langsam zu essen, damit die letzten in Ruhe essen konnten. Das wurde dem Chef nach einigen Tagen zu bunt. Er ging, bevor alle fertig waren, um „dringende Geschäfte“ zu erledigen.

Das Essen war knapp und wenig schmackhaft. Die Begründung lautete, daß eben noch schlechte Zeiten wären; trocken Brot, Kartoffeln und Salz seien aber genügend da. Unter der Belegschaft war bekannt, wie schlecht wir Lehrlinge versorgt wurden. Wenn die Landarbeiter erfuhren, daß wir mit ihnen zusammen arbeiten sollten, brachten sie für uns immer belegte Frühstücksstullen mit. Die Landarbeiter durften im Jahr pro Familie ein Schwein schlachten.

Eines Tages wurde die Wohnung des Chefs renoviert, und die gutseigenen Maler stellten in seiner Speisekammer Schinken und Speck mehrerer Schweine fest. Sie informierten die Gewerkschaftsleitung. Bis auf das Fleisch eines Schweines wurde alles in die Betriebsküche gebracht. Dann wurde eine andere Küchenleiterin eingesetzt, die aus ihren persönlichen „Nachkriegsreserven“ sogar noch Kürbis-Sirup-Marmelade und ähnliches mitbrachte. Das Essen war zwar immer noch nicht ausreichend für schwer arbeitende Jugendliche, aber bedeutend besser. „Zusatzverpflegung“ bekamen wir auch von den Schäferlehrlingen und - wenn wir dort arbeiteten - vom Schäfermeister und dem „Schweizer“ (so nannte man den Melkermeister).

Das sah der Chef nicht gerne. Als mich der Schweizer nach dem Schweineschlachten zum Essen einlud, verbot mir der Chef, hinzugehen. Begründung: Das sehe so aus, als ob wir nicht genügend zu essen bekämen. Aber ich ging trotzdem kurz hin, und die Frau des Schweizers sagte sogar, ich könne mir bei ihr täglich eine Frühstücksstulle abholen. Das wagte ich dann aber doch nicht. Als ich eines Tages nach dem offiziellen Essen durch das Wohnzimmer des Chefs in meine Kammer ging, standen auf dem Tisch ein großes Stück Schinken und Butter für seinen „Nachtisch“ bereit. Ich muß wohl sehr gierig ausgesehen haben; denn die Frau Direktor hielt es für notwendig, mir zu erklären, daß es sich dabei um HO-Einkäufe handele. Schließlich verdiene ihr Mann genug und könne sich das leisten.

Unser Direktor leitete das VEG im Stil der früheren Gutsverwalter. Morgens war Arbeitseinteilung im Büro, und wir Lehrlinge mußten daran teilnehmen. Wenn der Chef etwas vergessen hatte - und das geschah oft -, wurde ich in die Wohnung zurückgeschickt. Als ich ihm aber eines Tages Zigaretten holen sollte, reichte es mir. Ich sagte ihm, daß so etwas doch nur früher die Aufgabe der Lehrlinge gewesen sei. Danach wurde ich nicht noch einmal geschickt.

Auch bei anderen Gelegenheiten hatte der Direktor keine reine Freude an mir. Ich war kein FDJ-Mitglied, machte aber alle Unternehmungen der FDJler mit, wie z. B. Agitationseinsätze zur Gründung der DDR. Mit Trecker und Anhänger fuhren wir in andere Dörfer und sangen FDJ-Lieder.

Eines Tages rief mich der Chef ins Büro: Alle Lehrlinge der GVVG seien FDJler, nur das einzige Mädchen, nämlich ich, nicht. Das werfe ein schlechtes Licht auf ihn. Ich war empört, daß er mich aus einem solchen Grund werben wollte und trat natürlich nicht ein. Als es Pfingsten 1950 zum Deutschlandtreffen nach Berlin ging, nahm ich Urlaub (die anderen wurden ohne Urlaub freigestellt) und fuhr mit. Später, als der Chef seine Mitgliedswerbung aufgegeben hatte, wurde ich FDJ-Mitglied.

Das Wichtigste war natürlich die Arbeit. Die Jungen arbeiteten bei den Männern mit, ich wurde dem Frauenaufseher zugeteilt. Dort hatte ich mit dem Rutenmaß, einem großen Zirkel, auszumessen, wieviel Rüben jede Frau am Tag gerodet hatte. Es wurde nach Leistung bezahlt. Die Rüben mußten damals noch von Hand gerodet werden, das war schwere Arbeit. Da ich die meiste Zeit des Tages nichts zu tun hatte, half ich den Frauen, die nicht so viel schafften. Das kritisierten aber die anderen.

Nun wurde ich zum Mistladen mitgeschickt. Die Frauen packten den Mist mit der Forke auf die Ackerwagen bzw. zogen ihn auf dem Feld runter. Das war ebenfalls eine sehr schwere Arbeit, da den Tieren Langstroh eingestreut wurde. Es gab auf dem Gut ja noch keine Mähdrescher. Dagegen fuhren die Männer nur die vollen Wagen aufs Feld und mit den leeren zurück - eine eindeutig leichtere Arbeit. Nach einiger Zeit verlangte ich vom Chef, auch Männerarbeit machen zu dürfen. Er meinte, das sei zu schwer für mich. Aber ich argumentierte, das auch lernen zu müssen und bekam ein Gespann zugeteilt: die größten Pferde, die wir im Stall hatten. Das Pferdegeschirr war das Kummet, ein gepolsterter Schulterrahmen, an dem die Zugstränge befestigt waren. Diese Kummete mußten den Pferden über die Köpfe gelegt werden. Sie waren sehr schwer, und die Pferde hielten ja auch meist nicht still. Also stieg ich auf die Futterkrippe und legte ihnen die Kummete von oben über die Köpfe. Das ging gut, bis eines Tages der Chef dazukam. Er schimpfte: Wenn ich schon Kutscher sein wollte, dann müßte ich das auch professionell machen. Danach wollte er mir zeigen, wie. Aber mein Pferd schüttelte den Kopf- und der Chef hatte das Kummet selbst auf den Schultern. Die anderen Kutscher lachten heimlich, und der Chef half mir nie wieder beim Aufschirren.

Auch bei den einzelnen Feldarbeiten sollte bewiesen werden, daß Mädchen vieles nicht können. So wurde ich beispielsweise vom Chef immer zur Arbeit mit schweren Eggen eingeteilt, auch wenn andere Kutscher am gleichen Tag leichte Eggen bekamen. Die Arbeit selbst war gleich schwer, aber die Eggen mußten zuvor und danach zum Transport auf Ackerwagen geladen werden, das war das Schwere daran. Wir hatten einen strengen Hofmeister, der den täglichen Arbeitsablauf organisierte. Der hatte wohl bemerkt, daß ich mir Mühe gab. Dem Chef zu widersprechen, hätte er sich nicht getraut. Aber er teilte mir jedesmal einen Ackerwagen zu, auf den er selbst die schweren Eggen schon aufgeladen hatte.

Im Winter mußten wir jeweils mehrere Wochen in den verschiedenen Ställen arbeiten. Schaf- und Kuhstall waren kein Problem. Als ich mich aber zur Arbeit im Schweinestall meldete, erklärte der Schweinemeister - ein anerkannter Züchter -, daß er „langhaariges Gesockse“ in seinem Stall nicht gebrauchen könne. Dabei hatte er drei Töchter, die in der eigenen Viehhaltung schwer arbeiten mußten. Ich blieb trotz dieses miesen Empfangs im Stall, aber der Meister teilte mir keine Arbeit zu. So half ich eben den anderen Arbeitern.

Eines Morgens schlug ich die gefrorenen Futter- und Wasserreste aus den Trögen der Zuchteber, die in Freiausläufen mit Hütten untergebracht waren. Weil es einfacher war, kletterte ich in den Auslauf und arbeitete von dort aus. Da kam der Schweinemeister und schrie schon von weitem, ich solle herauskommen. Ich dachte, daß er mich nur wieder aus dem Stall heraushaben wolle und machte meine Arbeit zu Ende, während der große Alteber grunzend neben mir stand. Nachdem ich wieder rausgeklettert war, wurde mir erklärt, daß das ein ganz gefährlicher, bissiger Eber wäre, niemand dürfe in seinen Auslauf gehen, wenn er nicht in der Hütte sei. Offensichtlich hatte ich wenigstens bei diesem Tier als Mädchen eine Chance. Aber von da an wurde ich als Arbeitskraft im Schweinestall akzeptiert. Später wurde ich sogar einmal geholt, um „meinem“ Eber eine Spritze zu verpassen, weil der Tierarzt sich nicht rantraute, und auch da tat mir der Eber nichts. Als ich das später meinem Vater erzählte, war er empört, in welche Gefahr man mich gebracht hatte.

Ein anderer Lehrling und ich waren schon älter als 18 Jahre und fielen nicht mehr unter das Jugendschutzgesetz. Daher gab es auf diesem Gut für uns keine geregelte Arbeitszeit. 1949 erhielten wir 40 Mark Lehrgeld im Monat, davon blieb die Hälfte im Betrieb für Unterkunft und Verpflegung. 1950 wurde das Lehrlingsgeld verdoppelt, vieles, wofür die Landarbeiter Überstunden bezahlt bekommen hätten, mußten wir älteren Lehrlinge machen. Die Stallarbeiter hatten früh und abends jeweils einige Stunden zu tun, dazwischen war Freizeit. Aber wenn wir zum Stalldienst eingeteilt waren, mußten wir oft nach der Frühschicht bis zur Nachmittagsschicht noch Stroh zu den Ställen fahren. Auch nach der Feldarbeit hatten wir nicht wie die Arbeiter Feierabend, sondern es mußten der Hof aufgeräumt, der Speicher kontrolliert und andere Arbeiten erledigt werden.

Vier Lehrlinge beschlossen deshalb, das 2. Lehrjahr in einem anderen Betrieb zu machen. Das gefiel dem Chef nicht. Wir waren wohl doch nicht ganz so schlecht. Aber wir bekamen von der GVVG alle zusammen neue Lehrstellen in Mecklenburg, im damaligen Kreis Waren. Das nun volkseigene Gut Groß Kelle war früher - bis auf vier der fünf einheimische Familien - von polnischen Schnittern bearbeitet worden. Nach Kriegsende kamen Umsiedler dorthin. Diese wohnten in den großen Gutsräumen - manchmal mehrere Familien zusammen, deren Bereiche nur durch über Seile gehängte Schlafdecken voneinander getrennt waren. Aber die ehemaligen Schnitterkasernen wurden schrittweise zu Wohnungen umgebaut, und im Jahr 1950 bekamen alle elektrisches Licht. Zuvor hatte ein kleines gutseigenes Kraftwerk nur das Gutshaus und die Ställe mit Strom versorgt.

In der Betriebsleitung des VEG Groß Kelle herrschte nicht der alte gutsherrliche Kommandoton wie im VEG Köllitsch, und wir mußten auch nicht „Spalier stehen“, bis der Direktor sich setzte. Betriebsleitung und Landarbeiter nahmen uns als willkommene Helfer auf; und bei keiner Arbeit wurde angezweifelt, ob ich als Mädchen dazu fähig sei. Die Verpflegung war auch nicht besonders gut, aber satt essen konnte man sich zum Frühstück mit Milchsuppe und zum Abendbrot mit Bratkartoffeln.

Im Frühjahr 1951 bestanden wir beiden älteren Lehrlinge die Gehilfenprüfung und arbeiteten bis zum Herbst weiter in diesem volkseigenen Gut. Im September begann ich dann mein Landwirtschaftsstudium an der Humboldt-Universität zu Berlin. Nur ca. 10 % von uns waren Mädchen und einige über die Hauswirtschaftslehre zum Studium gekommen.

Fachlich lernten wir in unserer Lehrzeit sehr viel weniger als die Lehrlinge späterer Jahrgänge. Was wir aber gelernt haben, war, tüchtig zu arbeiten, ohne auf die Uhr zu sehen. Das prägte den Charakter und war mir später sehr von Nutzen.